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Fünf Münchner Kinder kämpfen sich zurück ins Leben – Dank Spenderherzen

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Fünf junge Menschen, die mit einem Spenderherzen leben: Luca (oben links), Marco (unten links), Agnes (oben rechts), Romina (rechts in der Mitte) und Felizia.
Fünf junge Menschen, die mit einem Spenderherzen leben: Luca (oben links), Marco (unten links), Agnes (oben rechts), Romina (rechts in der Mitte) und Felizia. © Andreas Steeger/ LMU Klinikum

Sie waren dem Tod näher als dem Leben, heute halten sie zusammen wie Pech und Schwefel. Das Herz-Drama um fünf Münchner Kinder.

In deutschen Familien wird das Thema Organspende oft totgeschwiegen. Wie wertvoll es wäre, wenn endlich mehr Menschen offen und rechtzeitig darüber sprechen würden, zeigen herzergreifende Erfolgsgeschichten von jungen Patienten des LMU Klinikums.

Fünf Freunde verbindet das gleiche Schicksal

In ihren Augen funkelt das Leben. Die fünf Freunde wirken mitunter so vertraut, als wären sie Geschwister. Sie verbindet das gleiche Schicksal: Felizia (2), Agnes (5), Romina (11), Marco (9) und Luca (20) haben ein Spenderherz erhalten – alle nach einer zermürbend langen Wartezeit von bis zu 650 Tagen. Sogar noch länger, nämlich 976 Tage, musste Daniel (6) bangen, der wegen einer Erkältung beim jüngsten Treffen der Berlin-Heart-Kinder fehlte. Diese Kinder heißen deshalb so, weil sie vor der Transplantation auf ein Herzunterstützungssystem angewiesen waren. Das sogenannte Kunstherz wird von einem Berliner Unternehmen hergestellt.

Herz-Professor Christian Hagl spürbar berührt: „Unsere Rasselbande ist einfach bärenstark“

„Wer die kleinen Patienten einmal lachen und mit gleichaltrigen Kindern die Welt entdecken sieht, den muss man wahrscheinlich nicht mehr mit weiteren Argumenten von der Bereitschaft zur Organspende überzeugen.

Professor Christian Hagl, Direktor der Herzchirurgie des LMU Klinikums
Kämpft für mehr Organspenden: Professor Christian Hagl, der Chef der Herzchirurgie im LMU Klinikum.
Kämpft für mehr Organspenden: Professor Christian Hagl, der Chef der Herzchirurgie im LMU Klinikum. © LMU Klinikum

Die kleinen Patienten, ihre Eltern und Ärzte haben einiges gemeinsam durchgemacht; die Erlebnisse zwischen Angst, Hoffnung und Happy End schweißen zusammen. Die Atmosphäre wirkt familiär und vertraut an diesem Nachmittag in einem Wirtshaus in der Nähe des LMU Klinikums. „Marco hat jetzt in der Schule sogar bei den Bundesjugendspielen mitgemacht – eine Wahnsinnsleistung! Unsere ganze Rasselbande ist einfach bärenstark“, freut sich Professor Christian Hagl, der Direktor der Herzchirurgie, spürbar berührt.

Mama Diana Dietrich: „In Deutschland muss sich endlich etwas ändern“

Die Energie und die Lebensfreude der Kinder sind alles andere als selbstverständlich, das weiß auch Andreas Steeger. „Wenn ich sehe, wie gut es den Kindern inzwischen geht, bekomme ich Gänsehaut“, gesteht der erfahrene Klinikfotograf, der so vieleernste Momente mit den ehemals schwer herzkranken Kindern erlebte. Heute hat Steeger den vielleicht schönsten Job: das Glück der Berlin-Heart-Kinder und ihrer Familien in Bildern festzuhalten. Ihre Erfolgsgeschichten sollen dabei helfen, eine Herzensbotschaft zu verbreiten: „Wir wünschen uns, dass sich bei uns in Deutschland endlich etwas ändert und mehr Menschen über das wichtige Thema Organspende nachdenken“, sagt Daniels Mama Diana Dietrich im Gespräch mit unserer Zeitung.

In Deutschland sterben jedes Jahr fast 1000 Menschen auf der Organspende-Warteliste

Der traurige Hintergrund: In Sachen Organspende zählt die Bundesrepublik zu den Schlusslichtern in Europa, jedes Jahr sterben fast 1000 Menschen auf der Warteliste, darunter viele Kinder. Der Mangel an Spenderorganen ist dramatisch. In den vergangenen Jahren seien in Deutschland weniger als 1000 Organe gespendet worden – viel zu wenige, berichtet Herzchirurg Hagl. „Es ist erschütternd und belastend für die schwer kranken Patienten und auch für ihre Angehörigen, wenn wir Ärzte sie immer wieder vertrösten müssen.“

In Spanien oder in den USA haben die schwerkranken Patienten bessere Chancen

Anderswo auf der Welt stehen die Chancen auf ein Spenderorgan weitaus besser, etwa in Spanien oder in den USA. „In Deutschland dauert es beispielsweise im Schnitt etwa 200 bis 400 Tage, bis ein Spenderherz gefunden ist, in Amerika dagegen etwa sechs bis acht Wochen. Die Folge ist, dass bei uns etwa jeder fünfte bis sechste Herzpatient auf der Warteliste stirbt. Das ist furchtbar und müsste nicht sein“, kritisiert Hagl.

Die Gründe sind vielschichtig. Der vielleicht gewichtigste ist die gesetzliche Regelung. Nach wie vor gibt es in Deutschland keine Widerspruchsregelung wie beispielsweise in Spanien. Sie besagt, dass alle Menschen als spendebereit gelten, die nicht zu Lebzeiten widersprochen haben. Dagegen müssen hierzulande Spendewillige ausdrücklich ihren Willen zur Organspende bekundet haben – oder die Angehörigen zustimmen.

Porträtfoto von Professor Nikolaus Haas
Renommierter Kinderkardiologe: Professor Nikolaus Haas vom LMU Klinikum. © Barbara Nazarewska

Herz-Professoren bitten Familien: „Sprechen Sie mit Ihren Verwandten über Organspende“

Professor Jürgen Hörer gehört zu Europas führenden Kinderherzchirurgen.
Professor Jürgen Hörer gehört zu den führenden Kinderherzchirurgen. © Susanne Sasse

Doch diese befinden sich nach dem Tod ihrer Nächsten meist in einem emotionalen Ausnahmezustand. „Wir erleben oft, dass die Angehörigen in diesen Extremsituationen damit überfordert sind, einer Organspende zuzustimmen“, weiß Hagl. Und sein Kollege Professor Jürgen Hörer, der Chef der Kinderherzchirurgie in München, ergänzt: „Auch für uns Ärzte und für die Pflegekräfte ist es problematisch, Angehörige von potenziellen Organspendern anzusprechen.“ Umso wichtiger sei es, dass in den Familien rechtzeitig und offen über das Thema gesprochen wird, betonen Hagl, Hörer und der Chefarzt der Kinderkardiologie, Professor Nikolaus Haas, unisono. „Jeder sollte wissen, wie die nächsten Verwandten zu dem Thema Organspende stehen. Das ist ebenso entscheidend wie das Ausfüllen eines Organspenderausweises. Es reicht, wenn das Thema einmal offen besprochen worden ist. Dann herrscht Klarheit – auch für den Fall, der hoffentlich nie eintritt.“

Professor Christian Hagl berichtet von großen Fortschritten in der Transplantationsmedizin

Ein Hoch aufs Leben und ihre Kinder: die Mütter (v. li.) Martina Neubauer (Mama v. Romina), Roxana Fronie (Agnes), Diana Dietrich (Daniel), Stefanie Schäfer (Marco), Katrin Rieth (Felizia) und Christine Nappa (Luca).
Ein Hoch aufs Leben und ihre Kinder: die Mütter (v. li.) Martina Neubauer (Mama v. Romina), Roxana Fronie (Agnes), Diana Dietrich (Daniel), Stefanie Schäfer (Marco), Katrin Rieth (Felizia) und Christine Nappa (Luca). © Andreas Steeger/ LMU Klinikum

Denn auf der anderen Seite kann der Tod eines geliebten Menschen helfen, ein anderes Leben zu retten. Zumal die Transplantationsmedizin große Fortschritte macht. „So überleben inzwischen mehr als 80 Prozent aller transplantierten Herzpatienten, viele der betroffenen Kinder werden mit ihrem Spenderorgan 20 bis 30 Jahre und sogar noch länger leben“, weiß Herzchirurg Hagl. Auch beim Einsatz von Kunstherzen zur Überbrückung der Wartezeit sei die Komplikationsrate massiv gesunken. Während vor 15 Jahren noch etwa jedes dritte Kind einen Schlaganfall erlitt, liege das Risiko heute nur noch bei zehn bis elf Prozent, bei größeren Kindern sei es sogar noch deutlich geringer.

Matthias Mälteni: Thema Organspende in den Köpfen der jungen Menschen verankern

„Die positiven Aspekte der Organspende werden bei uns in Deutschland viel zu wenig berücksichtigt“, bemängelt auch Matthias Mälteni, stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbands der Organtransplantierten. Der 47-Jährige, der seiner Frau Sandra eine Niere spendete, vertritt etwa 800 Mitglieder. Sie werben unter anderem bei Besuchen in Schulen dafür, das Thema Organspende in den Köpfen zu verankern.

Dabei werden auch die Münchner Berlin-Heart-Kinder helfen. „Wer sie einmal lachen und mit gleichaltrigen Kindern die Welt entdecken sieht, den muss man wahrscheinlich nicht mehr mit weiteren Argumenten von der Bereitschaft zur Organspende überzeugen“, hofft Herzchirurg Hagl.

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