Münchens CSU-Fraktions-Chef Pretzl fordert ein Wohngeld für Münchner: „Normale Leute werden vergessen“

München ist nicht sozial genug – zumindest wenn es nach der CSU-Fraktion im Rathaus geht. Der frisch wiedergewählte Fraktionsvorsitzende Manuel Pretzl und seine Partei wollen das ändern und fordern mehr Unterstützung für Menschen mit mittleren Einkommen. Im Interview spricht Pretzl über die Pläne, seinen Umgang mit dem OB und übt Kritik am Programm der grün-roten Rathaus-Koalition.
München - Die Fraktion CSU und Freie Wähler hat gewählt. Manuel Pretzl ist erneut zum Vorsitzenden gekürt worden. Vor zwei Jahren war der 46-Jährige noch Bürgermeister, jetzt ist er Oppositionsführer. Ob er die Rolle angenommen hat und wo er Grün-Rot angreifen will, beantwortet er im Interview. Außerdem bringt er die Idee eines kommunalen Wohngeldes aufs Tapet, um die normalen Leute bei der Inflation nicht zu vergessen.
Herr Pretzl, Sie sind einstimmig zum Fraktionsvorsitzenden wiedergewählt worden. Es gab durchaus auch kritische Stimmen, Sie seien im Umgang mit OB Dieter Reiter (SPD) zu nett.
Manuel Pretzl: „Diskussionen gibt es immer. Das ist normal in einer Fraktion und auch gut so. Aber das Ergebnis ist einstimmig. Und das spricht für sich.“
Sind Sie zu nett zum OB?
Pretzl: (lacht) „Ich finde nicht, aber fragen Sie doch den OB. Grün-Rot wirft mir ständig vor, dass ich zu hart sei. Schauen Sie doch nur, was die auf Twitter über mich schreiben.“
Es gab im Stadtrat schon kritische Worte, die CSU regiere eigentlich noch mit, da sie immer noch drei Referenten stellt. Sie sind jetzt zwei Jahre in der Opposition, aber in der Rolle als Oppositionsführer noch nicht angekommen?
Pretzl: „Ich finde schon, dass wir bei den großen Themen die Aufgabe der Opposition angenommen haben. Schauen Sie doch die SEM an, den Tunnel Landshuter Allee oder die Soziale Bodennutzung. Da greifen wir voll an. Das heißt aber nicht, dass wir nicht mit Grünen und SPD stimmen, wenn es thematisch passt. Das ist Kommunalpolitik.“
Bei welchen Themen?
Pretzl: „Vermutlich bekommen wir mit der SPD das Tal hin, mit den Grünen stellen wir den Migrationsbeirat neu auf, und wir machen mit der SPD gemeinsam den BMW-Tunnel. Um unsere Anliegen durchzusetzen, suchen wir also sowohl mit der SPD als auch mit den Grünen Mehrheiten.“
Macht es es für Sie leichter, dass sich Grüne und SPD untereinander oft genug in den Haaren liegen?
Pretzl: „Sagen wir so, es erschwert es nicht. Aber dass diese Koalition nur aus dem Wunsch heraus zusammengehalten wird, Posten zu besetzen, ist offenkundig.“
Liegt es an den Grünen oder an der SPD?
Pretzl: „Dazu gehören immer zwei.“
Aber wer beschwert sich denn mehr über den anderen?
Pretzl: „Das ist ausgeglichen.“
Nach der Kommunalwahl hat die CSU neun neue Stadträte von ursprünglich 20. Fast die halbe Fraktion wurde ausgetauscht. Dennoch besteht der Eindruck, die Fraktion ist sehr viel Pretzl und ein wenig Hans Theiss.
Pretzl: „Die Arbeit verteilt sich auf sehr viel mehr Schultern, vor allem in den Ausschüssen. Das ist vielleicht noch nicht so rübergekommen, weil Corona doch die Arbeit erschwert hat. Es gab eben auch ein halbes Jahr keine Ausschussarbeit. Auch die Presse war zum Teil nicht da.“
Es gab aber auch eine deutliche Verjüngung der Fraktion, von denen hört man aber sehr wenig.
Pretzl: „Wir haben sehr viele gute junge Leute. Die werden deutlich häufiger zum Zuge kommen, nachdem jetzt alles wieder anläuft.“
Bei den Grünen zum Beispiel ist Mona Fuchs jetzt Fraktionsvorsitzende geworden, die ist auch erst zwei Jahre im Stadtrat. Der CSU-Vorstand ist derselbe wie vor zwei Jahren.
Pretzl: „In den nächsten Monaten wird es deutlich werden, dass die jungen Stadträte auch bei uns mehr Verantwortung übernehmen werden.“
Wo ist denn Ihr Ansatz für die nächsten Jahre, wie wollen Sie Grün-Rot politisch stellen oder machen die einfach einen guten Job?
Pretzl: „Im Gegenteil. Es gibt drei ganz konkrete Punkte, wo Grün-Rot total versagt: Wohnungsbau, ÖPNV-Ausbau und das Schulbauprogramm. Wir haben bei den Neubauwohnungen die niedrigsten Bau- und Genehmigungszahlen seit Jahren. Und wir laufen absehbar und bewusst in einen eklatanten Wohnungsraummangel hinein. Das liegt an der SoBon, an der Sozialen Bodennutzung. Grün-Rot hat den Anteil der Zahlen für günstige Wohnungen bei Neubauvorhaben eigenmächtig auf 60 Prozent erhöht, obwohl die Bauwirtschaft gesagt hat, dass dann niemand mehr bauen wird. Jetzt baut eben niemand mehr. Wir hatten seinerzeit die Zielzahlen von 40 auf 50 Prozent erhöht, aber in Absprache mit der Bauwirtschaft. Jetzt wird es ein Desaster, für das Grün-Rot verantwortlich ist.“
CSU-Chef Manuel Pretzl im Interview: „Das kostet zwar mehr, aber wir hätten 2031 die U-Bahn gehabt“
Das zweite Thema war der ÖPNV-Ausbau.
Pretzl: „Auch da versagen Grüne und SPD. In Freiham beispielsweise sollen bald bis zu 30 000 Menschen wohnen, das Gebiet ist aber nicht richtig erschlossen. Die U-Bahn kommt vielleicht in 15 bis 20 Jahren. Wir waren 2019 so weit, dass wir ein beschleunigtes Verfahren erreicht haben. Da wäre von beiden Seiten gegraben worden, und man hätte sich in der Mitte getroffen. Auch Bahnhöfe wären nicht hintereinander, sondern parallel entstanden. Das kostet zwar mehr, aber wir hätten 2031 die U-Bahn gehabt. Das wurde eingestampft von zwei Parteien, die beide den U-Bahn-Bau im Wahlkampf als Thema hatten.“
Aber es gibt doch ein großes Ausbauprogramm für die Tram.
Pretzl: „Ja, sie versprechen die Tram, verzetteln sich aber. Anstatt zwei oder drei Linien zu bauen, versprechen sie sechs oder sieben. Das soll in der Verwaltung alles gleichzeitig geplant werden. Aber Grün-Rot hat dafür zu wenig neue Stellen geschaffen. Dann planen Sie als Beispiel mit zehn Leuten sieben Linien anstatt drei. Das geht dann auch, aber es dauert länger.“
Sie kritisieren zudem den Schulbau.
Pretzl: „Wir hatten in unserer Amtszeit den Schulbau massiv gefördert. Jetzt wird alles nach hinten verschoben. Ich halte das für fahrlässig. Das wird uns nämlich wieder einholen, wenn die Schulen wieder überlaufen sind oder nicht saniert werden können und Kinder in Containern unterrichtet werden müssen. Wir werden den Menschen vor Ort schon sagen, wer dafür verantwortlich ist.“
Welche Schwerpunkte wollen Sie denn selbst setzen, nur kritisieren, bringt ja auch nichts weiter?
Pretzl: „Das übergeordnete Thema ist und bleibt eine bezahlbare Stadt. In München wird es immer schwieriger, auch für Menschen mit mittlerem Einkommen. Auf die schaut Grün-Rot nämlich nicht. Es kann ja nicht sein, dass auch Lehrer nicht mehr nach München wollen, weil sie hier zwar über die Runden kommen, andernorts aber mit dem Verdienst schon ein Haus gebaut und es abbezahlt hätten. Durch die Inflation verschärft sich die Situation. Und da geht es nicht um Menschen, die vielleicht schon vorher auf Unterstützung angewiesen haben. Denen muss man auch helfen, sicher. Aber mir geht es um die Leute, die sich zuvor noch einen Urlaub haben leisten können, aber jetzt überlegen müssen, ob sie mit dem Geld nicht lieber die Heizkosten zahlen.“
Münchens CSU-Fraktionschef Manuel Pretzl: „Ich fordere ein Wohngeld für Münchner“
Und was wollen Sie konkret erreichen?
Pretzl: „Ich fordere ein Wohngeld für Münchner. Einen Zuschuss für die arbeitende Mittelschicht: Krankenpfleger, Verkäufer, Busfahrer oder Kellner. Alle, die eben so über die Runden gekommen sind und deren Lebensgrundlage durch die Inflation gefährdet ist. Ich habe den Eindruck, dass gerade die SPD diese Menschen vollkommen links liegen lässt.“
Die SPD hat doch gerade einen Energiefonds auf den Weg gebracht ...
Pretzl: „... für Menschen, die die Heizkosten nicht mehr zahlen können. Natürlich muss man auch denen helfen. Aber mir geht es jetzt um diejenigen, die das schon noch können, aber dann eben nichts mehr haben, um zum Beispiel mal Essen zu gehen oder in den Urlaub zu fahren. Die ganz normalen Leute, die das verlieren, was das Leben ausmacht.“
Wie soll das Wohngeld gestaltet sein?
Pretzl: „Es gibt ein Bundeswohngeld, diese Grenzen sind aber für München viel zu gering. Bundeswohngeld greift zum Beispiel bei einem Alleinstehenden bis zu einem Nettoverdienst bis 1189 Euro. Da sind wir hier in München nahe der Armutsgrenze. Mein Vorschlag ist, dass wir das Wohngeld analog zu den Kriterien für das München Modell Miete einführen. Wer also Anspruch auf eine städtisch geförderte Wohnung hat, soll auch Anspruch auf das Wohngeld haben.“
Nennen Sie ein Beispiel?
Pretzl: „Für Alleinstehende liegt die Grenze bei rund 3400 Euro brutto. Diese Menschen hätten Anspruch auf eine geförderte Wohnung, aber wir wissen ja, wie lange die Wartelisten dort schon sind. Und warum soll denn die Person, die vielleicht den Sechser im Lotto hat und eine städtische Wohnung bekommt, unterstützt werden, die andere, die privat mieten muss, aber nicht? Das halte ich für unfair.“
Wie viel Wohngeld würde denn gezahlt und wie viele Münchner würden profitieren?
Pretzl: „Der Bezug muss sicherlich gestaffelt werden - je nach Einkommen. Aber 100 oder 200 Euro würden bestimmt dazu gezahlt. Ich schätze, dass in München mindestens mehrere Zehntausend Menschen Anspruch hätten. Wenn nicht sogar Hunderttausend. Das kommunale Wohngeld gab es übrigens schon einmal, Walter Zöller hat es mit der grün-schwarzen Stadtratsmehrheit 1989 eingeführt. Nachdem die SPD 1990 mit den Grünen die Mehrheit wieder hatte, wurde es einkassiert.“

Das ist der Blick zurück, nun der Blick voraus: Werden Sie OB-Kandidat?
Pretzl: (lacht) „Das entscheidet die Partei.“
Oder doch Clemens Baumgärtner oder Hans Theiss?
Pretzl: „Das entscheidet die Partei.“
Würden Sie denn wollen?
Pretzl: „Ein Fraktionsvorsitzender muss immer in der Lage sein zu kandidieren.“