Vergewaltigungsverfahren trotz DNA-Treffer eingestellt - nun darf Münchnerin (36) wieder hoffen

Dank einer zehntausendfach geteilten Online-Petition hat es ein mutmaßliches Vergewaltigungsopfer geschafft, dass die Ermittlungen in seinem Fall noch einmal aufgenommen werden.
Update 9. Mai: Die Münchnerin ist überzeugt, 2013 mithilfe von K.o.-Tropfen vergewaltigt worden zu sein. Das Verfahren wurde jedoch mangels Erfolgsaussichten eingestellt. Dagegen legte die Frau Beschwerde ein und suchte Unterstützung in der Öffentlichkeit.
„Um nichts unversucht zu lassen, gehen wir jetzt nochmal ergänzenden Gesichtspunkten des Ermittlungsverfahrens nach“, erläuterte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft München I am Donnerstag. Zugleich dämpfte sie die Hoffnungen: „Es ist aber schwer vorstellbar, dass die Ergebnisse da völlig anders ausfallen.“
Der Fall hatte für einige Aufmerksamkeit gesorgt. Die Frau ist überzeugt, als 30-Jährige im April 2013 bei einem Discobesuch in München mit K.o.-Tropfen willenlos gemacht und vergewaltigt worden zu sein. Jahre später wurde ein Verdächtiger anhand seiner DNA-Spuren gefunden. Da sich das Opfer aber nur bruchstückhaft an die Tat erinnern kann und der Mann zu den Vorwürfen schweigt, ist die juristische Beweisführung schwierig.
dpa
München: Vergewaltigungsverfahren trotz DNA-Treffer eingestellt - Petition gestartet
Update 17. April: Nina Fuchs (36) lächelt, ihre Wangen glühen. Es ist kein verlegenes Lächeln, auch kein gequältes, sondern es wirkt wie ehrliche Freude. Was erst einmal überraschend ist, schließlich gibt die Münchnerin an, vergewaltigt worden zu sein.
Ihren Fall hat sie selbst öffentlich gemacht: Fuchs wurde mit K.o.-Tropfen betäubt, als sie im April 2013 eine Disco am Maximiliansplatz besucht hatte. In einem Gebüsch wachte sie später auf, zwei Männer vergingen sich an ihr. So schildert es die Übersetzerin im Internet, wo sie eine Petition gestartet hat, weil die Ermittlungen in ihren Fall eingestellt worden waren. Obwohl die Staatsanwaltschaft einen Täter ermittelt hatte – überführt durch seine Körperspuren.
„Wenn eine Straftat passiert, muss diese auch verfolgt werden. Dafür haben wir den Rechtsstaat“, sagt Nina Fuchs. Insgesamt 92.809 Menschen hatten ihre Petition bis Dienstagnachmittag unterzeichnet, diese übergab sie in der Karlstraße nun symbolisch an die Generalstaatsanwaltschaft, die ihren Fall seit Ende März prüft – bislang jedoch ohne Ergebnis.
München: Vergewaltigungsvorwurf - Staatsanwaltschaft stellt Verfahren ein
Etliche Kamerateams und Fotografen dokumentierten den Termin – einen ähnlichen hatte es in der Justiz bisher nicht gegeben. Vielleicht erklärt das die Freude von Nina Fuchs: Endlich wird sie ernst genommen. Endlich wird sie gehört. In einem Fall, den die Behörden schon zu den Akten gelegt hatten.
Fuchs gab nicht auf: Über ihren Anwalt Reinhard Köppe legte die Münchnerin Beschwerde gegen die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft ein. Diese hatte „keinen hinreichenden Tatverdacht“ auf einen sexuellen Missbrauch gesehen. Auch, weil die Geschädigte sich angesichts ihrer Bewusstlosigkeit nicht genau an die Tatabläufe erinnern konnte, sei die Prognose für eine Verurteilung des Täters „ungünstig gewesen“.
Fuchs kämpferisch: „Ich kämpfe auch für Frauen, die ein ähnliches Schicksal erlebt haben“
Dazu muss man wissen: Es sind schon Männer für weit weniger schwerwiegende Sexualdelikte vor Gericht gestellt oder verurteilt worden. Kürzlich landete etwa ein Übergriff unter Obdachlosen vor dem Amtsgericht. Nina Fuchs dagegen wurde, so sagt sie, gezielt ausgeknockt und missbraucht. Dazu die DNA vom Täter – doch für eine Anklage reichte das nicht.
„Wir nehmen den Fall von Frau Fuchs ernst“, sagte Oberstaatsanwalt Thomas Weith. Sexualdelikte würden von der bayerischen Justiz „konsequent verfolgt“. Zum aktuellen Fall könne er noch nichts sagen, bis dieser abgeschlossen sei. Fuchs bleibt nur die Hoffnung. „Ich will, dass der Täter vor Gericht gestellt wird.“ Ob die Ermittlungen wieder aufgenommen werden, ist unklar. Die Petition hat darauf keinen Einfluss. Fuchs aber sagt: „Ich kämpfe auch für Frauen, die ein ähnliches Schicksal erlebt haben und sich nicht getraut haben, Anzeige zu erstatten.“
Nach Vergewaltigung in München: Staatsanwaltschaft stellt Verfahren ein - obwohl es DNA-Treffer gibt
München - Nina Fuchs (36) kann sich noch erinnern, dass sie auf einem Stuhl saß, nackt. Vor ihr stand die Gerichtsmedizinerin. Weißer Kittel, kalte Finger. Wie der Raum genau ausgesehen hat, weiß Fuchs nicht mehr. Nur: kalt und steril. „Ich stand noch wegen der K.o.-Tropfen neben mir“, sagt sie. „Glücklicherweise.“ Peinlich genau untersuchte die Medizinerin ihren Körper. Fotografierte blaue Flecken, Schürfwunden. Nahm Vaginalabstriche. Um das Sperma des Mannes festzustellen, der Nina in der Nacht zuvor vergewaltigt haben soll.
In jener Nacht vor sechs Jahren, in der Fuchs mit Freunden in einem Club am Maximiliansplatz gefeiert hat. In jener Nacht, in der ihre Freunde früher gegangen waren, weil sie arbeiten mussten. Und Fuchs dablieb. Und sie in einem Busch am Maximiliansplatz aufwachte, die Unterhose zwischen den Beinen hängend. „Mein erster Verdacht war: Ich war im Busch pinkeln und bin dort irgendwie eingeschlafen“, sagt sie. Dann kamen Erinnerungen. Schwammige Bilder. Von zwei Männern, die im Dunkeln vor ihr stehen. Einer vergeht sich an ihr, einer schaut zu. „In der Tram liefen mir später die Tränen übers Gesicht“, erzählt sie. „Mir fehlten zwei Stunden. Jemand musste mir K.o.-Tropfen verabreicht haben.“
„Er hätte nicht sterben müssen“: Bei einem schweren Unfall nahe Bayreuth ist ein 60-jähriger Mann ums Leben gekommen. Nun hat die Polizei eine tragische Vermutung.
Vergewaltigung in München: Verfahren eingestellt - Opfer kämpft weiter
Der nächste Tag: Fuchs liegt bei ihrer Schwester auf der Couch. Schläft, weint – stundenlang. Und vertraut sich ihrer Schwester an, die sofort in der Rechtsmedizin anruft: Sie müsse schnell vorbeikommen. Denn K.o.-Tropfen seien oft nur vier Stunden lang nachweisbar. Zwölf Stunden nach der Tat konnten die Mediziner die Drogen nicht mehr feststellen.
Dafür Sperma-Spuren, also DNA. Damals gab es keine Übereinstimmung mit der Datenbank. Sechs Jahre später schon: Treffer – als ihr mutmaßlicher Vergewaltiger in anderer Sache verhaftet wurde. „Ich war aufgewühlt“, sagt Nina Fuchs. Dann die Ernüchterung: Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren eingestellt – weil sich das Opfer nicht an die Täter erinnern kann.
„Ich war empört, als das Verfahren eingestellt wurde“, sagt Andrea Hölzel vom Weißen Ring. Sie hat Fuchs geholfen, die vergangenen sechs Jahre zu bewältigen. „Die haben den Täter. Die haben die DNA. Ich finde, das ist unvorstellbar herablassend – jeder Frau gegenüber.“ Es gebe keine Woche, in der nicht zwei bis drei Frauen bei ihr anrufen und sagen, dass ihnen K.o.-Tropfen verabreicht und sie vergewaltigt wurden. Und nur etwa die Hälfte zeige es an, weil sie nichts mehr mit dem Erlebten zu tun haben wollen. „Dass das Verfahren eingestellt wurde, heißt: Noch weniger Frauen werden es anzeigen, wenn sie vergewaltigt wurden“, findet Hölzel. „Weil sie denken, es kommt eh nichts dabei heraus.“
Inzwischen hat Fuchs eine Therapie gemacht, es geht ihr besser. Sie reist als Übersetzerin durch die Welt. Trotzdem kämpft sie dafür, dass ihr Vergewaltiger vor Gericht kommt. Erst dann kann sie abschließen. Mit einer Petition hat sie 80.000 Unterschriften gesammelt, damit die Staatsanwaltschaft den Fall weiterverfolgt. Bis dahin bleibt die Ohnmacht. Wie damals.
Statistik der Polizei: Fallzahlen von Vergewaltigung um fast 25 Prozent gestiegen
Die Münchner Polizei hat im vergangenen Jahr 1472 Sexualdelikte verzeichnet - darunter 277 Vergewaltigungen, 177 Übergriffe und 371 sexuelle Belästigungen. Das sind 281 Taten mehr als in 2017 - ein Anstieg von 23,6 Prozent. Vermutlich liegt das auch daran, dass betroffene Frauen nach der #Metoo-Debatte jetzt schneller und häufiger Anzeige erstatten. So werden Straftaten, die bisher im Dunkeln lagen, bekannt und verfolgt. Zudem wird Grapschen nach der Strafrechtsreform nun auch als Sexualdelikt gewertet.
Zu wenig Beweismittel – trotz Täter-DNA
„Die Angaben von Nina Fuchs sind nach meiner Erfahrung absolut glaubhaft“, sagt ihr Münchner Anwalt Reinhard Köppe. „Sie hat bei der Kripo mehrfach umfassend ausgesagt, ohne sich in irgendwelche Widersprüche zu verstricken. Ihr Fall stellt aufgrund der vorhandenen Indizien eine Besonderheit dar und hätte niemals eingestellt werden dürfen.“
Genau das hat die Staatsanwaltschaft aber getan. Begründung: Der Tatnachweis könne „nicht mit der für eine Anklageerhebung erforderlichen Sicherheit geführt werden“. Der Täter, den die Polizei anhand von Sperma-Spuren ermittelt hatte, habe keine Angaben gemacht – und ein Mittäter den sexuellen Übergriff bestritten.
Brisant: Zunächst hatte sich die ermittelnde Staatsanwältin bei Nina Fuchs mit der Nachricht gemeldet: „Wir haben den Täter.“ Kurze Zeit später teilte sie der Geschädigten aber mit, dass der Fall doch eingestellt werde. Offiziell, weil Fuchs sich nicht genau erinnern kann und keinen der Täter wiedererkennt. Ohne weitere Beweismittel könne laut Staatsanwaltschaft „nicht nachgewiesen werden“, dass die Täter davon ausgingen, „die sexuellen Handlungen gegen den Willen der Geschädigten“ verübt zu haben. Zudem könne nicht ausgeschlossen werden, dass Nina Fuchs vor der Tat mit anderen Männern Sex gehabt habe.
Bitter für die Geschädigte, deren Anwalt Beschwerde gegen die Verfahrenseinstellung eingelegt hat. „Es existiert eine geschlossene Indizienkette dafür, dass der Geschlechtsverkehr gerade nicht einvernehmlich war“, sagt Reinhard Köppe. „Warum der Täter nicht angeklagt wurde, darüber kann ich nur spekulieren. Ich war an etlichen Verfahren in München beteiligt, in denen der oder die Täter trotz deutlich schlechterer Beweislage und nur aufgrund der vorhandenen Indizien wegen sexuellen Missbrauchs oder Vergewaltigung verurteilt worden sind.“ Mittlerweile liegt der Fall bei der Generalstaatsanwaltschaft. „Leider dauert die Prüfung hier immer noch an“, sagt Sprecher Klaus Ruhland. Er weiß: Die sehr kurze Nachweisbarkeit von K.o.-Tropfen kann die Ermittlungen in derartigen Fällen „enorm erschweren“, entscheidend sei daher die Beweislage.
A.Thieme
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