Internetbetrug: „Staat lässt die Bürger allein“

München - Die Betrugsfälle im Internet nehmen deutlich zu. Im tz-Interview kritisiert Münchens Polizeipräsident Prof. Dr. Wilhelm Schmidbauer die Politik und die Verfassungsrichter.
Immer frechere Betrügereien bei Online-Geschäften; Tausende von Strafanzeigen gegen dubiose Internet-Anbieter, die wegen mangelnder Ermittlungsmöglichkeiten verpuffen: Die Betrugsfälle im Internet nehmen deutlich zu.
So hat der tz-Bericht über Inkasso-Forderungen für unerwünschte Software-Programme zahlreiche Reaktionen von Lesern ausgelöst, die ähnliche Probleme hatten.
Auch Münchens Polizeipräsident Prof. Dr. Wilhelm Schmidbauer schrieb der tz: Er hoffe, dass dieser Artikel „den Gesetzgeber auf einen wichtigen Handlungsbedarf aufmerksam macht“. tz-Politikchef Klaus Rimpel sprach mit dem Polizeipräsidenten über die Schwierigkeiten der Ermittler, gegen Online-Kriminalität vorzugehen.
Herr Prof. Schmidbauer, wie kann es sein, dass Tausende von Bürgern dieselbe Firma anzeigen, weil sie sich betrogen fühlen – und man kann den Internet-Schwindlern nichts nachweisen...
Münchens Polizeipräsident Prof. Dr. Wilhelm Schmidbauer: Weil die momentane Diskussion über Internet-Kriminalität und Datenschutz scheinheilig geführt wird! Die Freiheit im Netz wird zum schützenswerten Selbstzweck erhoben. Den Bürgern wird vorgegaukelt, sie hätten dieselbe Sicherheit wie in der realen Welt. Gleichzeitig aber werden die Instrumente, die die Polizei benötigt, um Internet-Straftäter zu überführen, abgeschafft. Mittlerweile haben sich neue Wirtschaftszweige entwickelt, die gezielt diese staatlichen Defizite auffangen. Aber das können sich nur große Firmen leisten. Der normale Bürger bleibt schutzlos. Es ist aber gefährlich für die Demokratie, wenn die Bevölkerung das Gefühl bekommt, sie könne von der Polizei hier nicht ausreichend geschützt werden!
Nach Meinung vieler Internet-User ist der Datenschutz schon jetzt im Zuge des Anti-Terror-Kampfs viel zu sehr aufgeweicht worden. Verstehen Sie die Sorge vor dem „Gläsernen Bürger“?
Schmidbauer: Wir als Polizei haben es nicht geschafft, die Gesellschaft davon zu überzeugen, dass diese Überwachungsängste unbegründet sind. Das Tragische daran ist, dass eine Überwachung ja tatsächlich erfolgt – aber nicht durch den Staat. Seit 2004 haben wir in München nur dreimal eine Wanze in einer Wohnung angebracht. Man wird im Netz nicht vom Staat überwacht, sondern von Bekannten, Freunden, vor allem aber von Neugierigen und von Konzernen, die gezielte Werbekampagnen starten wollen. Und von einer neuartigen Kriminalität, die ganz gezielt das Internet ausnutzt, um sich auf Kosten der User zu bereichern.
Nach dem Verfassungsgerichtsurteil zur Vorratsdatenspeicherung hat die Polizei derzeit keine Möglichkeit, bei einem Betrug die Verkehrsdaten des Täters vom Provider zu erhalten. Was fordern Sie da vom Gesetzgeber?
Schmidbauer: Das Bundesverfassungsgericht spielt in diesem Bereich nicht immer eine glückliche Rolle. Die höchsten Richter betonen stets ihre Rolle als Hüter der Freiheit, aber sie sollten natürlich auch die Hüter der Sicherheit sein – denn Freiheit ohne Sicherheit gibt es nicht. Das sieht man beispielsweise bei der Vorratsdatenspeicherung: Wir haben die obskure Situation, dass der Betrug strafbar ist, aber wenn ein konkreter Betrugsverdacht da ist, kommen wir trotzdem nicht an die Daten heran. Oder: Wenn eine Vergewaltigung auf einem Handy gefilmt und verbreitet wird, kommen wir nicht an die Daten heran, sofern es ein Einzeltäter war – nur wenn die Frau von mehreren Tätern vergewaltigt wurde, wird der Polizei der Zugriff auf die Daten erlaubt. Wie das mit unserem Wertesystem zu vereinbaren ist, verstehe ich nicht.
Als einer von zigtausend Geschädigten im Fall von Content Services habe ich von der Telekom nicht einmal die eigenen Verbindungsdaten einsehen dürfen. Die Einsicht darf nur die Staatsanwaltschaft beantragen – ist hier der Datenschutz nicht auf den Kopf gestellt, wenn ich die eigenen Daten nicht bekomme?
Schmidbauer: Das sind Auswüchse, die der Bürger nicht mehr verstehen kann. Wo bleibt da die Freiheit des Bürgers, seine Daten einzusehen? Die Politik traut sich immer weniger, dem Bürger zu sagen, dass er bei Internet-Betrug vom Staat weitgehend allein gelassen wird. Statt die Gesetzeslage zu verändern, eröffnen die Politiker lieber Nebenkriegsschauplätze, indem sie den Verbrauchern lediglich erklären: Ihr müsst aufpassen, welche Daten ihr ins Netz stellt. Das ist schon richtig. Aber damit wird nur ein schlechtes Gewissen suggeriert: Wenn ihr betrogen werdet, seid ihr selber schuld. Aber wo kann man im Internet einkaufen oder buchen, ohne Namen, Geburtsdaten oder Kontonummern zu hinterlassen?
Angesichts der weltweiten Vernetzung der Internet-Betrüger: Wie gut funktioniert die grenzüberschreitende Ermittlung?
Schmidbauer: In Teilbereichen ist die Zusammenarbeit der Staaten hier sicher noch verbesserungsbedürftig. Wenn E-Mails in Sekundenschnelle um den ganzen Globus gehen, ist unser herkömmliches Rechtssystem dem nicht gewachsen. Da brauchen wir veränderte Rechtsnormen, die eine sofortige Beweissicherung möglich machen. Aber ich bin nicht der Meinung mancher, die sagen, nur eine Art Internet-Weltpolizei kann den Problemen begegnen. Das braucht’s nicht – denn die Täter sind örtlich verankert, und dort können wir sie kriegen.
Interview: Klaus Rimpel