Sat.1 thematisiert Wiesn-Grapscher: Sender entschuldigt sich verspätet bei wütenden Zuschauern

Wann ist ein Flirt auf dem Oktoberfest noch okay und ab wann ist er eine Belästigung? Wie der Moderator des Sat.1-Frühstücksfernsehens und ein Anwalt über die Frage diskutieren, verärgert viele Zuschauer. Mit Verspätung entschuldigt sich Sat.1.
Update von Freitag, 28. September: Nachdem unsere Redaktion über die umstrittene Wiesn-Grapscher-Diskussion im Sat.1-Frühstücksfernsehen berichtet hatte, griffen weitere Medien das Thema auf und erhöhten somit den Druck auf den Sender. In einem neuen Sat.1-Statement, das Stern.de zitiert, heißt es: „Es war redaktionell durchaus unglücklich, dass bei diesem Talk keine Frau zu Wort kam beziehungsweise den Talk geführt hat. Normalerweise ist das Standard beim Sat.1-Frühstücksfernsehen, Talks gemischt-geschlechtlich zu führen. In Zukunft wird dies auch so gehandhabt werden.“ Auch der von Zuschauern kritisierte Moderator Christian Wackert äußert sich. Er twittert: „Liebe alle, Kritik angekommen. Talk nochmal angeschaut, redaktionell besprochen. Fehler gesehen und notiert. Dafür möchte ich mich entschuldigen.“
Am Freitagmorgen hat das Team des Frühstücksfernsehens die Grapscher-Diskussion noch einmal aufgegriffen und negative Kommentare von Zuschauern vorgelesen. Moderator Christian Wackert stellte klar, dass die #Metoo-Debatte durch das Interview nicht klein geredet werden sollte. Ziel des Interviews sei es gewesen, das Verhältnis von leichteren Straftaten zu schweren Straftaten zu beleuchten, doch sei dies „nicht gelungen“. Berechtigterweise seien er und seine Redaktion dafür sehr kritisiert worden. „Ich entschuldige mich für das Interview. Das war nicht in Ordnung“, sagte der Moderator und betont, dass weder er noch der Sender für eine Verharmlosung oder Relativierung von sexueller Belästigung stünden.
Meldung vom 26. September: Sat.1 thematisiert Oktoberfest-Grapscher und verärgert Zuschauer
München - Was ist beim Flirten auf dem Oktoberfest 2018 erlaubt und was geht zu weit? Diese Frage hat Sat.1-Frühststücksfernsehen-Moderator Christian Wackert am Dienstagmorgen dem Münchner Anwalt Dr. Alexander Stevens gestellt - und dessen Antworten verärgern viele Zuschauer, wie wütende Kommentare auf Facebook beweisen.
Das Interview leitete Wackert mit einem aktuellen Fall ein: Ein Mann wurde zu acht Monaten auf Bewährung verurteilt, weil er zwei Frauen auf der Wiesn 2017 begrapscht hatte. Wackert fragt den Anwalt, ob das gerechtfertigt sei. Für Stevens sei es „ein krasser Fall“, da der Mann auch vier Monate in Untersuchungshaft gesessen hatte - „und das Ganze, weil er einer Frau oberhalb der Bekleidung zwischen die Beine gefasst hat.“ Stevens betont das Wort „oberhalb“ und fragt sich, ob die Strafe noch verhältnismäßig sei.
Der Anwalt erinnert an einen anderen Fall vom selben Amtsgericht in München: Ein betrunkener Mann hatte Stevens zufolge einer Frau mit der Faust ins Gesicht geschlagen, ihr das Nasenbein gebrochen und der am Boden liegenden blutenden Frau ins Gesicht gespuckt - dafür sei er mit einer kleinen Geldstrafe davongekommen. Vergleiche er diese zwei Fälle miteinander, passe das nicht zusammen, sagt der Anwalt.
Sat.1-Moderator: Verschärfung des Sexualstrafrechts auch „schlimm“ für Frauen
Der Moderator kommentiert, die Verschärfung des Sexualstrafrechts sei nicht nur für die Männer „schlimm“, sondern seiner Meinung nach auch für die Frauen, weil sich eventuell weniger Männer trauten zu flirten.
Der Anwalt nennt einen fiktiven Fall: Zwei Frauen verfolgen einen Mann auf dem Oktoberfest und fassen ihm hinten an die Lederhose - „dann müssten die beiden rein theoretisch für zwei bis 15 Jahre weggesperrt werden. Auch das ist doch völliger Schwachsinn“, sagt Stevens. Er gehe davon aus, dass sich am Verhalten der Besucher auf der Wiesn und auf anderen Volksfesten wenig ändern werde, aber „die Konsequenzen sind mittlerweile brutal“. Und er verweist auf das subjektive Empfinden: Jeder Mensch habe andere Toleranzgrenzen, was noch ein erlaubter Flirt, was eine Belästigung sei.
Oktoberfest 2018: „Versteh nicht, was es da zu diskutieren gibt“, regt sich Zuschauerin auf
Viele Zuschauer reagieren wütend. Auf Facebook schreibt Facebook-Nutzer Jess: „Sexuelle Belästigung ist nicht subjektiv. Wenn eine der Parteien Nein sagt, ist die Sache geritzt - egal ob Frau oder Mann. Das impliziert, dass Frauen jetzt wahllos Männer verklagen würden und jede Körperlichkeit als Affront auffassen.“ Dies sei „Blödsinn“ und es sei vom Sender „sehr gefährlich“, so etwas unkommentiert stehen zu lassen.
Zuschauerin Anja kommentiert: „Selbst wenn eine Frau nackt übers Oktoberfest spaziert, gibt das keinem Mann, ich wiederhole, keinem Mann das Recht, sie auch nur anzutippen. Wo leben wir denn? Unverschämt sowas!“ Ähnliches schreibt Laura: „Ich versteh nicht, was es da zu diskutieren gibt. Ein schönes Dekolleté oder ein kurzer Rock laden verdammt nochmal nicht zum Grapschen und Anfassen ein. Wo kommen wir denn da hin, wenn jede/r nur noch im Kartoffelsack rumlaufen muss, weil man sonst selber Schuld sein könnte, dass man schlimmstenfalls vergewaltigt wird.“ Zuschauerin Isabelle empört sich: „Unglaublich, was dieser Herr Dr. von sich gibt. Und noch lächerlicher ist, dass immer wieder betont wird, dass nichts verharmlost wird! Doch!“
Auf Anfrage unserer Onlineredaktion, wie der Sender auf die Kritik reagiere, antwortete er am Dienstag: „Wie viele andere Themen auch wird dieses Thema kontrovers auf unseren Social Media-Kanälen diskutiert. Die Redaktion beobachtet das sehr genau und ist mit den Zuschauern im regelmäßigen Austausch.“ Auf Facebook waren jedoch bis Mittwochnachmittag keine Antworten der Redaktion auf die Zuschauer-Kommentare zu lesen.
Wie denken Sie über die Diskussion im Sat.1-Frühstücksfernsehen? Schreiben Sie es in die Kommentare.
Video: SAT.1-Reporterin recherchiert mit Körpereinsatz
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sah
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