„Wer die kleinen Patienten einmal lachen und mit gleichaltrigen Kindern die Welt entdecken sieht, den muss man wahrscheinlich nicht mehr mit weiteren Argumenten von der Bereitschaft zur Organspende überzeugen.
Die kleinen Patienten, ihre Eltern und Ärzte haben einiges gemeinsam durchgemacht; die Erlebnisse zwischen Angst, Hoffnung und Happy End schweißen zusammen. Die Atmosphäre wirkt familiär und vertraut an diesem Nachmittag in einem Wirtshaus in der Nähe des LMU Klinikums. „Marco hat jetzt in der Schule sogar bei den Bundesjugendspielen mitgemacht – eine Wahnsinnsleistung! Unsere ganze Rasselbande ist einfach bärenstark“, freut sich Professor Christian Hagl, der Direktor der Herzchirurgie, spürbar berührt.
Die Energie und die Lebensfreude der Kinder sind alles andere als selbstverständlich, das weiß auch Andreas Steeger. „Wenn ich sehe, wie gut es den Kindern inzwischen geht, bekomme ich Gänsehaut“, gesteht der erfahrene Klinikfotograf, der so vieleernste Momente mit den ehemals schwer herzkranken Kindern erlebte. Heute hat Steeger den vielleicht schönsten Job: das Glück der Berlin-Heart-Kinder und ihrer Familien in Bildern festzuhalten. Ihre Erfolgsgeschichten sollen dabei helfen, eine Herzensbotschaft zu verbreiten: „Wir wünschen uns, dass sich bei uns in Deutschland endlich etwas ändert und mehr Menschen über das wichtige Thema Organspende nachdenken“, sagt Daniels Mama Diana Dietrich im Gespräch mit unserer Zeitung.
Der traurige Hintergrund: In Sachen Organspende zählt die Bundesrepublik zu den Schlusslichtern in Europa, jedes Jahr sterben fast 1000 Menschen auf der Warteliste, darunter viele Kinder. Der Mangel an Spenderorganen ist dramatisch. In den vergangenen Jahren seien in Deutschland weniger als 1000 Organe gespendet worden – viel zu wenige, berichtet Herzchirurg Hagl. „Es ist erschütternd und belastend für die schwer kranken Patienten und auch für ihre Angehörigen, wenn wir Ärzte sie immer wieder vertrösten müssen.“
Anderswo auf der Welt stehen die Chancen auf ein Spenderorgan weitaus besser, etwa in Spanien oder in den USA. „In Deutschland dauert es beispielsweise im Schnitt etwa 200 bis 400 Tage, bis ein Spenderherz gefunden ist, in Amerika dagegen etwa sechs bis acht Wochen. Die Folge ist, dass bei uns etwa jeder fünfte bis sechste Herzpatient auf der Warteliste stirbt. Das ist furchtbar und müsste nicht sein“, kritisiert Hagl.
Die Gründe sind vielschichtig. Der vielleicht gewichtigste ist die gesetzliche Regelung. Nach wie vor gibt es in Deutschland keine Widerspruchsregelung wie beispielsweise in Spanien. Sie besagt, dass alle Menschen als spendebereit gelten, die nicht zu Lebzeiten widersprochen haben. Dagegen müssen hierzulande Spendewillige ausdrücklich ihren Willen zur Organspende bekundet haben – oder die Angehörigen zustimmen.
Doch diese befinden sich nach dem Tod ihrer Nächsten meist in einem emotionalen Ausnahmezustand. „Wir erleben oft, dass die Angehörigen in diesen Extremsituationen damit überfordert sind, einer Organspende zuzustimmen“, weiß Hagl. Und sein Kollege Professor Jürgen Hörer, der Chef der Kinderherzchirurgie in München, ergänzt: „Auch für uns Ärzte und für die Pflegekräfte ist es problematisch, Angehörige von potenziellen Organspendern anzusprechen.“ Umso wichtiger sei es, dass in den Familien rechtzeitig und offen über das Thema gesprochen wird, betonen Hagl, Hörer und der Chefarzt der Kinderkardiologie, Professor Nikolaus Haas, unisono. „Jeder sollte wissen, wie die nächsten Verwandten zu dem Thema Organspende stehen. Das ist ebenso entscheidend wie das Ausfüllen eines Organspenderausweises. Es reicht, wenn das Thema einmal offen besprochen worden ist. Dann herrscht Klarheit – auch für den Fall, der hoffentlich nie eintritt.“
Denn auf der anderen Seite kann der Tod eines geliebten Menschen helfen, ein anderes Leben zu retten. Zumal die Transplantationsmedizin große Fortschritte macht. „So überleben inzwischen mehr als 80 Prozent aller transplantierten Herzpatienten, viele der betroffenen Kinder werden mit ihrem Spenderorgan 20 bis 30 Jahre und sogar noch länger leben“, weiß Herzchirurg Hagl. Auch beim Einsatz von Kunstherzen zur Überbrückung der Wartezeit sei die Komplikationsrate massiv gesunken. Während vor 15 Jahren noch etwa jedes dritte Kind einen Schlaganfall erlitt, liege das Risiko heute nur noch bei zehn bis elf Prozent, bei größeren Kindern sei es sogar noch deutlich geringer.
„Die positiven Aspekte der Organspende werden bei uns in Deutschland viel zu wenig berücksichtigt“, bemängelt auch Matthias Mälteni, stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbands der Organtransplantierten. Der 47-Jährige, der seiner Frau Sandra eine Niere spendete, vertritt etwa 800 Mitglieder. Sie werben unter anderem bei Besuchen in Schulen dafür, das Thema Organspende in den Köpfen zu verankern.
Dabei werden auch die Münchner Berlin-Heart-Kinder helfen. „Wer sie einmal lachen und mit gleichaltrigen Kindern die Welt entdecken sieht, den muss man wahrscheinlich nicht mehr mit weiteren Argumenten von der Bereitschaft zur Organspende überzeugen“, hofft Herzchirurg Hagl.
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