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Sprengstoff-Entsorgung: Wer bezahlt die 200.000 Euro?

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Von: Johannes Heininger

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Seit über 60 Jahren schlummert unter mehreren Grundstücken am Zwergackerweg in Freimann ein Pulverfass – gefüllt mit rund zehn Tonnen hochexplosivem Sprengstoff, der schon bei der geringsten Erschütterung jederzeit ein Inferno auslösen könnte!

München - Seit mehr als 60 Jahren schlummert unter zwei benachbarten Grundstücken am Zwergackerweg in Freimann im wahrsten Sinne des Wortes ein Pulverfass: etwa zehn Tonnen hochexplosiver Sprengstoff. Fünf lange Jahre lebt Melitta Meinberger (72) mittlerweile mit der Gewissheit, dass nur wenige Meter neben ihrem Schlafzimmer Granaten, Sprengsätze und panzerbrechende Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg vergraben sind. Am Montag haben die Bergungsarbeiten begonnen, erst am 9. Mai sollen sie abgeschlossen sein.

Um 9 Uhr in der Früh rückte der Kampfmittelräumdienst in der beschaulichen Siedlung im Münchner Norden an. Anwohner Richard Krahmer hatte da schon längst seine Vorkehrungen getrofffen. Er muss für sein Ingenieurbüro schnell einen anderen Standort finden – denn sein Haus liegt in der Sperrzone, die Sprengstoffexperte Heinrich Bernhard Scho im Umkreis von 50 Metern um den Garten von Melitta Meinberger gezogen hat. Auch Rudolf Mende muss künftig werktags zwischen 8 Uhr und 16 Uhr sein Haus verlassen. Eigentlich dachte er, sein Grundstück liege knapp außerhalb der Gefahrenzone. Doch das sah Scho am Montag anders – und beorderte auch den 68-Jährigen aus seinen vier Wänden.

Wir erklären die explosive Lage. Dazu gehört auch die Frage, wer den Einsatz zahlen muss. Denn: Möglicherweise bleibt die Grundstücksbesitzerin auf den geschätzten 200.000 Euro sitzen.

Die Besitzerin

Nervös tritt Melitta Meinberger auf der Stelle. Schon lange wartet sie darauf, dass ihr Garten endlich von dem explosiven Schrott befreit wird – bis zu sechs Meter tief liegen die Granaten. Sprengstoff sei grundsätzlich gefährlich, erklärt Experte Scho – aber je länger er im Boden liegt, desto unberechenbarer werde er. „Wir müssen jede Baggerschaufel Erdreich mit der Hand vorichtig durchsuchen“, sagt Scho. Sogar im Betonfundament des Hauses könnten Sprengkörper eingeschlossen sein. Scheibchenweise soll der Sockel mit Spezialgerät angesägt und untersucht werden.

Seit Jahren ist Melitta Meinberger bewusst, dass ihr Grundstück umgepflügt werden muss – das Ausmaß kannte sie freilich nicht, genauso wenig wie eine Antwort auf die Frage: „Wie soll ich denn das alles bezahlen?“ Die 72-Jährige ist als Grundstücksbesitzerin rein rechtlich dazu verpflichtet, die rund 200.000 Euro für die Entsorgung zu bezahlen (siehe unten). 

Die Rentnerin sieht das aber nicht ein. „Ich bin ja nicht Schuld an dieser Lage.“ Schon seit dem Jahr 2012 – damals wurde beim Abriss des Nachbarhauses der riesige Munitionsbunker entdeckt – kämpft sie darum, von den Kosten befreit zu werden. Im Jahr 1950 hatten ihre Eltern das Areal als Baugrund gekauft. Über gefährlichen Waffenschrott wusste damals allerdings noch niemand Bescheid. Der Fund von Freimann ist denn auch keine Seltenheit: „Wir hatten schon öfter derartige Funde in Gärten, Bächen und Flüssen“, sagt Bombenspezialist Scho. Die immens hohen Kosten für die Beseitigung seien von vier Faktoren abhängig: Personal, Maschinen, Zeit und Entsorgung.

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Melitta Meinberger. © Götzfried

Zufällig spaziert am Montag Wolfgang M. Heckl, der Direktor des Deutschen Museums in München, mit seinem Hund vorbei. Er wohnt in der Nähe, ist aber nicht betroffen. Er kann nicht verstehen, warum das Entfernen der Weltkriegs-Überreste für die Eigentümer des Grundstücks so teuer wird. „Wenn sie Öl gefunden hätten, hätte es ihnen auch nicht gehört“, sagt er. „Man kann nicht die Leute auf 200 000 Euro sitzen lassen.“

Die Anwohner

In seinem Haus schräg gegenüber dem Bomben-Grundstück darf Rudolf Mende (68) während der Bergungsarbeiten in den nächsten zwei Monaten nicht bleiben – dafür aber in seinem Garten. Mitten durch das Grundstück des Rentners haben die Sprengstoffexperten die Sperrzone gezogen. Sein Haus liegt im roten Bereich. Nimmt man es genau, dürfte er aber gemütlich im Liegestuhl Zeitung lesen, während 50 Meter weiter Heinrich Bernhard Scho eine Mörsergranate entsorgt. „Das werde ich natürlich nicht machen“, sagt Mende, „da gehe ich lieber woanders hin. Aber zu dieser Jahreszeit kann ich mich nicht den ganzen Tag an die Isar legen.“ Viel mehr Spaß macht ihm sowieso die Arbeit mit Behinderten. Er hilft ehrenamtlich im Förderzentrum Freimann. Als vor zwei Jahren der erste Teil des Munitionslagers auf dem Nachbargrundstück entdeckt wurde, machte er Fotos von der Bergung.

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Rudolf Mende. © Götzfried

Der Sprengmeister

In dem trichterförmigen Bunker aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs wurden tonnenweise Granaten, Bomben und Minen jeden Kalibers und unterschiedlicher Herkunft entsorgt. Quasi eine Müllhalde des Kriegs. „Wir werden viel russische Munition finden“, sagt Kampfmittelexperte Heinrich Bernhard Scho (49). Sprengstoff sei grundsätzlich gefährlich, meint er – aber je länger er im Boden liegt, desto unberechenbarer werde er. „Wir müssen jede Baggerschaufel Erdreich mit der Hand vorsichtig durchsuchen“, sagt Scho. Sogar im Betonfundament des Hauses von Melitta Meinberger könnten Sprengkörper eingeschlossen sein. Scheibchenweise soll der Sockel mit Spezialgerät aus sicherer Entfernung angesägt und untersucht werden. Der Fund von Freimann ist laut Scho keine Seltenheit: „Wir hatten schon öfter derartige Funde in Gärten, Bächen und Flüssen.“ Die hohen Kosten für die Beseitigung rechtfertigt Scho mit vier Faktoren: Personal, Maschinen, Zeit, Entsorgung. Die Sprengkörper werden abtransportiert und auf sicherem Gelände zerstört.

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Heinrich Bernhard Scho. © Götzfried

Wer zahlt die 200.000 Euro?

Das wird teuer! Die Sprengstoff-Entsorgung von Freimann wird rund 200.000 Euro ­kosten. Und wer zahlt? Möglicherweise die Besitzerin des Grundstücks selbst, also ­Rentnerin Melitta Meinberger. Im ­Allgemeinen Kriegsfolgegesetz ist seit 1950 zwar geregelt, dass eigentlich der Bund ­zuständig ist – allerdings nur für deutsches Sprengmaterial, nicht für ausländische ­Bomben. Womit der Schwarze Peter ­automatisch zum Grundbesitzer wandert. In Meinbergers Fall werden jetzt allerdings Stimmen aus der Stadtpolitik laut. „Die Münchner Familie kann sich die Kampfmittelentschärfung und -räumung schlicht nicht leisten“, sagt CSU-Stadtrat Richard Quaas (64). Für solche Fälle gebe es Hilfsfonds.

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Akute Explosionsgefahr! So mancher Anwohner in der Sperrzone hat bereits seine Fenster mit Sandsäcken verbarrikadiert © Götzfried

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