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München: Gerichtsvollzieher klingelt bei sechsköpfiger Familie - dann kommt überraschende Wende

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Eine sechsköpfige Familie in München-Neuperlach muss ihre Wohnung zwangsräumen. (Symbolbild)
Eine sechsköpfige Familie in München-Neuperlach muss ihre Wohnung zwangsräumen. (Symbolbild) © picture alliance/dpa / Martin Schutt

Während der dreijährigen Sanierung ihrer Wohnung wünschte sich eine 6-köpfige Familie in München eine Mietminderung - nun sind sie in der Corona-Pandemie wohnungslos.

Update vom 23. Juni, 19.45 Uhr: Romina und Kamil V. haben alles getan, um die Vierzimmerwohnung an der Sudermannallee (Neuperlach) bis Dienstag um 14 Uhr leer zu bekommen. Denn für diesen Termin hat sich der Gerichtsvollzieher angekündigt – um einen gerichtlichen Räumungstitel gegen die sechsköpfige Familie zu vollstrecken (siehe Erstmeldung). Drei Freunde helfen beim Ausräumen. Darunter ein Arzt, der extra seine Praxis zugesperrt hat und nun an der Sudermannallee Lampen abschraubt. Ein ehemaliger Kollege von Kamil V. schleppt Möbel und ist eine nervliche Stütze – V. muss immer wieder die Tränen unterdrücken. 

Kurz vor 14 Uhr steht die neue Eigentümerin, die die Wohnung Anfang des Jahres gekauft hat, vor der Türe. Dann eine Mitarbeiterin der Hausverwaltung – sie erklärt, ihre Aufgabe sei es, die Wohnungsschlüssel vom Gerichtsvollzieher entgegenzunehmen und der neuen Eigentümerin zu übergeben. 

München: Wohnungs-Zwangsräumung - plötzlich stellt Gerichtsvollzieher Hindernis fest

Schließlich kommt um Punkt 14 Uhr der Gerichtsvollzieher. Kamil V. bittet ihn um ein wenig Aufschub, noch sind nicht alle Möbel aus der Wohnung heraus. Um sie einzulagern, hat er am Chiemsee eine Garage gemietet – dort zahle er weniger als in München. In die Flexi-Unterkunft an der Wotanstraße, wo die V. zwei Zimmer als Übergangslösung zur Verfügung gestellt bekommen haben, kann die Familie mit den vier Töchtern (3, 5, 6 und 17 Jahre alt) nur das Nötigste mitnehmen. 

Dann aber stellt der Gerichtsvollzieher fest, dass er zum Termin am Dienstag gar nicht räumen kann. Denn im Beschluss steht nur Kamil V., nicht aber dessen Ehefrau, obwohl sie auch in der Wohnung lebt. Die Eigentümerin aber bräuchte einen neuen Titel. Sie einigt sich schließlich mit der Familie, die nun immerhin Aufschub bis Dienstag bekommt.

Familienvater mit vier Kindern macht Fehler mit fatalen Folgen - Gerichtsvollzieher klingelt

Erstmeldung vom 22. Juni: München - In der Küche gibt es keine Möbel mehr, im Wohnzimmer stapeln sich die Umzugskartons. Mit seiner Frau Romina und den vier Töchtern wird Kamil V. seine Vierzimmer-Wohnung in Perlach an der Sudermannallee am heutigen Dienstag verlassen. Nicht freiwillig! Für 14 Uhr wurde ein Zwangsräumungstermin angesetzt. „Ich brauche Hilfe“, sagt der verzweifelte Familienvater. Er hatte um Aufschub bis Mitte Juli gebeten, damit seine Tochter in Ruhe ihren Schulabschluss machen kann. Es half nichts.

München: „Mietminderung“ während Sanierung führt zu 10.000 Euro Schulden

Der Weg in den Schlamassel war lang: Im Juli 2013 zog die Familie ein. Das war kurz nachdem die Wohnung – der ganze Block gehörte früher der GBW und damit dem Freistaat Bayern – an die Investorengruppe um die Augsburger Gesellschaft Patrizia verkauft wurde. Damals noch mit nur einer Tochter, der mittlerweile 17-jährigen Laman, die derzeit mitten in den Prüfungen für den Qualifizierten Hauptschulabschluss steckt. 

Die Familie wuchs – und das Problem mit dem Vermieter ebenso: Während einer Sanierung vor etwa drei Jahren war der Balkon lange nicht begehbar – die Familie V. blieb zwei Monatsmieten schuldig, „als Mietminderung“, wie Kamil V. sagt. Ein Fehler, denn prompt folgte die rechtswirksame Kündigung. Die Familie blieb aber weiter in der Wohnung, zahlte statt Miete nun Nutzungsentschädigung – allerdings sind die ausstehenden Beträge inzwischen laut Gericht auf 10.000 Euro angewachsen.

In der Vierzimmer-Wohnung in der Sudermannallee ist die Familie V. seit 2013 zu Hause.
In der Vierzimmer-Wohnung in der Sudermannallee ist die Familie V. seit 2013 zu Hause. Die Eigentümerin setzt die Mieter jetzt vor die Tür. © Michael Westermann

München: Zwangsräumung von Wohnung - Sozialreferat schaltet sich ein

Im Winter wurde die Wohnung erneut verkauft – zum dritten Mal – und die neue Eigentümerin setzt die Familie jetzt endgültig vor die Tür. Im Bescheid des Gerichtsvollziehers für den Räumungstermin ist die „Sudermann S.a.r.l.“ aus Luxemburg als Auftraggeberin angegeben. Eine tz-Anfrage dort blieb bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe unbeantwortet.

Im Sozialreferat der Stadt München bemüht man sich um die Familie. Eine Sozialwohnung für sie ist nicht frei. Schließlich gelang es der zuständigen Sachbearbeiterin am Donnerstag immerhin, zwei Zimmer in einem Flexi-Heim aufzutreiben. Eine Zwischenlösung, doch es hätte schlimmer kommen können. Die Alternative für Kamil V., seine Frau sowie die vier Töchter Laman (17), Sophie (6), Emma (5) und Melissa (3) wäre die Obdachlosen-Unterkunft in der Bayernkaserne gewesen.

Mehr zum Thema Wohnen in Deutschland im Video:

München: Wohnungsverlust während Corona-Krise - und Familienvater verliert Job

Dass er im Frühjahr wegen der Corona-Pandemie* auch noch seinen Job als Parkraumüberwacher in Karlsfeld verloren hat, macht dem ehrenamtlichen Judo-Trainer (Turnerschaft Jahn in Bogenhausen) zusätzlich zu schaffen. Seine Frau Romina, die in Aserbaidschan Jura studiert hat, kann ihm auch nicht helfen, sie ist inzwischen mit der Lage völlig überfordert.

„Das ist tatsächlich ein Drama“, sagt eine Sprecherin des Sozialreferats der Stadt. Sie rät allen Mietern, die Probleme mit ihrem Vermieter bekommen, sich frühzeitig Rechtsrat und einen Beistand zu holen. Nicht nur bei Mietervereinen oder Fachanwälten gebe es kompetenten Rechtsrat – auch bei der Stadt München, und da sogar kostenlos. Die Mieterberatung beim Amt für Wohnen und Migration an der Franziskanerstraße 8 ist erreichbar unter der Telefonnummer 089/23 34 02 00.

Durch Zufall entgehen Mitarbeiter einer Katastrophe, als am Heimeranplatz ein Bohrgerät abstürzt und in ein Büro kracht.

In der Corona-Krise produzieren die Münchner mehr Müll. Dabei scheinen viele nicht zu wissen, dass auf ein Verhalten empfindliche Strafen drohen.

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