Münchner Miet-Wahnsinn: Sieben krasse Fälle aus der Landeshauptstadt

Dicht gedrängt saßen sie da am Dienstagabend in der Wirtschaft - aber Gaudi war’s keine... Tilman Schaich hatte gemeinsam mit anderen den ersten Mieterstammtisch organisiert. Hier die bizarren Fälle.
München - Bei dem neugegründeten Mieterstammtisch schließen sich Münchner zusammen, um sich gegen Immobilienspekulanten wehren zu können. Tilman Schaich war überrascht, wie viele Betroffene in die Wirtschaft „Frisches Bier“ im Schlachthofviertel kamen: „Die Resonanz ist überragend, allerdings im negativen Sinn. Wir haben jetzt 21 betroffene Mietshäuser aufgenommen - ich hatte mit höchstens zehn gerechnet.“
Auf die Idee war Schaich wegen des mehrfachen Verkaufs seines Wohnhauses in der Thalkirchner Straße 80 gekommen. „Wir Mieter leben im Unklaren. Zwar wurde die geplante Modernisierung im vergangenen November durch das Denkmalamt eingestellt, doch haben Bagger kürzlich unseren Hof eingerissen, machen es uns möglichst ungemütlich.“ Andere Mieter erleben Ähnliches. Wir waren dabei und kontaktierten auch die Eigentümer der Häuser. Antworten? Bisher Fehlanzeige. Immerhin signalisierten einige, dass sie in den kommenden Tagen Stellung beziehen wollen. Hier erzählen wir sieben dramatische Geschichten:

„Was passiert, erfährt man als Mieter immer zuletzt“
Dieter Helmer, Danklstraße 7, Sendling: „Wir Mieter haben ein ungutes Gefühl. Das Haus wird seit März saniert. Meiner Frau und mir wurden immense Mietsteigerungen durch geplante Modernisierungen angekündigt - unsere 85-Quadratmeterwohnung soll dann um 410 Euro teurer werden. Wir wohnen dort seit 1998, im Moment beträgt die Miete 711 Euro. Das Haus wurde 2012 verkauft, weil der Eigentümer verstorben war und die Erben die Erbschaftssteuer nicht bezahlen konnten. Nun sind wir Mieter die Leidtragenden. Noch im September 2012 haben wir eine Mietergemeinschaft gegründet. Von ehemals 15 Mietparteien sind noch neun hier, leerstehende Wohnungen werden nicht weitervermietet.
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Gerüste stehen seit Wochen vor dem Haus, im Dachgeschoss kommen zwei neue Wohnungen hinzu, und wir sollen Balkone bekommen. Die Arbeiten haben aber noch nicht begonnen - auch wenn es immer wieder heißt, dass bald angefangen würde. Wir befürchten, dass das Gerüst Jahre stehen wird. Außerdem haben wir Angst, dass es darauf hinausläuft, dass wir alten Mieter uns die Wohnungen irgendwann nicht mehr leisten können. Wir bekommen keine Antworten, wenn wir die neuen Eigentümer anschreiben. Meine Versuche, ins Gespräch zu kommen, sind gescheitert. Sie entschuldigen sich höflich, wenn man sie bei ihren Besuchen im Haus anspricht, aber weiter erreicht man nichts. Was passiert, erfahren wir immer zuletzt. Ich möchte in dem Haus bleiben - und ich sehe nicht ein, dass immer die Mieter diejenigen sein müssen, die ins Gras beißen.“
„Wir kämpfen weiter - auch wenn wir weniger werden“
Bettina Weicker, Kellerstraße 41, Haidhausen: „Wir werden kämpfen, auch wenn wir inzwischen nicht mehr viele sind. In unserem Haus leben von ehemals 17 Mietparteien noch zwei, zudem gibt es dort einen Gewerbebetrieb, dessen Zeitmietvertrag noch zehn Jahre läuft. Die anderen Mieter haben sich rauskaufen lassen oder sind ausgezogen. Vor einem halben Jahr stand plötzlich ein Kran vorm Haus für den Dachausbau - uns wurde im Zuge der Modernisierung eine Mietsteigerung um 120 Prozent in Aussicht gestellt. Das Haus in Haidhausen gehörte einer alten Dame, die keine Erben hatte und es der Tierrettung vermachte. Die verkaufte es, dann wurde es weiterverkauft. Ich lebe im Erdgeschoss mit meiner Schwester auf rund 80 Quadratmetern. Der Mietvertrag ist von 1972, wir haben ihn vom Lebensgefährten meiner Schwester übernommen, als er verstarb. Deshalb zog ich 2014 ein. 2017 wurde uns Mietern die Wohnung angeboten, da wir ein Vorkaufsrecht haben. Der Preis betrug unglaubliche 685 000 Euro. Ich kann nur sagen: Wir werden nicht aufgeben!“ Das Objekt wird im Internet angeboten als „Rarität im Herzen einer der begehrtesten Lagen Münchens: Altbau-Ensemble mit 17 Wohneinheiten, einer Gewerbeeinheit und großzügigem Innenhof“. Kaufpreis wird keiner genannt.

„Wir sollten 950.000 Euro für die Wohnung zahlen“
Herrmann Niemeyer, Bauerstraße 9, Hohenzollernplatz, Schwabing: „Ich lebe mit meiner Familie seit 40 Jahren am Hohenzollernplatz im Geburtshaus des ehemaligen Oberbürgermeisters Christian Ude. 2013 wurde das Haus erstmals verkauft, nach meinen Recherchen für acht Millionen Euro, 2017 zum zweiten Mal. Wir schätzen: Damals betrug der Preis bereits 15 Millionen Euro. Wir Mieter hätten das Haus gerne gekauft und eine Genossenschaft gebildet, aber vom ersten Verkauf erfuhren wir zu spät, und danach war das Haus zu teuer. Der neue Eigentümer wollte das Dachgeschoss ausbauen, doch die Lokalbaukommission hat ihr Veto eingelegt - ob das Bestand hat, wird sich zeigen. Uns wurde unsere Mietwohnung mit 97 Quadratmetern, in der unsere Kinder aufwuchsen, im Wege des Vorkaufsrechts für 950.000 Euro angeboten - irre! Auch die anderen Mieter bekamen Angebote, gekauft hat keiner. Wir Mieter müssen uns ein bezahlbares München erhalten. Lasst uns zusammenhelfen, damit die Politik uns nicht überhören kann!“
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„Der Verkauf macht uns Angst“
Barbara Hoffmann, Ohlmüller-straße 2, nahe Mariahilfplatz: „Unsere Vermieterin kündigte uns Ende Februar den Verkauf des Hauses an - wir glauben, dass er inzwischen über die Bühne ist. Eigentümerin war eine Erbengemeinschaft, unsere Ansprechpartnerin eine betagte Dame, die sich zur Ruhe setzen will. Doch unser 12-Mietparteien-Haus ist sanierungsbedürftig. Wasser- und Stromleitungen müssen wohl erneuert werden und vieles mehr. Zudem steht das Haus direkt an der Tram - es ist laut, und wenn man streicht, entstehen gleich neue Haarrisse. Wir leben dort seit 25 Jahren. Für unsere 87-Quadratmeter-Wohnung zahlen wir derzeit 1200 Euro warm. Bei einer Modernisierung könnten enorme Steigerungen auf uns zukommen. Der Verkauf macht uns Angst.“
„Im Hinterhaus müssen alle raus“
Julia Zeißler (36) Industriedesignerin, Fraunhoferstraße 13, Gärtnerplatzviertel: „Unser Haus wurde im Herbst 2017 von einer luxemburgischen Gesellschaft gekauft, vorher gehörte es einer Erbengemeinschaft. Nach dem Verkauf wurde den gewerblichen Mietern im Hinterhaus gekündigt - es soll für einen Neubau weichen, haben Vertreter des Eigentümers durchklingen lassen. Das ist schlimm, denn dort gibt es viele verschiedene tolle Einrichtungen: ein Malhaus für Kinder, einen Tierarzt, ein Yogastudio, ein Grafikatelier, eine Schneiderwerkstatt, eine Familienstelle, Psychologen, alles Mögliche. Alle sind verzweifelt! Das Vorderhaus, in dem ich in einer Wohngemeinschaft lebe, ist denkmalgeschützt. Wir Mieter haben Angst, weil wir nicht wissen, was uns erwartet. Eine erste Mieterhöhung haben wir schon hinter uns. Wir haben uns zusammengeschlossen, denn darin sehen wir die einzige Chance. Wir haben Angst.“
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„Wir schreiben alle Politiker an“
Petra Maier (54) und Rolf Heitmann (68), Schluderstraße 9, Neuhausen: „Bei uns ist der Staat der Spekulant. Wir leben in einem 110 Jahre alten Wohnblock der Eisenbahnbaugenossenschaft mit 503 Wohnungen. Der Erbpachtvertrag läuft 2030 aus, dann wird das Filetstück höchstbietend versteigert. Es sei denn, die Genossenschaft macht bis 2025 das Vorkaufsrecht geltend und bezahlt die Wahnsinnssumme von 7000 Euro für den Quadratmeter, insgesamt 128 Millionen Euro. Auf diesen Wert schätzte ein Gutachter im Auftrag der Deutschen Bahn das Haus. Es stand ehemals im Bundeseisenbahnvermögen, nun gehört es der Deutschen Bahn. Weil beim Vorkaufsrecht das Höchstpreisgebot gilt, soll dieses nun die Eisenbahnbaugenossenschaft zahlen, deren Mitglied ist seit 25 Jahren bin. Die Politik betont ständig, man wolle bezahlbaren Wohnraum schaffen, aber in unserem Fall wird der vernichtet. Wir fordern, dass das Höchstpreisgebot bei Genossenschaften nicht gilt, dazu muss das Gesetz geändert werden. Wir wollen dies mit einer Online-petition erreichen und haben auch sämtliche Bundestagsabgeordneten angeschrieben. Fälle wie unseren wird es immer mehr geben, denn viele alte Genossenschaftsverträge laufen auf Erbpacht - auch von der Post und ähnlichen ehemals staatlichen Unternehmen. Die Stadt München kann nicht helfen, da ihr der Grund schlicht nicht gehört.“
Der Münchner Miet-Wahnsinn geht weiter
Die Kaufpreise für Immobilien kennen bayernweit weiter nur eine Richtung. „Speziell in den prosperierenden Groß- und Universitätsstädten ist das Kaufpreisniveau weiterhin steigend und die Lage angespannt“, analysiert Stephan Kippes vom Immobilienverband IVD die Lage. Der Verband legte am Mittwoch den Marktbericht fürs Frühjahr 2018 vor. In München stiegen die Preise demnach zwar nicht mehr so stark wie zuvor - aber sie stiegen. „Wurden im Herbst 2017 noch Preissteigerungen von bis zu neun Prozent aufgerufen, liegen diese im Frühjahr 2018 deutlich unter diesem Wert“, weiß Kippes.
So legten Einfamilienhäuser um 5,1 Prozent zu, Baugrund für Geschossbauten um 4,8 Prozent. „Die anhaltende Verknappung auf dem Grundstücksmarkt verschärft die Situation weiter“, so Kippes. Deutlich wird das im Langfrist-Vergleich: Das durchschnittliche Einkommen legte in München zwischen 1995 und Frühjahr 2018 um 46 Prozent zu, die Kaufpreise im selben Zeitraum allerdings um beachtliche 146 Prozent.
Mietbremse soll wirken: Strafen für Luxus-Sanierer

Bisher hat die Mietpreisbremse kaum Wirkung entfaltet. Jetzt will Bundesjustizministerin Katarina Barley (49, SPD) dem Instrument zu neuer Durchschlagskraft verhelfen. In einem Gesetzentwurf sind etliche Verschärfungen vorgesehen. Neu sind etwa eine Auskunftspflicht für Vermieter, eine Deckelung der Mieterhöhung nach Modernisierung oder Strafen bei Luxussanierungen. So sollen Vermieter, die ihre Mieter durch die Ankündigung teurer Sanierungen vergraulen wollen, künftig mit Geldbußen bis 100 000 € bestraft werden können. Mieter, die durch starke Mietsteigerungen aus ihren Wohnungen vertrieben werden, sollen Anspruch auf Schadenersatz bekommen. Ab 2019 soll das Gesetz gelten.
Ein Mann nutzte die schwierige Situation auf dem Münchner Wohnungsmarkt aus: Er prellte Mietinteressenten um ihre Kaution und tauchte ab. Nun muss der Betrüger für mehrere Jahre ins Gefängnis. Eine Komplizin sitzt schon ein.
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Das Finanzamt München hat von einer Vermieterin verlangt, die Miete drastisch zu erhöhen. Doch die wehrte sich gegen die Forderung der Behörde.