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Die rabenschwarze Winterbilanz der S-Bahn

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Die S-Bahn-Pendler brauchen in diesem Winter viel Geduld: Weichenstörungen, aber auch Notarzteinsätze sorgen oft für Störungen auf der überlasteten Stammstrecke
Die S-Bahn-Pendler brauchen in diesem Winter viel Geduld: Weichenstörungen, aber auch Notarzteinsätze sorgen oft für Störungen auf der überlasteten Stammstrecke © Schlaf

München - In diesem Winter haben die S-Bahnpendler neben dem Schnee nur eines satt: Die Störungen bei der S-Bahn. Die tz zieht Bilanz und fragte Wirtschaftsminister Martin Zeil, was sich ändern muss.

Im Dezember rauschten die Pünktlichkeitswerte des wichtigsten Verkehrsmittels im Großraum München tief in den Keller. Doch auch im Januar reißt die Pannenserie nicht ab. Sowohl am Montag als auch am Dienstag gab es reihenweise Störungen, Verspätungen und Zugausfälle. Ein Bahn-Mitarbeiter, der ungenannt bleiben will: „Dienstag früh war in 90 Minuten von 7.30 bis neun Uhr keine einzige von 100 S-Bahnen auf die Minute pünktlich. Zusammen hatten die Züge 720 Minuten oder 12 Stunden Verspätung“.

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Die jüngsten Fälle: Sowohl am Montag früh als auch am Nachmittag in der Hauptverkehrszeit war der Fahrplan reine Glückssache. Verspätungen zwischen zwei und 20 Minuten waren die Regel. Grund am Vormittag: Zwei Notarzt-Einsätze und eine defekte Weiche. Am Nachmittag zog ein Unbekannter zur Hauptverkehrszeit in einer S 2 am Marienplataz die Notbremse. Der Zug stand 15 Minuten und brachte den Fahrplan durcheinander. Dienstag früh war war ein Bahnübergang an der Leienfelsstraße gestört. Folge: Verspätungen und Zugausfälle, weil die S-Bahnen der S 4 aus Geltendorf nur noch langsam und mit einzeln erteilten Fahrbefehlen die Stelle passieren durften. Doch wer es bis zur Stammstrecke geschafft hatte, musste weiter warten: Hier sorgte eine Weichenstörung am Ostbahnhof für Stop-and-go auf der Stammstrecke und bis zu 20 Minuten Verspätung. Um 13 Uhr wurde dann der Verkehr auf der S 4 zwischen Puchheim und Geltendorf wegen eines Unfalls gesperrt. Bahnsprecher Franz Lindemair: „Aufgrund der dichten Belegung der Stammstrecke wirken sich Störungen auf einzelnen Linien leider auf die anderen Züge auch aus, sodass keiner mehr hundertprozentig pünktlich sein kann.“

Häufige Stellwerks-Störungen: Zuletzt ging am Samstag der Stellwerks-Rechner in Pasing in die Knie – mit den bekannten Folgen von Verspätungen und Zugausfällen. Gleich am ersten richtigen Arbeitstag des Jahres, dem 10. Januar, hatte sich ein Computer im störungsanfälligen Stellwerk Ostbahnhof verabschiedet. Hunderttausende starteten gleich mit den alten Bahn-Problemen ins neue Jahr. Andreas Barth, Sprecher des Fahrgastverbandes Pro Bahn, kritisiert: „Die Infrastruktur passt nicht. Bei den Rechnern müsste eine Rückfallebene her, wenn einer ausfällt. Verkehrsminister Martin Zeil sagte bereits vergangenen Juli verschiedene Maßnahmen zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Stammstrecke wie zusätzliche Rechner zu.“ Passiert ist offenbar nichts.

Winter-Chaos im Dezember: Laut Münchner Merkur waren im Dezember nur 84 Prozent der S-Bahnen pünktlich oder weniger als fünf Minuten verspätet (absolut pünktlich dürften damit nur 64 Prozent der Züge gewesen sein). Am 15. Dezember sackte der Wert nach einer Oberleitungsstörung sogar auf den Negativ-Rekord von 47,9 Prozent ab. Zu wenige Züge: Im Dezember waren zu wenige Züge einsatzfähig – obwohl die S-Bahn vom Einsatzbestand (238 Triebwagen) nur 212 benötigt. Folge: Viele Passagiere waren in der Hauptverkehrszeit in den Waggons eingepfercht. Andreas Barth von Pro Bahn: „Die Werkstätte Steinhausen ist wegen der Wartung der Nahverkehrszüge völlig überlastet. Im Regionalverkehr wirkt sich das noch stärker aus: Auf der Strecke Murnau-Oberammergau fuhren wochenlang wegen Fahrzeugmangels Busse statt Züge.“

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Martin Zeil, Bayerns Wirtschafts- und Verkehrsminister, im tz-Interview:

Im Dezember hatte die S-Bahn die schlechtesten Pünktlichkeitswerte seit langem. Alleine Dienstag früh zur Hauptverkehrszeit war kein Zug pünktlich. Können Sie dieses Chaos erklären?

Martin Zeil: Der Dezember ist wie bei allen Verkehrsträgern auch bei der S-Bahn München nicht wunschgemäß verlaufen. Die Summe der kleineren Verspätungen führte im Ergebnis zu deutlich unterdurchschnittlichen Pünktlichkeitswerten, mit denen ich keinesfalls zufrieden bin. Im Januar hat sich die Situation deutlich entspannt. Leider gab es wieder Probleme mit der Stellwerkssoftware. Die Stellwerksrechner für den Ostbahnhof und für die Stammstrecke sind für den gesamten S-Bahn-Betrieb von existentieller Wichtigkeit, weshalb ich gegenüber der DB gerade hier nachdrücklich auf einem Konzept bestehe, um die Verfügbarkeit signifikant zu erhöhen. Die Verspätungen am Dienstag sind allerdings nur zum Teil auf das Stellwerk am Ostbahnhof zurückzuführen. Wesentlich stärkere Auswirkungen hatte ein Notarzteinsatz am Marienplatz. Hier zeigt sich wieder ganz deutlich, dass die Stammstrecke das Nadelöhr der Münchner S-Bahn ist und wir hier mit dem 2. S-Bahn-Tunnel für Verbesserung sorgen müssen.

Martin Zeil Bayerns Wirtschafts- und Verkehrsminister
Martin Zeil Bayerns Wirtschafts- und Verkehrsminister © Haag

Welche Konsequenzen ziehen Sie?

Zeil: Es muss die Verfügbarkeit der Stellwerksrechner sobald wie möglich deutlich verbessert werden. An der Forderung halte ich ohne Abstriche fest.

Sind Sie mit der Qualität der S-Bahn zufrieden?

Zeil: Hier muss man differenzieren. Einen ersten Erfolg der S-Bahn München sehe ich darin, dass der Betrieb insgesamt stabiler geworden ist. In über 95 Prozent der Fahrten ist die S-Bahn – abgesehen von einzelnen Großstörungen wie am Dienstag und vergangenen Samstag – pünktlich. Wir haben aber leider noch zu viele neuralgische Punkte wie die Stellwerke und die Netzinfrastruktur. Hier sehe ich vor allem den bundeseigenen Infrastrukturbetreiber DB Netz in der Pflicht. So viele Weichen- und Signalstörungen wie im Dezember dürfen nicht mehr vorkommen.

Gibt es da Systemfehler oder woran liegt es, dass das S-Bahn-System schlechter funktioniert als in den Vorjahren?

Zeil: Das möchte ich so nicht stehen lassen. Insgesamt ist die Pünktlichkeit der S-Bahn München in den letzten Jahren kontinuierlich und spürbar angestiegen. Leider gibt es aber immer noch zu viele größere Störfälle, die sich rasch auf das gesamte S-Bahn-Netz und damit auch auf den Regionalverkehr auswirken.

Täglich kommt es zu Störungen. Defekte Bahnübergänge, kaputte Weichenheizungen sind ein Beispiel. Kann es sein, dass das Bahnnetz nicht ordentlich gewartet wird und bei der Instandhaltung an den Fahrzeugen zu viel eingespart wurde?

Zeil: Wir bezahlen Monat für Monat enorme Beträge an Trassenentgelten. Ich verlange, dass diese Beträge dort wieder investiert werden, wo sie erwirtschaftet werden, nämlich in das bayerische Schienennetz. Die Werkstattkapazitäten sind zu knapp bemessen. Auf Dauer kann der Wartungsrückstau nicht mit Sonderschichten abgearbeitet werden. Das bedeutet, dass die Verkehrsunternehmen nicht um eine Ausweitung der Werkstattkapazitäten herumkommen.

Die S-Bahn ist eine Cash-Cow für den Konzern: Trotzdem sind viele S-Bahnstationen heruntergekommen. Wie wollen Sie das ändern?

Zeil: Ich habe bereits mehrmals an das Bundesverkehrsministerium appelliert, dass sich hier etwas ändern muss.

Interview: K.H. Dix

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