„Wir sind am Ende“: Krankenpfleger berichten von Pflegenotstand - Mitarbeiter an Belastungsgrenze

Die Situation für Krankenpfleger wird in München zunehmend schlechter. Zu dem Ergebnis kommt eine Studie, die im Auftrag der Stadt erstellt wurde. Demnach führen Krankheitsfälle der Kollegen, Überstunden und unbesetzte Stellen zu einer hohen Arbeitsbelastung. OPs mussten schon abgesagt werden.
„Wir sind am Ende“, sagt Jens Erdmann (54). Er ist Anästhesie-Intensivpfleger im Rotkreuzklinikum. Und er zeichnet ein verheerendes Bild: „Die Situation in der Pflege ist kollabiert. Die Pflegekräfte erhalten im Moment einen Zustand aufrecht, der an Belastungsgrenzen geht, die keiner lange aushalten kann.“ Zu einem ähnlichen Schluss kommt eine Studie, die im Auftrag der Stadt erstellt worden ist: Pflegekräfte hetzen durch die Flure, es bleibt kaum Zeit zum Verschnaufen. Überstunden, Krankheitsfälle bei den Kollegen, unbesetzte Stellen – oftmals ist ein Krankenpfleger für 22 Patienten verantwortlich. Die Angestellten sind am Limit. Und in der Analyse der Studie wird eindringlich gefordert: Es muss endlich gehandelt werden.
Münchner Krankenhäuser: Dauerstress führt zu freiwilligen Kündigungen
Rund 8000 Kräfte arbeiten in München. Und sie haben jede Menge zu tun. In den 52 Krankenhäusern der Stadt sind im Jahr 2016 insgesamt 487 161 Menschen stationär behandelt worden. An der Studie beteiligt haben sich 16 der 52 Klinikstandorte. 1261 Pfleger gaben Auskunft über ihren Alltag – sowie 307 Pflegeschüler.
Eins wird sofort klar: Der Dauerstress hat Folgen. 511 Kündigungen gab es 2017, nicht alle Stellen konnten unmittelbar nachbesetzt werden. Kein Wunder: Es fehlt überall an Personal. Die Studie zeigt zudem: Abhängig von der Station und von der Schicht betreuten Pflegekräfte unterschiedlich viele Patienten. So war zum Beispiel unter der Woche in einer Frühschicht eine Pflegekraft für durchschnittlich neun Patienten verantwortlich, in einer Nachtschicht eben für gleich 22. „In meinem Bereich ist ein Pfleger tagsüber sogar für bis zu 15 Patienten zuständig“, sagt Phillip Lossie (25), der als Pfleger in der Urologie im Klinikum Rechts der Isar arbeitet. „Im Nachtdienst sind es 25 bis 30 Patienten. Da bleibt die persönliche Betreuung leider oft auf der Strecke.“
Der Pflegeaufwand ist laut Umfrage in den vergangenen fünf Jahren erheblich gestiegen. So ergab die Befragung: 67 Prozent der Beschäftigten können in ihrer Pausenzeit nicht einmal das Gebäude verlassen, weil sie unentbehrlich sind. Und das ist nicht alles: Zudem leisteten 75 Prozent der Pfleger insgesamt über 15 Überstunden pro Monat. Das Problem: Diese können kaum abgebaut werden, weil sonst die Lage noch dramatischer wäre. Als Gründe für diese Masse an Überstunden wurden von den Klinikleitungen Krankheitsausfälle und nicht besetzte Stellen angeführt. Mehr als die Hälfte der Pflegekräfte (54 Prozent) musste oft außerplanmäßig für Kollegen einspringen. Im Durchschnitt gibt es 16,7 Krankheitstage. Einige Klinken berichten zudem, dass Operationen und geplante Aufnahmen verschoben sowie vereinzelt Betten gesperrt werden mussten.
Krankenpfleger: Arbeitsbelastung hoch, Gehalt niedrig
Ein Großteil der Pflegekräfte (rund 60 Prozent) schätzt der Studie zufolge, dass die durchschnittliche Arbeitsbelastung am Tag in den vergangenen zwei Jahren deutlich angestiegen ist. Beängstigend: Sechs von zehn Pflegekräften (62 Prozent) gaben zu Protokoll, das Gefühl zu haben, die Patienten aufgrund des Zeitdrucks nicht richtig betreuen und versorgen zu können.
Natürlich wurde in der Analyse auch nach Verdienst und Anerkennung gefragt. Auch hier sind die Ergebnisse unerfreulich: 76 Prozent sind mit ihrem Einkommen unzufrieden. Darüber hinaus gaben 66 Prozent an, für ihre Leistungen zu wenig gewürdigt zu werden. Gut die Hälfte der Befragten empfindet die Arbeitsbelastung generell als viel zu hoch.
Was also tun, um den Krankenhaus-Kollaps zu stoppen? Die Verfasser der Studie raten zum schnellen Handeln – gerade im teuren München. Heißt: Mehr Personal einstellen und bessere Bedienung schaffen. Oder mehr ausbilden? Klingt gut, doch auch die Azubis klagen über den Job. Laut Studie sieht ein erheblicher Anteil der Schüler in der Gesundheits- und Krankenpflege (29 Prozent) von einem Berufseinstieg ab. In der Altenpflege ist dieser Anteil deutlich geringer (zwölf Prozent). Zusätzliches Problem: Rund 40 Prozent der Schüler planen nach Ende der Ausbildung sehr oder eher wahrscheinlich ein Studium.
Das sagen die Betroffenen
„Wir sind am Ende“

Jens Erdmann ist als Anästhesie-Intensivpfleger im Rotkreuzklinikum tätig. „Die Situation in der Pflege ist kollabiert“, sagt der Sendlinger. „Die Pflegekräfte erhalten im Moment einen Zustand aufrecht, der an Belastungsgrenzen geht, die keiner lange aushalten kann.“ Der 54-Jährige weiß, wovon er spricht: Er ist seit 35 Jahren in der Krankenpflege tätig. „Das Problem ist, dass immer weniger Zeit bleibt, die ein Pfleger für einen Patienten hat“, sagt er. Die Folge der hohen Arbeitsbelastung: gesundheitliche Probleme. „Die Verweildauer in der Pflege beträgt statistisch gesehen nur etwa sieben Jahre.“
Auch er habe einen kaputten Rücken und kaputte Knie. „Vor fünf Jahren stand ich vor der Frage, wie es mit mir weitergeht. Ich habe den Beruf immer noch gerne gemacht, aber ich wusste: Ich schaffe das nicht bis 67.“ Er fing an, Pflegemanagement zu studieren, heute arbeitet er nicht mehr Vollzeit als Pfleger. Als Intensivpfleger sei er auf einer Insel der Glückseligen, meint er. „Ich betreue nur drei Patienten pro Schicht.“ Das Problem im System: „Aufgrund des hohen Kostendrucks für die Kliniken wurde Pflegepersonal entlassen und auch nicht wieder nachbesetzt. Deshalb werden jetzt benötigte Intensivbetten in München leider regelmäßig gesperrt.“ Erdmann will sich jetzt berufspolitisch engagieren und nimmt auch seine Kollegen in die Pflicht: „Wir müssen auf die Straße gehen und für unsere Ziele kämpfen!“ Es fehle ein akademischer Unterbau, der die Pflegeberufe stärke. „Das heißt nicht, dass Pflegekräfte nicht mehr am Bett stehen sollen, aber eine gewisse Akademisierung würde dazu führen, dass Pflegekräfte in der Krankenhaushierarchie auf Augenhöhe mit den Ärzten sprechen.“
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„Gebt uns mehr Personal“

Phillip Lossie (25) arbeitet seit drei Jahren als Gesundheits- und Krankenpfleger in der Urologie im Klinikum rechts der Isar. Er macht seinen Beruf gern. Doch die hohe Arbeitsbelastung verlangt ihm oft alles ab. Vor allem die schlechte Personalsituation sei ein Problem. „In meinem Bereich ist ein Pfleger tagsüber für 14 bis 15 Patienten zuständig. Im Nachtdienst sind es 25 bis 30 Patienten. Da bleibt die persönliche Betreuung leider oft auf der Strecke.“
Zum Beruf gehöre viel mehr als „nur“ die körperliche Pflege. „Außenstehende reduzieren unsere Tätigkeit leider oft auf diese grundlegenden Sachen. Das ärgert mich.“ An einem stressigen Tag bereitet Lossie bis zu 15 Patienten auf eine OP vor. „Es kommt vor, dass mehrere Patienten gleichzeitig zurück aus dem OP kommen. Wenn dann zum Beispiel noch einer entlassen wird, kann ich dem womöglich leider keine Anleitung mehr geben, was er bei seinem Katheter beachten muss.“ 2600 Euro brutto Grundgehalt erhält er im Monat. Mit Zuschlägen kommt er auf rund 2800 Euro. „Es ist in Ordnung.“ Da er in Marzling (bei Freising) wohnt, könne er sich eine Wohnung leisten. Doch wenn es an die Familienplanung gehe, sehe es schon anders aus: „Ich habe Kollegen, die aufgrund der Gesamtumstände Sorgen bei der Familiengründung haben – geringe Bezahlung, Stress, wechselnde Schichten: Die Belastung ist schon sehr hoch. Und wenn dann noch Kollegen krank sind, wird es richtig eng.“ Man versuche, den Ausfall zu kompensieren. „Aber das führt wieder zu Mehrarbeit. Wir hatten auch schon Schichten, da waren wir nur zu zweit auf Station. Da kommt man dann schon an seine Grenzen.“
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Die Pflegebranche leidet enorm unter dem Fachkräftemangel. Die Bundesagentur für Arbeit hat einen Vorschlag, wie das geändert werden könnte. Unglaublich, aber wahr: Münchnerin macht eine Ausbildung zur Krankenschwester und bekommt trotzdem keinen Job - aus diesem Grund.
Der Fachkräftemangel hat die Lage in der Pflege enorm verschärft - fast alle bayerischen Landkreise sehen eine Notlage auf sich zukommen.