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War früher wirklich alles besser? Ein Tag auf der Wiesn im Jahr 1960

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Hans-Jochen Vogel (SPD) war von 1960 bis 1972 Oberbürgermeister von München. Dieses Bild zeigt ihn im Jahr 1972 auf dem Oktoberfest (Archivbild). ©  IMAGO / Heinz Gebhardt

Die Oide Wiesn ermöglicht Oktoberfest-Fans einen Blick in die Vergangenheit. Doch war früher alles besser? So lief ein Tag auf der Wiesn im Jahr 1960 wirklich ab.

München – Das Oktoberfest hat eine lange Tradition: Im Jahr 1810 fand in München die erste Wiesn statt, Anlass war damals die Hochzeit von Kronprinz Ludwig von Bayern und Prinzessin Therese. Über die Jahre veränderte sich vieles. So mancher Münchner spricht da gerne von den „guten alten Zeiten“ und meint wohl die Wiesn-Besuche seiner Jugend. Doch war früher wirklich alles besser? Wie ein normaler Tag auf dem Oktoberfest vor rund 60 Jahren ablief, zeigt ein Beitrag des Bayerischen Rundfunks (BR) über einen Tag auf der Wiesn im Jahr 1960.

Ein Tag auf der Wiesn im Jahr 1960: „Traumgrenze von drei Millionen Liter Bier“

Ein Tag auf dem Oktoberfest im Jahr 1960 begann wie wohl jeder moderne Wiesn-Tag: mit Sicherheitskontrollen und Aufräumarbeiten. In den historischen Aufnahmen des BR durchstreifen zunächst Polizisten in schweren, langen Mänteln mit Schäferhunden in den frühen Morgenstunden die kleinen Straßen zwischen den Buden. Dann kommen Kehrmaschinen zum Einsatz, mit denen Arbeiter die Straßen des Oktoberfests reinigen. Sieben bis zehn Kubikmeter Müll sammle man täglich auf der Wiesn ein, hieß es in dem Video.

Müll auf dem Oktoberfest: Damals und heute

Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr kamen an 17 Festtagen rund 88 Tonnen zusammen, das entspricht über fünf Tonnen pro Tag. Einem Bericht der Süddeutschen Zeitung zufolge konnte die Müllmenge auf dem Oktoberfest in den vergangenen Jahren um bis zu 90 Prozent reduziert werden. Die Wiesn gilt als eine der saubersten Großveranstaltungen weltweit. Mülleimer gibt es absichtlich nur ganz wenige, ihren Abfall dürfen die Besucher offiziell auf den Boden werfen. Das hat einen ernsten Hintergrund: Beim rechtsextremen Attentat im Jahr 1980 hatte der Attentäter die Bombe in einem Mülleimer am Haupteingang des Oktoberfests deponiert.

Nach den Reinigungsarbeiten folgen die Sicherheitskontrollen der Fahrgeschäfte. Auch hier wurde vor 60 Jahren alles auf Hochglanz poliert: Das BR-Video zeigt einen Mann, der ein Pferdchen seines Karussells mit einem Lappen „striegelt“. Seit 45 Jahren sei er schon auf der Wiesn, erzählt der Schausteller, der eigenen Angaben zufolge in einem der Wagen auf dem Oktoberfest auf die Welt kam.

Am Vormittag des Oktobertages im Jahr 1960 sind weit und breit noch keine Besucher zu sehen, auf der Wiesn stauen sich aber die Autos der Lieferanten, die einen Nachschub an Bierfässern und Essen heranschaffen. Man hoffe die „Traumgrenze von drei Millionen“ Liter Bier zu überschreiten, heißt es in dem Beitrag. Zum Vergleich: Im Jahr 2022 tranken die Besucher trotz regnerischen Wetters 5,6 Millionen Liter des kühlen Hopfensaftes.

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Der damalige Oberbürgermeister von München, Hans-Jochen Vogel (SPD) im Jahr 1968 beim Anzapfen im Schottenhamel (Archivbild). © IMAGO / Heinz Gebhardt

Wiesn-Wache auf dem Oktoberfest: Damals und heute

Im Jahr 1960 bezog die Kriminalpolizei am Eingang beim Hang der Theresienhöhe ihre Station. „Am Abend kommen wir auf etwa 50 bis 60 Beamte, an den Haupttagen sind es etwa hundert Beamte, die [...] der Dinge warten, die da kommen sollen“, sagte der wachhabende Polizist dem Bayerischen Rundfunk vor über 60 Jahren. Aus Sicht der Polizei München werde das Oktoberfest in „jedem Jahr ruhiger“. Man könne die Hoffnung haben, dass „die Leute doch vernünftiger werden“, so der Polizist im Jahr 1960 weiter.

Auch heutzutage sorgt die Münchner Polizei für Sicherheit auf dem Festgelände. Die lockeren Berichte der Wiesn-Wache vom Oktoberfest erfreuen sich großer Beliebtheit, lassen aber durchaus die Frage offen, ob die Besucher der Wiesn in den vergangenen Jahrzehnten wirklich vernünftiger wurden. Manches schien früher wirklich besser: Vor rund 60 Jahren bot München noch einen Lotsendienst für angetrunkene Fahrer. Wer sein Auto nach zu viel Biergenuss nicht mehr selbst lenken konnte, rief eine Nummer an und prompt kam diskret der Lotsendienst zur Hilfe, um den Pkw samt betrunkenem Fahrer sicher nach Hause zu kutschieren.

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Feuerwerk über München: Anlass war das Ende des 150. Oktoberfestes im Jahr 1960 in München © IMAGO / ZUMA/Keystone

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Oktoberfest-Traditionen: Mancher alte Brauch erlebt ein Comeback

Im Jahr 1960 zählten tanzende Hunde in Mädchenkleidung zu einer der Attraktionen auf der Wiesn. „Sehen Sie mal, ein niedliches kleines Fräulein“, sagt die Schaustellerin da, neben ihr dreht sich ein kleiner Hund auf zwei Beinen in einem Kleid auf der Bühne. Heute hat das Tierwohl Vorrang und Hundeshows sind auf der Wiesn nicht mehr zu finden. Andere Dinge ändern sich indes wohl nie: Schon im Beitrag aus dem Jahr 1960 war von „astronomischen Preisen“ auf dem Oktoberfest die Rede. Der Kostenpunkt für ein Brathähnchen betrug damals etwa neun Deutsche Mark.

Als sich der Wiesn-Tag im Oktober 1960 dem Ende nähert, mussten die Wirte schon vor 60 Jahren die „Bierdimpfl“ mit auch heute noch gängigen Tricks aus den Festzelten scheuchen. „Wenn die Musik aufhört und die Lichter erlöschen, erhebt sich ein Sturm der Entrüstung“, heißt es da in dem BR-Beitrag. Dann endet der Wiesn-Tag und Polizisten treten begleitet von Schäferhunden erneut ihre nächtliche Streife an.

Während sich manches im Laufe der Jahre änderte, wird so manche alte Oktoberfest-Tradition gewahrt oder erlebt sogar ein Comeback. Die meisten Besucher gingen in den 70er-Jahren in Jeans und T-Shirt aufs Oktoberfest, heutzutage gehört es wieder zum guten Ton, in traditioneller bayerischer Tracht auf dem größten Volksfest der Welt zu erscheinen. Der Wiesn-Zauber ist damals wie heute gleich. Wenn Lachen aus den Fahrgeschäften hallt, abends die Lichter der Karussells und Buden angehen und der ein oder andere Besucher einem schwankend aber glücklich entgegenkommt, sind Oktoberfestfans - egal ob Münchner oder Zuagroaste - sich einig: endlich wieder die schönste Zeit des Jahres.

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