1. tz
  2. Politik

Israels Militäroperation im Al-Schifa-Krankenhaus in Gaza – das sagt ein Völkerrechtler

Kommentare

Dürfen Soldaten Kliniken stürmen, wie jetzt im Israel-Krieg mit Al-Schifa in Gaza geschehen? Ein Völkerrechtler ordnet für IPPEN.MEDIA ein. 

Gaza/Frankfurt – Darf ein Krankenhaus im Krieg angegriffen werden? Israels Militär ist davon überzeugt, dass sich unter Gazas größter Klinik eine Hamas-Kommandozentrale befindet und rechtfertigt so das Vorgehen – die Terrororganisation hingegen spricht beim israelischen Militäreinsatz im Al-Schifa-Krankenhaus von einem „Kriegsverbrechen“. Wer hat recht? 

Die Frage beschäftigt weltweit. So schreibt die Washington Post von offenen Fragen im Fall Al-Schifa. Viele Ärzte seien dem israelischen Evakuierungsaufruf, der seit Wochen bestehen soll, nicht gefolgt – er ist gemäß Völkerrecht Israels Pflicht gewesen. Der Völkerrechtler Wolff Heintschel von Heinegg sagte dazu nun im Gespräch mit IPPEN.MEDIA: „Alle Konfliktparteien sind verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass Kliniken trotz der Feindseligkeiten weiterhin ihre humanitäre Funktion erfüllen können.“

Fall Al-Schifa: Was ist laut Völkerrecht „militärischer Missbrauch“?

Allerdings ist dieser Schutz nicht absolut. Das Genfer Abkommen – Kernstück des humanitären Völkerrechts – nennt in Artikel 19 Sonderfälle. Etwa den, das Krankenhäuser dazu genutzt werden, „den Feind schädigende Handlungen“ zu begehen. „Das wäre etwa, wenn sie als Waffenlager, militärische Aufklärungsposten oder militärische Befehlszentralen verwendet werden“, erläuterte Heintschel von Heinegg. 

„Das bedeutet, dass zunächst verifiziert werden muss, ob und wie das Zivilkrankenhaus zu militärischen Zwecken missbraucht wird“, betonte der Experte. Dem Vorwurf an die Hamas widersprachen aber auch Al-Schifa-Ärzte. Dass sich dort eine Hamas-Kommandozentrale befinde, sei „eine große Lüge“, sagte etwa Chefchirurg Marwan Abu Saada der BBC.

Es kommt aber noch etwas Wichtiges hinzu: Krankenhäuser werden erst dann zu zulässigen militärischen Zielen, nachdem eine Warnung ignoriert wurde, den Missbrauch innerhalb einer angemessenen Frist zu beenden. Bei einem anschließendem Angriff müsse zugleich „alles praktisch Mögliche“ unternommen werden, das Personal und die Patienten zu schonen, betonte Heintschel von Heinegg. Das könne etwa dadurch erreicht werden, nicht aus der Distanz mit Bomben oder Artillerie anzugreifen, sondern Bodentruppen zu schicken.

Israel-Krieg: israelische Soldaten bei ihrem Militäreinsatz im Al-Schifa-Krankenhaus in Gaza am 15. November
Israelische Soldaten bei ihrem Militäreinsatz im Al-Schifa-Krankenhaus (Bildmaterial der Armee) © -/Israeli Army/AFP

Militäreinsatz im Al-Schifa-Krankenhaus ist für Israel heikel

Der „Missbrauch“ einer Klinik ist dabei auch zeitlich eng definiert. Es spielt keine Rolle, ob die Hamas das Al-Schifa-Krankenhaus in der Vergangenheit einmal als Zentrale genutzt hat – oder es in der Zukunft vorhat. Es zählt nur der Zeitpunkt der gegen das Krankenhaus gerichteten militärischen Operation. Die israelische Armee hat nach Darstellung eines Militärsprechers mittlerweile Waffen im Schifa-Krankenhaus gefunden. Endgültig geklärt ist die Frage aber noch nicht.

„Für die israelische Armee ist die Sache heikel. Greift sie das Spital nicht an, kann sie weder die Existenz des Hamas-Quartiers zweifelsfrei beweisen noch eine der mutmaßlich wichtigsten Schaltzentralen der Terroristen unschädlich machen“, schrieb die Neue Zürcher Zeitung zuvor in einem Kommentar.

Was würde man unter Beweisen überhaupt verstehen? Die Frage ist im Völkerrecht so brisant wie die nach der „Verhältnismäßigkeit“ eines Militäreinsatzes. Denn es ist nicht entscheidend, ob die israelischen Streitkräfte „gerichtsfeste“ oder von unabhängiger Stelle zur Verfügung gestellte Beweise haben, wie Heintschel von Heinegg anmerkte. Sondern, ob sie zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung für einen Militäreinsatz „vernünftigerweise“ von einem Missbrauch ausgehen konnten.

Bundesregierung reagiert verhalten auf Al-Schifa-Erstürmung

Angesichts internationaler Kritik an der Erstürmung des größten Krankenhauses im Gazastreifen hat sich die Bundesregierung indes eher zurückhaltend geäußert. Regierungssprecher Steffen Hebestreit hob am Mittwoch (15. November) hervor, „dass es keine Bombardierung des Krankenhauses gegeben hat“. International sei ein „weniger einschneidendes“ Vorgehen gefordert worden. Er sehe nun, dass Israel „auch auf diese Mahnungen aus der internationalen Gemeinschaft zu reagieren scheint“. (frs)

Auch interessant

Kommentare