„Generell gilt eine gewisse Zurückhaltung“: „Tipps“ für schwule Wiesn-Besucher tauchen wieder im Netz auf

Erneut kursieren im Netz Tipps für schwule Männer bei ihrem nächsten Wiesn-Besuch. Schwulenfeindlich oder hilfreich?
München – Auf dem größten Volksfest der Welt kommen Millionen Menschen zusammen und feiern gemeinsam. Doch nicht immer läuft das Oktoberfest friedlich ab, wie zahlreiche Polizeieinsätze zeigen. Der steigende Alkoholpegel sorgt bei manchen Wiesn-Besuchern für zunehmende Aggressivität. Im Netz kursieren nun vermeintlich gut gemeinte Tipps für schwule Oktoberfest-Besucher, die raten „zurückhaltender“ zu sein – und lösen eine Diskussion aus.
Vermeintliche „Tipps“ für schwule Wiesn-Besucher kursieren erneut im Netz
Schon im vergangenen Jahr gingen die „Tipps“ für Homosexuelle des Oktoberfestportals im Netz viral. Ein privater Inhaber betreibt die Seite und präsentiert ähnliche Inhalte auf Rosawiesn.de, Wiesnportal und andere Webseiten. Nun teilten zahlreiche Nutzer der Plattform X (vormals Twitter) die Tipps erneut. „Generell gilt eine gewisse Zurückhaltung auf der Wiesn“, heißt es da. „Nicht jeder Besucher des Oktoberfests ist so tolerant, dass er sich über schwule Männerpaare freuen kann“, so der Ratschlag.
Flirten dürfe man auf der Wiesn schon, aber als schwules oder lesbisches Paar solle man etwas zurückhaltender sein. Das Bierzelt sei nicht der richtige Ort, um Menschen den Begriff Toleranz und Gleichberechtigung zu erklären, heißt es weiter – als wäre das ein wichtiger Tagesordnungspunkt auf der Agenda von Mitgliedern der LGBTQ+-Community auf der Wiesn, die dort wie alle anderen auch zum Feiern hingehen.
Ist diese Einschätzung schwulenfeindlich? Im Netz scheint die Meinung klar. „Das ist schlimm. Und herabsetzend. Besucher zweiter Klasse“, kommentiert ein Nutzer auf der Plattform X. Wiesn-Stadträtin Anja Berger (Grüne) zeigte sich darüber bereits im vergangenen Jahr verärgert: „Ich halte die Tipps für völlig daneben und feindlich gegenüber der LGBTQ-Community“, sagte sie tz.de. Niemand müsse auf dem Fest seine Sexualität verbergen. „Ich habe die Wiesn immer als sehr tolerant erlebt“, so die Politikerin. Zudem ärgerte sich Berger darüber, dass die private Webseite den Anschein erwecken wolle, ein offizielles Wiesn-Portal der Stadt München zu sein.
Kritik im Netz: Gelten Tipps der „Zurückhaltung“ nur für schwule Wiesn-Besucher?
Ein weiterer Kritikpunkt im Netz lautet, dass für Homosexuelle und Heterosexuelle offenbar andere Regeln gelten. Denn während sich Schwule zurückhalten sollen, wird das Heteros auf dem Oktoberfestportal nicht empfohlen. „Wenn es solche Tipps nur für Schwule und Lesben gibt, dann finde ich das diskriminierend“, sagt der Wirt des Hotels Deutsche Eiche, Dietmar Holzapfel, zu tz.de. Auf anderen Portalen des Inhabers - etwa Wiesnportal.de - wird der Tipp der „Zurückhaltung“ hingegen auch an Heterosexuelle gerichtet.
Trotz Partystimmung und Alkohol solle man auf dem Oktoberfest durchaus ein wenig „zurückhaltender“ sein als in trauter Zweisamkeit auf dem Sofa daheim. Dieser Tipp gelte für jeden Besucher, Heterosexuelle ebenso wie für schwule, lesbische oder queere Paare, heißt es weiter. „Immerhin feiern wir auf einem öffentlichen Familienfest“, so die Begründung. Warum dieser Zusatz auf anderen Portalen gestrichen wurde, ist allerdings unklar. Eine Anfrage von tz.de an den Betreiber der Webseite blieb zunächst unbeantwortet.
Sichtbarkeit von Schwulen auf dem Oktoberfest anders als früher: „Heute ist man offener“
Schwule seien auf der Wiesn nicht gefährdet, heißt es auf einem weiteren Portal des Betreibers Rosawiesn.de. „München ist bunt und wird es auch immer bleiben.“ Tatsächlich blickt die Hauptstadt des konservativen Bundeslandes Bayerns auf eine lange Geschichte der sexuellen Gleichberechtigung zurück. In den 1960er Jahren verwandelte sich die Gegend um den Gärtnerplatz und das Glockenbachviertel in das „rosa Viertel“ mit zahlreichen schwulen Kneipen, Treffpunkten und Beratungsstellen. In den 80er-Jahren zog es sogar die Musiklegende Freddy Mercury in die Schwulenszene nach München.
Die Angst davor, Zuneigung öffentlich zu zeigen, kommt allerdings nicht von ungefähr: Noch bis zum Jahr 1994 konnten schwule Männer nach Paragraf 175 im Strafgesetzbuch belangt werden. „Früher wäre ich nie im Leben auf die Idee gekommen, händchenhaltend über die Wiesn zu gehen“, sagte der Grüne Münchner Stadtrat Beppo Brem der Süddeutschen Zeitung. Doch in den vergangenen Jahrzehnten habe sich die Sichtbarkeit geändert, „heute ist man offener“, so Brem weiter.
Jedes Jahr findet auf dem Oktoberfest der „Gay Sunday“ in der Bräurosl statt, den der schwule Münchner Löwen Club (MLC) vor über 40 Jahren ins Leben rief. Weitere schwule Events auf der Wiesn sind der RoslMontag in der Bräurosl, die ProudWiesn im Armbrustschützenzelt und die Prosecco-Wiesn in der Fischer-Vroni. Laut Polizei München gab es im vergangenen Jahr kein Hassverbrechen gegen Mitglieder der LGBTIQ-Community auf der Wiesn. Sollte es doch einmal zu einem Übergriff kommen, rät die Münchner LGBTQ+-Koordinierungsstelle: „Wehr dich! Hol dir Unterstützung! Zeig es schnell an!“
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