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Münchens Gesichter der Revolution - so läuft hier der Freiheitskampf für den Iran

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Von: Phillip Plesch

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Sind Teil der Proteste in München: Die Exil-Iranerinnen Rabee Mokhtari Nejad (li.) und Maryam Shirinsokhan treffen
sich regelmäßig, um Demonstrationen zu organisieren.
Sind Teil der Proteste in München: Die Exil-Iranerinnen Rabee Mokhtari Nejad (li.) und Maryam Shirinsokhan treffen sich regelmäßig, um Demonstrationen zu organisieren. © Achim Frank Schmidt

Seit September kämpfen zahlreiche Iranerinnen und Iraner für ihre Freiheit und das Ende des Mullah-Regimes – ein revolutionärer Impuls, der auch in München zu spüren ist. Wir haben mit zwei der für die hiesigen Proteste Verantwortlichen über ihren Hintergrund und ihre Motivation gesprochen.

Die Ermordung der jungen Iranerin Mahsa Amini in Polizeigewahrsam war letztlich der Auslöser für die Proteste im Iran – und hat auch in Deutschland eine Bewegung in Gang gesetzt, die sich mittlerweile als Teil einer Revolution sieht. Maryam Shirinsokhan (47) geht regelmäßig in München auf die Straße – demnächst wieder am kommenden Sonntag. Sie lebt seit Oktober 2001 hier und arbeitet als IT-Spezialistin bei der Firma Webasto. Zu ihrer Motivation sagt sie: „Ich habe 26 Jahre unter diesem Regime gelebt und wirklich alles miterlebt. Das, was Mahsa Amini passiert ist, hätte uns allen passieren können.“ Da jahrelange Versuche, durch Reformen Veränderungen herbeizuführen, gescheitert sind, ist für sie klar: „Das Einzige, das jetzt noch hilft, ist das Ende des Regimes.“

Die Familie von Rabee Mokhtari Nejad (47) floh vor über 40 Jahren aus dem Iran. Seit ihrem zweiten Lebensjahr ist sie in Deutschland, seit über 20 Jahren in München. Nejad arbeitet seit 2008 in der psychiatrischen Klinik des LMU-Klinikums. „Die Protestanten im Iran stehen unter Lebensgefahr und ihnen droht Folter. Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit schützt die Menschen vor der Hinrichtung“, sagt sie. „Wenn wir jetzt nicht eintreten, sind diese Menschen ausgeliefert.“ Das gibt ihr die Kraft, sich neben ihrem normalen Job noch 30 Stunden pro Woche für die Freiheitsbewegung einzusetzen.

Das Münchner Kollektiv protestiert seit September

Das Kollektiv „Frauen. Leben. Freiheit München“ hat sich im September unmittelbar nach dem Tod von Mahsa Amini gegründet. „Das hat uns aufgerüttelt, und wir haben uns selbst gefragt, warum wir nicht vorher aktiv geworden sind“, sagt Mokhtari Nejad. Die Kerngruppe besteht aus elf Menschen, zum Großteil sehr jung. Dazu gibt es Unterstützung von etlichen Freiwillige, ohne die solche Aktionen nicht möglich wären. Die letzte Protestbewegung im Iran gab es im November 2019. Ein Unterschied zu damals sind die besseren Kommunikationswege und die Möglichkeit, Internet-Zensur zu umgehen. Zudem sei die Revolution diesmal generationen-, schichten-, geschlechter- und ethnienübergreifend sowie flächendeckend. „Von den jungen Menschen im Iran geht eine enorme Energie aus, das ist eine neue Generation“, erklärt Maryam Shirinsokhan.

Bisher gab es acht Kundgebungen in München, die größte war am 12. November auf dem Königsplatz mit rund 4000 Menschen. „Es hat lange gedauert, aber seitdem haben wir das Gefühl, dass das Thema in der Politik angekommen ist“, sagt Shirinsokhan. Die Mühen der Münchner würden im Iran wahrgenommen. „Das motiviert die Menschen, die dort ihr Leben aufs Spiel setzen, weiterzumachen.“ Auch die Instagram-Posts des Kollektivs würden in rund 5000 Kilometer Entfernung gelesen, erklärt Mokhtari Nejad. „Es ist ein junges, sehr internetaffines Volk. Die sozialen Medien haben die junge Generation maßgeblich geprägt, und das ist genau die, die jetzt auf der Straße ist.“ Zu seinen Erfolgen zählt das Kollektiv, dass sich der Münchner Stadtrat in seiner Vollversammlung Ende November öffentlich an die Seite der Protestierenden stellte.

Die größte Demo fand im November auf dem Königsplatz statt.
Die größte Demo fand im November auf dem Königsplatz statt. © Achim Frank Schmidt

Neben dem obersten Ziel, dem Ende des Regimes im Iran, hat das Kollektiv auch in Deutschland konkrete Anliegen. „Wir fordern die Beendigung der bisherigen Iran-Politik der Bundesregierung und der EU. Wir sehen aber, dass die Bundesregierung die alten Seilschaften offenbar noch nicht völlig durchtrennen möchte.“ Deutschland sei Irans stärkster Handelspartner. Dadurch würden die Mullahs Unmengen an Geld bekommen. „Um Druck aufzubauen, fordern wir, die Handelsbeziehungen der Bundesregierung mit dem Iran zu reduzieren.“ Denn der Iran sei für die deutsche Wirtschaft nicht überlebenswichtig.

Münchner stellen klare Forderungen an die Bundesregierung

Zudem fordern die Münchner, die Revolutionsgarde als Terrororganisation einzustufen. Diese paramilitärische Einheit ist 1979 zur Machterhaltung der Mullahs gegründet worden, die sich damals ebenfalls als Revolution sahen. „Die Revolutionsgarde ist heute ein internationales Terrornetz mit vielen wirtschaftlichen Zweigen. Somit können auch Sanktionen umgangen werden“, erklärt Mokhtari Nejad.

Laut ARD-Recherchen könnten auch die Anschläge auf Synagogen in Nordrhein-Westfalen im November auf die Revolutionsgarde zurückzuführen sein. Durch die Einstufung zur Terrororganisation würde eine wichtige Finanzierungssäule des Regimes deutlich eingeschränkt werden. Als weiteren Schritt fordert das Kollektiv die Schließung der Blauen Moschee in Hamburg. Die gilt als operatives Zentrum für Geheimdienst- und Spionagearbeit des Regimes in Deutschland.

Nach dem Tod von Mahsa Amini am 16. September kam es im Iran zu Massenprotesten (li.) gegen das Mullah-Regime.
Nach dem Tod von Mahsa Amini am 16. September kam es im Iran zu Massenprotesten (li.) gegen das Mullah-Regime. © privat

Die nächste Kundgebung in München ist für kommenden Sonntag, 8. Januar, geplant. Dort findet eine weltweite Aktion statt. Hintergrund ist der Jahrestag des Flugzeugabsturzes eines ukrainischen Passagierflugzeugs über Teheran. Ende Januar soll es eine weitere große Demonstration geben. „Wir wollen uns nicht nur auf Demos konzentrieren, sondern zum Beispiel mit Podiumsdiskussionen auch unsere Sichtbarkeit vergrößern“, sagt Shirinsokhan. Im Februar steht der Jahrestag der Revolution von 1979 an. Im Iran wird dann mit Paraden groß gefeiert und Machtstärke demonstriert. „Da werden wir eine Gegendemo organisieren“, stellen die Münchner klar.

Für sie ist wichtig, den Freiheitskampf der Menschen im Iran weiter sichtbar zu machen. Denn: „Es gibt keinen Weg zurück!“ Die Menschen im Iran kämpfen auch für unsere Freiheit, denn jeder Freiheitskampf stärkt unsere Grundrechte“, sagt Mokhtari Nejad. „Daher brauchen wir die Solidarität.“ Sie hätten alles, um eine neue Demokratie aufzubauen – und dadurch auch einen Teil zum Frieden im Nahen Osten beizutragen.

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