Keine Frau im Dirndl ist schuld daran, begrapscht zu werden!

Frauen und Mädchen, lasst euch auf der Wiesn nichts gefallen! Kristina Gottlöber von der Aktion „Sichere Wiesn für Mädchen und Frauen“ hat im vergangenen Jahr einen wichtigen Gastbeitrag über den ersten Wiesn-Tag geschrieben.
Samstag, erster Wiesn-Tag, 14.30 Uhr: Eine halbe Stunde bevor mein erster Dienst beginnt, komme ich etwas abgekämpft am Security Point an. Auch mit meinem Radl sind die Besuchermassen nicht immer zu umfahren. Ein paar Minuten später taucht auch schon meine Kollegin Lena auf. Gemeinsam leiten wir an diesem Tag den Dienst. Am Freitagabend um zehn haben wir uns genau hier verabschiedet, nachdem wir unseren Beratungsraum geputzt und eingerichtet haben. Ein kleiner Raum im Servicezentrum auf der Theresienwiese – ein Schutzraum, abseits vom Trubel draußen: zwei bequeme Sessel, ein großer Arbeitstisch, Stühle, zwei Laptops, zwei Telefone, eine uralte Kaffeemaschine und eine Vase mit frischen Blumen.
Jedes Jahr ziehen wir hier für die zwei Oktoberfest-Wochen ein, dann wieder aus.
Pünktlich um drei Uhr ist dann das ganze Team der ersten Schicht für den Wiesn-Samstag versammelt. Insgesamt werden wir mit bis zu zehn Frauen vor Ort sein, um Wiesn-Besucherinnen in allen Notlagen zur Seite zu stehen.

Wir haben noch nicht mal alle Dienstausweise verteilt, da klingelt schon das Telefon, ein Kollege vom Roten Kreuz ist dran: „Wir haben hier eine Frau aus Hamburg, die hat ihre Handtasche und ihre Reisegruppe verloren, sie ist ziemlich aufgelöst. Könnt ihr das übernehmen?“
Klar können wir.
Zwei Kolleginnen holen die Frau oben ab und beginnen sofort mit der „Detektivarbeit“ – und während wir über Facebook und andere soziale Netzwerke versuchen, die Freunde und Freundinnen wiederzufinden und das Hotel der Gruppe ausfindig zu machen, kann die Hamburgerin erst mal etwas zur Ruhe kommen, ein Glas Wasser trinken und ein paar Kekse knabbern.
Dann kommt die nächste Klientin zur Tür herein, dieses Mal eine Australierin, die im Gedränge begrapscht wurde. Ihr Dirndl ist zerrissen und sie weint. Noch einmal Durchschnaufen, dann geht es Schlag auf Schlag.
Am Security Point helfen wir Mädchen und Frauen, in kleinen aber auch großen Notsituationen: Angefangen beim verloren Handy über den verpassten Bus oder Zug bis hin zu Partnerschaftsgewalt, sexuellen Übergriffen und Vergewaltigungen – mit jedem Anliegen können sich Wiesn-Besucherinnen an uns wenden.
Seit 13 Jahren bieten die drei Einrichtungen AMYNA e.V., IMMA e.V. und der Frauennotruf München mit dem Security Point eine Schutzstelle direkt auf dem Gelände an.
Mittlerweile nutzen rund 200 Mädchen und Frauen das Angebot der Aktion. Das Feedback für unsere Arbeit ist meistens großartig. Und der Bedarf wird jedes Jahr anhand der hohen Nachfrage deutlich.

Auch viele Münchnerinnen wissen, dass die Wiesn nicht immer ein angenehmer und angstfreier Ort ist. Manche meiner Freundinnen meiden bestimmte Orte auf dem Gelände, wie die überfüllten Zelte, gehen nur in Gruppen oder mit dem Partner hin – andere bleiben ganz zu Hause.
Und dennoch hören wir Jahr für Jahr auch reichlich blöde Sprüche: „Selber schuld, wenn die so betrunken war.“ Oder auch: „Bei dem Ausschnitt und so wie die flirtet, hat sie es ja nicht anders gewollt.“
Jedes Mal, wenn ich einen solchen Satz höre, platzt mir beinahe der Kragen.
Glaubt irgendjemand ernsthaft, dass es Frauen gibt, die (sexuelle) Gewalt und Vergewaltigungen erleben wollen?
Die Wiesn ist ein toller Ort zum Flirten, man lernt Menschen aus aller Welt kennen, hat Spaß, feiert gemeinsam. Egal, wie sich eine Frau kleidet, egal wie viel sie trinkt, egal wie heftig sie flirtet – keine Frau hat Schuld an einem Übergriff.
Das Thema ist medial bereits häufig behandelt worden – unter anderem die Slutwalk-Aktivist*innen haben weltweit intensiv auf die Problematik aufmerksam gemacht, dass häufig den Betroffenen sexueller Gewalt die Schuld gegeben wird. Frauen, die einen sexuellen Übergriff erlebt haben, leiden oft unter schweren Scham- und Schuldgefühlen. Sie tun dies verstärkt, wenn die Gesellschaft ihnen die Schuld am Übergriff zuweist. „Victim Blaming“, so wird diese „Täter-Opfer-Umkehr“ in der englischen Sprache genannt. Schuld ist immer der Täter – nie die Betroffene. Das ist unsere Haltung, mit der wir betroffenen Frauen, aber auch unreflektierten Mitmenschen begegnen und für die wir uns stark machen.
Doch zurück zum Geschehen im Security Point: Mittlerweile ist es 0.45 Uhr, es ist etwas Ruhe eingekehrt. Gerade kommen zwei Kolleginnen vom Fahrdienst zurück, sie haben eine junge Chilenin zu ihrem Hotel begleitet. Während sie berichten, wie schön es war, als die Touristin ihre verloren geglaubte Freundin im Hotel wieder getroffen hat, spüle ich die letzten Kaffeetassen. Lena sagt: „Meinst du, wir kommen heute pünktlich um eins raus?“ Der Rest ihres Satzes geht im Telefonklingeln unter. Es ist die Wiesn-Wache: „Sorry, ich weiß, ihr habt eigentlich Feierabend, aber wir würden euch noch mal brauchen – geht das?“
Und während sich unsere Kolleginnen auf den Heimweg machen, übernehmen Lena und ich diesen letzten Fall.
Ein Gastbeitrag von Kristina Gottlöber von IMMA e.V.
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