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„Die Nazis haben das Dirndl erfunden“: Gerücht kursiert immer wieder – Experte nimmt Stellung

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Pünktlich zum Oktoberfest in München sieht man sie wieder in Massen auf den Straßen: Lederhosen- und Dirndl-Träger. Zeit, mit einigen Gerüchten aufzuräumen.

München – An ihnen gibt es in diesen Tagen kein Vorbeikommen: Tausende Dirndl- und Lederhosen-Träger fluten die Straßen Münchens. Es ist mal wieder Oktoberfest. Doch das ruft nicht nur Wiesn-Fans auf den Plan, auch Skeptiker des größten Volksfestes der Welt melden sich in den sozialen Medien zu Wort.

„Die Nazis haben das Dirndl erfunden“ – stimmt das?
Das Dirndl ist besonders auch bei ausländischen Touristen beliebt. So auch bei diesen Wiesn-Besucherinnen aus Los Angeles. © Felix Hörhager/dpa

Dort kursiert pünktlich zu Beginn des Münchener Oktoberfestes ein Gerücht. In einem Beitrag, der besonders viel Aufmerksamkeit bekommen hat, Zehntausende Male aufgerufen wurde, heißt es: „Zur Erinnerung [...] Beim Dirndl handelt es sich nicht um eine traditionelle Tracht, sondern um ein, von der NS-Frauenschaft entworfenes, völkisches Cosplay, das die Gebärbereitschaft der nationalsozialistischen Frau repräsentieren soll.“

„Die Nazis haben das Dirndl erfunden“ – stimmt das?

Das Dirndl, eine Erfindung der Nazis? Alexander Wandinger, Brauchtums-Experte und Leiter des Zentrums für Trachtengewand im Bezirk Oberbayern, kann darüber nur lachen. „Das Dirndl ist ein klassisches Arbeitsgewand, das es lange vor der Zeit des Nationalsozialismus gab.“

Bereits im 19. Jahrhundert gab es Vorläufer der Dirndl-Mode in Salzburg und Wien. „Das Dirndl kommt ursprünglich vom Land und wurde in der Stadt zu einem Modestück weiterentwickelt“, so Wandinger. Um die Jahrhundertwende fand die Tracht ihren Weg auch zu uns nach Bayern.

Es waren sogar zwei jüdische Brüder, Moritz und Julius Wallach, die im Jahr 1900 in München das erste Trachtenhaus gründeten, und das Dirndl damit salonfähig machten. Als die Brüder dann noch den Landestrachtenzug zum 100-jährigen Jubiläum des Oktoberfests kostenlos ausstatteten, gelang dem Dirndl endgültig der Durchbruch.

Zwei Juden verhalfen dem Dirndl zum Durchbruch – und was ist mit den Nazis?

Also gar keine Nazis im Spiel? Nicht so ganz. „Die Nazis haben, wie so vieles andere auch, das Dirndl für ihre ideologischen Zwecke benutzt, um das Bild einer ländlichen und sittsamen deutschen Frau zu erzeugen.“

Auch die Annahme, dass die Nazis das Dirndl erotisiert haben, etwa durch einen größeren Ausschnitt, will Wandinger so nicht gelten lassen: „Einen größeren Ausschnitt, so wie wir es heute von vielen Dirndl-Kleidern kennen, den gab es bereits früher. Das war eher ein Trend, der aus der Stadt kam.“

Und so scheint sich das Thema „Nazis auf dem Oktoberfest“ zunächst einmal auf Äußerungen von Münchner Politikern zu beschränken.

„Die Nazis haben das Dirndl erfunden“ – das stimmt nicht

Die Brüder Wallach mussten ihr Trachtengeschäft übrigens aufgeben. Mit dem Erstarken des Nationalsozialismus schafften es die beiden 1938, in die USA zu flüchten. Ihrem Bruder Max, mit dem sie den Laden geleitet hatten, gelang das nicht: Er wurde von den Nazis im Konzentrationslager Theresienstadt ermordert.

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