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Umzug in einen Wohnwagen? Die Angst vereint Münchens Mieter

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Von: Susanne Sasse

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Das Leben in München wird immer teurer. Viele Mieter haben Angst vor Luxussanierung, horrenden Mieten oder Kündigung. Wir schildern einige der Fälle vom dritten Mieterstammtisch.

München - Die vier Alt-Schwabingerinnen sind in großer Sorge. Denn die Mietshäuser in Schwabing in der Bauerstraße 10 und 12, in denen sie seit Jahrzehnten leben, gehören seit zwei Jahren einer Vermögensverwaltung, der Rock Capital Group. „Wir Alten sind hier, um unsere Interessen und die der jungen Familien zu vertreten“, sagt Inge Götze, Mieterin seit 1986. Sie ist mit ihren Nachbarinnen Rutraut Freytag, Elisabeth Singer und Ariane Huber-Loth ins Feierwerk gekommen, um am Mieterstammtisch ihr Anliegen mit Gleichgesinnten zu diskutieren.

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Seit zwei Jahren würden Wohnungen, die frei werden, nicht neu vermietet, berichten die vier Damen. Zehn der 40 Wohnungen stünden inzwischen leer, ebenso die im ausgebauten Dachgeschoss. Rotraut Freytag, seit 1976 im Haus, Elisabeth Singer, seit 50 Jahren im Haus, Ariane Huber-Loth, seit 1960 in dem Haus und Inge Götze sind beunruhigt. „Es herrscht eine gespenstische Stille, die uns sehr nervös macht“, sorgt sich Inge. Früher sei das anders gewesen: Einst gehörten die Häuser der Winterthur-Versicherung, die habe sich gekümmert. Dann kauften die Beamtenversicherung, dann Bilfinger Berger, dann die Axa, schließlich Rock Capital die Immobilie. Angst haben die Damen davor, dass das Haus im kommenden Februar aus der Erhaltungssatzung fallen könnte. Denn 2017 habe Rock Capital Pläne eingereicht, nach denen hinter dem Haus Nummer 10 ein viergeschossiger Bau errichtet werden soll und eine Tiefgarage. „Wir haben Angst, dass sich Schwabing sehr verändert“, sagt Rotraut Freytag.

„So transparent wie eine Kartoffelsuppe“

Peter Schraufstetter hat nur einen mündlichen Vertrag.
Peter Schraufstetter hat nur einen mündlichen Vertrag. © Achim Schmidt

Diese Angst vor einem Schwabing der Spekulanten und Reichen hat auch Peter Schraufstetter, der ein paar Straßen weiter lebt. Seit 17 Jahren wohnt er an der Kaiserstraße 63. „Ich habe nur einen mündlichen Mietvertrag“, sagt der IT-Fachmann. Nun wurde das Mietshaus von einem Unternehmensgeflecht unter Federführung einer Vermögensverwaltung gekauft. „Sie sagen, sie seien transparent, doch ich sage: genauso transparent wie eine Kartoffelsuppe!“ Er fürchtet, dass sich nach dem Kauf, der den Mietern am 30. Mai mitgeteilt wurde, nun vieles ändert, denn dem Unternehmensverbund gehören in Schwabing noch drei weitere Anwesen. „Die kaufen sich hier die Schmuckstücke“, sagt Schraufstetter. Er rechnet mit Dachausbau und befürchtet eine Luxussanierung. Besonders ärgerlich findet er, dass die Straßenseite, auf der das Haus steht, in dem er wohnt, nicht im Erhaltungssatzungsgebiet liegt.

Schlupfloch Eigenbedarf

Bea D. mit Sohn Enno: „Eigenbedarf ist ein Schlupfloch.“
Bea D. mit Sohn Enno: „Eigenbedarf ist ein Schlupfloch.“ © Achim Schmidt

Die Giesingerin Bea D. hatte darauf vertraut, dass sie als Mieterin im Erhaltungssatzungsgebiet geschützt sei. Doch dann kaufte ein Ehepaar das Achtparteienhaus an der Watzmannstaße 1 und kündigte schon fünf Monate später drei Familien – alle wegen Eigenbedarfs. „Insgesamt vier Kinder sind betroffen, darunter eben auch mein siebenjähriger Sohn Enno“, sagt Bea D. Ende Februar muss die alleinerziehende Mutter raus sein. „Ich habe verstanden, dass das Schlupfloch bei Bestandsschutz und Erhaltungssatzung die Eigenbedarfskündigung ist, deshalb sind Häuser wie unseres für Privatleute interessanter als für Gesellschaften.“

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„Dann lieber ins Wohnmobil ziehen“

Die dritte Ausgabe des Mieterstammtisches findet vor dem Orangehouse im Feierwerk statt. Mieter tun sich zusammen und beratschlagen, was sie gegen die Wohnungsnot und ihre oft unfairen Vermieter tun können. Im Bild: Daniela Micklich aus der Bad Kissingen Straße 58 überlegt sich, aufgrund der Mietpreise mit ihrer Familie in einen Wohnwagen zu ziehen.
Die dritte Ausgabe des Mieterstammtisches findet vor dem Orangehouse im Feierwerk statt. Mieter tun sich zusammen und beratschlagen, was sie gegen die Wohnungsnot und ihre oft unfairen Vermieter tun können. Im Bild: Daniela Micklich aus der Bad Kissingen Straße 58 überlegt sich, aufgrund der Mietpreise mit ihrer Familie in einen Wohnwagen zu ziehen. © Achim Schmidt

Ebenfalls eine Eigenbedarfskündigung erhalten hat Daniela Micklich. „Lieber, als dass ich für das letzte Loch eine horrende Miete bezahle, ziehe ich in ein Wohnmobil“, sagt die Malerin, die an der Staatsoper arbeitet. Nur ihren zwei Kindern, dem 13-jährigen Juri und der 15-jährigen Mina, will sie das eigentlich nicht antun. „Sie haben Angst, was Klassenkameraden und Freunde sagen“, sagt die alleinerziehende Mutter.

Daniela Micklich lebte mit ihren zwei Kindern und der achtjährigen Jagdhündin Wilma einen Wohntraum: in einem winzigen Haus in der Maikäfersiedlung, gerade mal 50 Quadratmeter Wohnfläche, aber mit einem Garten von rund 200 Quadratmetern. Sie zahlte 650 Euro warm. Das Traumhäuschen fand sie vor sieben Jahren: „Ich hatte eine Anzeige geschaltet, dass ich ein Haus mit knarzenden Böden suche, gerne renovierungsbedürftig.“ Sie steckte viel Arbeit in das Haus, doch nun muss sie raus, und das schon im Oktober. „Dabei hatte der Vermieter noch kurz zuvor gesagt, wir könnten noch lange hier wohnen.“

Seit der Kündigung sucht sie. „Uferlos, alles wird immer teurer.“ Auch in der Maikäfersiedlung. Ein Haus in Micklichs Nachbarschaft wurde für 790 000 Euro verkauft. „Ich mach da nicht mit, ich habe mir jetzt einen sieben Meter langen Wohnwagen gekauft“, sagt sie.

Bahngenossenschaft droht das Aus

Die Eisenbahnerwohnungen, in denen Vincent Münscher und Petra Kozojed in Neuhausen leben, könnten bald zu teuer für sie werden. Die Erbpacht läuft aus, nun hat die Eisenbahnerbaugenossenschaft die Option, die Häuser an der Schlörstraße mit 503 Wohnungen für 128 Millionen Euro zu kaufen. Eine nicht stemmbare Summe. Die Bewohner fürchten um den Erhalt der Genossenschaften und haben eine Petition gestartet: petition.baugenossenschaften-erhalten.de.

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Susanne Sasse

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