München-Supermarkt geht mit völlig neuem Konzept an den Start: „Beispiel wird Schule machen“

Genossenschaftswohnungen gibt es schon lange. In jüngster Vergangenheit aber erfreut sich das Prinzip auch in anderen Bereichen wachsender Beliebtheit. Wir haben uns angesehen, wie ein Mitmach-Supermarkt funktioniert.
München - Klingeling! Immer wieder ertönt das Geräusch. Fehlermeldung. Quentin Orain (29) tippt auf dem Display der Kasse herum und legt die Stirn in Falten. „Hm. Finde ich Champignons nun unter C oder unter P wie Pilze?“, fragt er halblaut. Eigentlich arbeitet der Münchner als Projektleiter in der Autoindustrie. Heute sitzt er zum ersten Mal an der Kasse im „Food Hub München*“, dem bislang einzigen solidarischen Mitmach-Supermarkt der Stadt an der Deisenhofener Straße in Giesing.
Am Tag der Eröffnung geht es turbulent, ja etwas chaotisch zu. Und das ist gewollt. Genau genommen sind die Kunden nämlich genossenschaftliche Mitglieder, Miteigentümer und Mitarbeiter des Ladens. Für 180 Euro einmaligen Beitrag und zehn Euro pro Jahr können die Mitglieder hier auf 300 Quadratmetern aus einem Vollsortiment schöpfen. Aber nur, wenn sie mindestens drei Stunden pro Monat mitarbeiten – in der Verwaltung, an den Regalen oder eben an der Kasse. „Man kann alles lernen“, sagt Kristin Mansmann, eine der drei hauptberuflichen Vorstände.
Neuer Supermarkt in München: „Etwa fünf Passanten pro Tag als neue Mitglieder“
Während Mansmann die Mitarbeiter einweist, bleiben viele Obergiesinger neugierig am Schaufenster stehen. „Wir haben in den vergangen zwei Wochen, in denen wir hier alles vorbereitet haben, etwa fünf Passanten pro Tag als neue Mitglieder gewonnen. Wir wachsen schnell“, sagt die Volkswirtin. Nur wer Mitglied ist, darf nämlich hier einkaufen – gemeinsam mit einem Freund oder zwei Haushaltsangehörigen. Bislang zählt die Genossenschaft 710 Mitglieder, noch können viele weitere dazukommen. Die Preise in dem nicht profitorientierten Markt liegen für die meisten Produkte nur ungefähr 30 Prozent über dem Einkaufspreis – die Mitglieder sparen also auch.
Mansmann: „Ich habe für meine vierköpfige Familie durchgerechnet: Ich spare rund 20 Prozent im Vergleich zum normalen Markt.“ Software-Entwickler Marco P. hat einen anderen Beweggrund: „Hier entsteht ein Gemeinschaftsgefühl und man weiß abends, was man getan hat“, sagt er. „Ganz anders als im Homeoffice daheim am Computer.“ Hinten links am Fleischregal liest eine Kundin einen Aushang. Ein Bild von Schweinen auf einer Wiese. Daneben steht: „Sau Nr. 1, zerlegt 6.7.21“.

„Food Hub“-Supermarkt in München: Mitglied sicher - „Dieses Beispiel wird Schule machen“
Jedes für „Food Hub“ verarbeitete Schwein bekommt eine Nummer, der Kunde ist nah am Händler. Rund 80 sind es derzeit, alle kommen aus der Region. „Die Kirschen hat uns gestern ein Bauer geliefert, so frisch bekommst du deine Ware nirgends“, sagt Uwe Linke aus Sendling, der in den vergangenen Tagen mit gewerkelt hat und sich nun mit dem ersten Einkauf im eigenen Laden belohnt. Er ist sich sicher: „Dieses Beispiel wird Schule machen.“
Mitinitiatorin Kristin Mansmann fügt hinzu: „Nachahmer sind erwünscht. Wir haben uns schon für einen Laden in Schwabing-West* beworben.“ An der Kasse geht es immer noch recht langsam voran. Knapp zehn Minuten dauert es, bis Uwe Linkes Wocheneinkauf gescannt ist. Die Kresse? Nicht ausgezeichnet. Da läuft Linke selbst schnell zum Salatregal. Er kennt sich hier schließlich schon ein wenig aus. Der Sendlinger hat Verständnis und wartet gerne. Wer weiß: Vielleicht sitzt er ja selbst bald hinter der Kasse. *tz.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.