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Wut im Wald: Stadtrat stimmt für Kies-Abbau - „Tiefpunkt in meiner bisherigen Stadtratstätigkeit“

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Von: Sascha Karowski, Phillip Plesch

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Zwei Umweltaktivisten stehen im Forst Kasten.
Hielten im Forst Kasten die Stellung: Wava (li.) und Kauri besetzten mit rund 15 anderen Klimaschützern den Wald für zwei Nächte. Nach Ende der Sozialausschusssitzung gestern bauten sie ihr Lager wieder ab. © Oliver Bodmer

Im Forst Kasten wird eine Fläche von 9,5 Hektar gerodet, um dort Kies abzubauen. Der Stadtrat hat dafür gestern mehrheitlich grünes Licht gegeben – allerdings mit viel Bauchschmerzen. Die Waldbesetzer sind enttäuscht, haben den Forst gestern dennoch geräumt. Aufgeben wollen sie aber nicht.

Während im Rathaus der Sozialausschuss tagt, harren die Waldbesetzer im Forst Kasten der Dinge. Am Mittag kommt die Nachricht: Der Waldrodung für den Kiesabbau wird zugestimmt. Überrascht sind die Aktivisten nicht, auch wenn sie bis zum Schluss gespannt auf die Entscheidung gewartet haben. Sie packen ihre Sachen und brechen ihre spontane Versammlung ab. Das war so mit der Polizei vereinbart. Als verloren sehen sie den Kampf um den Wald aber nicht. „Jetzt geht’s erst einmal nach Hause, ausruhen, aber es werden weitere Proteste folgen“, sagt ein 25-Jähriger, der im Wald von den anderen Wava genannt wird. Knapp 15 Aktivisten – größtenteils zwischen 20 und 25 Jahre alt – hatten in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag im Wald übernachtet. Anwohner brachten ihnen Kaffee, Tee, Brezn und frisches Obst. „Die Unterstützung aus der Bevölkerung ist groß“, sagt Wava. Die Würmtaler hängen an ihrem Wald, dem Paradies vor der Haustür. Das wird nun um ein Stück kleiner.

Im mehr als 800 Hektar großen Forst Kasten wird in ein bis zwei Jahren auf 9,5 Hektar Wald gerodet, um dort Kies abzubauen. Das hat der Stadtrat entschieden, allerdings mit großen Bauchschmerzen. Zur Erinnerung: Der Wald gehört der Heiliggeistspital-Stiftung, die mit den Erlösen aus der Verpachtung unter anderem das Altenheim Heiliggeist in Neuhausen betreibt. Die Stiftung ist dem Sozialreferat zugeordnet, der Stadtrat mithin ist Stiftungsorgan, vergleichbar mit einem Aufsichtsrat. Und als Stiftungsorgan muss der Stadtrat Entscheidungen treffen, die auf rein wirtschaftlichen Erwägungen fußen – das ist das Dilemma.

Grünen-Stadträtin Anja Berger sprach von einem „furchtbaren Tiefpunkt in meiner bisherigen Stadtratstätigkeit“. Sie lehne den Kiesabbau aus tiefster politischer Überzeugung ab. „Aber wir haben keine Wahl, die Zwangslage ist schwer zu ertragen.“ Tatsächlich hatte die Regierung von Oberbayern erst am Mittwochabend, gegen 21.40 Uhr, abermals bekräftigt, dass eine Zustimmung des Stadtrates alternativlos sei. Zum einen hatte das Gremium 2014 und zuletzt 2017 grundsätzlich dem Kiesabbau zugestimmt. Und zwar einstimmig. Zum anderen gibt es bereits ein Unternehmen, das in einem Ausschreibungsverfahren für den Abbau als Sieger hervorgegangen ist. In beiden Fällen drohen Schadensersatzansprüche. Sollte der Stadtrat gegen einen Kiesabbau votieren, würden die Stadträte persönlich haftbar gemacht – zivil- und strafrechtlich. Alle Anstrengungen des Gremiums, sich aus dieser Zwangslage zu befreien, blieben ohne Erfolg. Nun fordert der Stadtrat in einem Antrag die Regierung von Oberbayern auf, diese Zwangslage zu beenden, eventuell müssten dazu Gesetze geändert werden.

Linken-Stadtrat Thomas Lechner verstand nicht, warum sich der Stadtrat so geißeln lasse und warum man an das Votum der Amtsvorgänger gebunden sei. „Ich fühle mich in meinem Mandat eingeschränkt. Wenn wir nun alle mit Nein stimmen, dann haben wir einen Skandal. Aber einen spannenden.“ Lechner riet dazu, es ruhig mal drauf ankommen zu lassen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass dann der Gerichtsvollzieher zu mir kommt.“

SPD-Chefin Anne Hübner sagte, die Rechtsauffassung lasse keinen Spielraum zu. „Wir stimmen hier nicht als Stadtrat ab, sondern als Stiftungsorgan. Natürlich verstehen das die meisten Menschen nicht. Abholzung und Kiesabbau passen nicht mehr in die Zeit.“ Die Entscheidung sei schwierig, aber kein Gradmesser dafür, wie in München künftig mit dem Thema Klimaschutz umgegangen werden soll, versprach Hübner. „Am Ende des Tages bleibt aber die Enttäuschung.“

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