Putin-Kritiker Nawalny in Moskau sofort festgenommen: Von ihm fehlt jede Spur - doch Prozess soll „jetzt“ beginnen

Kaum war Alexej Nawalny wieder auf russischem Boden, nahmen ihn die Behörden fest. Dies löste weltweit Empörung aus. Anwälte konnten Nawalny seitdem nicht sprechen.
Update vom 18. Januar, 10.39 Uhr: So eben twitterte die Sprecherin des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny, Kira Jarmysch, der Prozess gegen ihn werde „jetzt“ stattfinden - Moskauer Zeit 12.30 Uhr, deutsche Zeit 10.30 Uhr. Was das genau bedeutet, ist noch unklar.
Zuvor fehlte von dem nach seiner Rückkehr nach Moskau sofort inhaftierten Kremlkritiker Alexej Nawalny nach Angaben seines Mitarbeiterstabs jede Spur. „Alexej ist schon seit 14 Stunden in Haft, ihm wurde nicht erlaubt zu telefonieren, obwohl alle Festgenommenen dieses Recht haben“, teilte seine Sprecherin Kira Jarmysch am Montag im Kurznachrichtendienst Twitter mit.
Nawalny wird in einer Polizeiwache in Chimki im Moskauer Gebiet vermutet. Aber es sei unklar, ob er wirklich dort sei, teilte der Chef von Nawalnys Anti-Korruptions-Stiftung (FBK), Iwan Schdanow, mit. „Niemand hat ihn dort gesehen“, schrieb er bei Twitter.
Die Anwältin Nawalnys, Olga Michailowa, beklagt seit Sonntagabend, dass sie ihren Mandanten nicht betreuen dürfe. Sie werde nicht vorgelassen, sagte sie dem Radiosender Echo Moskwy am Montag vor der Polizeistation. Gegen 9.30 Uhr deutscher Zeit schrieb Sprecherin Jarmysch jedoch auf Twitter, dass die Anwälte ein Gebäude betreten durften, aber sie dürften Nawalny immer noch nicht sehen.
Letzte Momente von Nawalny mit seiner Frau: Umarmung, bevor er abgeführt wird
Kurz bevor Nawalny am Sonntag zur Passkontrolle ging, wo er festgenommen wurde, gab er sich äußert optimistisch: „Ich habe keine Angst“, sagte er nach der Landung. „Ich werde aussteigen und nach Hause fahren, weil ich weiß, dass ich Recht habe.“ Begleitet von einem großen Journalisten-Aufgebot läuft Nawalny danach zur Kontrolle. In einem Video ist zu sehen, wie er ein letztes Mal seine Frau Julia umarmt, bevor er mit Offiziellen aus Russland spricht. Er muss ihnen folgen, sie durfte ungehindert einreisen.
Der russische Strafvollzug begründete die Festnahme mit Verstößen gegen Bewährungsauflagen in einem früheren Strafverfahren. Deshalb war Nawalny zur Fahndung ausgeschrieben. Bis zur Entscheidung des Gerichts bleibe er in Untersuchungshaft, hieß es. Der Prozess ist am 29. Januar. Der Kremlkritiker war zuletzt fünf Monate in Deutschland, wo er sich von dem in Russland verübten Anschlag mit dem Nervengift Nowitschok erholte.

Alexej Nawalny: Bundesregierung schaltet sich ein - Maas fordert sofortige Freilassung
Update vom 18. Januar, 7.49 Uhr: Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) hat die sofortige Freilassung des am Sonntag in Russland festgenommenen Kremlkritikers Alexej Nawalny gefordert. „Alexej Nawalny ist nach seiner Genesung aus eigenen Stücken und bewusst zurückgekehrt nach Russland, weil er dort seine persönliche und politische Heimat sieht. Dass er von den russischen Behörden sofort nach Ankunft verhaftet wurde, ist völlig unverständlich“, sagte Maas am Montagmorgen.
Russland sei durch seine eigene Verfassung und durch internationale Verpflichtungen an das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit und an den Schutz der Bürgerrechte gebunden. „Diese Prinzipien müssen selbstverständlich auch gegenüber Alexej Nawalny zur Anwendung kommen. Er sollte unverzüglich freigelassen werden“, betonte Maas. Nawalny sei Opfer eines schweren Giftanschlags auf russischem Boden geworden. „Wir erwarten weiterhin, dass Russland alles tut, um diesen Anschlag vollumfänglich aufzuklären und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen.“
Auch die US-Regierung forderte die sofortige Freilassung von Nawalny. „Die Vereinigten Staaten verurteilen aufs Schärfste die Entscheidung Russlands, Alexej Nawalny zu inhaftieren“, teilte US-Außenminister Mike Pompeo am Sonntagabend (Ortszeit) mit. „Wir nehmen mit großer Sorge zur Kenntnis, dass seine Festnahme der jüngste in einer Reihe von Versuchen ist, Nawalny und andere Oppositionelle und unabhängige Stimmen, die den russischen Behörden kritisch gegenüberstehen, zum Schweigen zu bringen.“ Die russische Regierung müsse gleiche Bedingungen für alle politischen Parteien und Kandidaten schaffen, die sich am Wahlprozess beteiligen wollten.
Nach Festnahme von Alexej Nawalnys: Sein Team sieht politische Inszenierung
Update vom 17. Januar, 22.11 Uhr: Die Verhaftung Alexej Nawalnys tritt weltweit eine Welle der Empörung los: Sein Team sieht seine Festnahme der dpa zufolge als politische Inszenierung, die den Kreml-Kritiker mundtot machen soll - und ist mit dieser Ansicht offenbar nicht allein. Als „unrechtmäßig“ erklärte Amnesty International die Festnahme des Oppositionspolitikers, der nun bis zu dem für 29. Januar angesetzten Gerichtsprozess in Haft bleiben soll.
Dabei handle es sich um einen weiteren Beleg dafür, dass die russischen Behörden ihn nur zum Schweigen bringen wollen, erklärte die Menschenrechtsorganisation am Sonntagabend. Für Manuel Sarrazin, Sprecher für Osteuropapolitik im Bundestag, scheint die Lage scheinbar ebenso klar: „Der Kreml und Wladimir Putin wollen Alexej Nawalny in diesem Duma-Wahljahr um jeden Preis aus dem Verkehr ziehen“, erklärte er und rief zur Solidarität auf.
Die sofortige Freilassung Nawalnys forderte auch der künftige US-Sicherheitsberater Jake Sullivan auf Twitter. Außerdem müsse man die Verantwortlichen für seine Vergiftung vor fünf Monaten endlich zur Rechenschaft ziehen: „Die Angriffe des Kremls auf Herrn Nawalny sind nicht nur eine Verletzung der Menschenrechte, sondern ein Affront gegen das russische Volk, das sich Gehör verschaffen will“, schrieb Sullivan weiter. Dem pflichtetet auch die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt zu, schrieb sie doch auf Twitter: „Der Kreml zeigt wieder eindeutig, wie er mit Oppositionellen umgeht und Kritiker mit allen Mitteln einschüchtern will.“
Euch die Europäische Union verurteilte die Schritte Moskaus scharf. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell forderte etwa die russischen Behörden dazu auf, Nawalnys „Rechte zu respektieren“, während der EU-Ratspräsident Charles Michel am Sonntag auf Twitter ebenfalls die „sofortige Freilassung“ des Oppositionellen forderte.
Nawalny kehrt nach Moskau zurück - und wird sofort verhaftet
Update vom 17. Januar, 19.32 Uhr: Fünf Monate nachdem der Kreml-Kritiker Alexej Nawalny vergiftet wurde, kehrt er am Sonntagabend nach Russland zurück. Der AFP zufolge ist Nawalnys Flugzeug inzwischen in Moskau gelandet - allerdings nicht ohne Zwischenfälle. Eigentlich sollte der russische Oppositionelle am Flughafen Wnukowo im Südwesten Moskaus landen, wo sich schon viele seiner Anhänger ohne Genehmigung der Behörden versammelt hatten. Jetzt wurde die Maschine offenbar kurzfristig umgeleitet - und landete schließlich am Flughafen Scheremetjewo im Nordwesten der russischen Hauptstadt.
Nachdem die Regierung bereits zuvor angekündigt hatte, den Oppositionellen sofort nach seiner Ankunft festzunehmen, wurde dieses Vorhaben jetzt offenbar in die Tat umgesetzt: Noch an der Passkontrolle am Flughafen soll Nawalny verhaftet und abgeführt worden soll, berichtet jetzt der Telegram-Kanal des Kreml-Kritikers. Nawalny war in Russland zur Fahndung ausgeschrieben, weil er während seines Deutschlandaufenthaltes angeblich gegen Bewährungsauflagen eines früheren Strafverfahrens verstoßen haben soll.
Update vom 17. Januar, 17.29 Uhr: Der prominente Kreml-Kritiker Alexej Nawalny soll gegen 20 Uhr am Moskauer Flughafen Wnukowo landen. Vor Ort warten schon viele seiner Unterstützer - einige von ihnen wurden jetzt aber offenbar festgenommen. Wie die AFP mitteilt, sollen unter den Festgenommenen die Juristin Ljubow Sobol, der Jurist Alexej Molokojedow und Nawalnys Assistent Ilja Pachomow. Zuvor hatte Iwan Schdanow von Nawalnys Anti-Korruptionsstiftung auf Twitter von den Festnahmen berichtet - einige seiner Bilder zeigen außerdem, was sich so kurz vor Nawalnys Rückkehr am Moskauer Flughafen abspielt.
Bereits im Vorfeld hatte der Kreml die Bevölkerung und die Opposition davor gewarnt, am Flughafen an einer nicht genehmigten „öffentlichen Veranstaltung“ teilzunehmen. Nawalny hingegen hatte zuvor seine Anhänger dazu aufgerufen, ihn in Moskau vor Ort zu begrüßen, sodass auf Facebook über 2000 Menschen ankündigten, teilzunehmen.
Update vom 17. Januar, 13.19 Uhr: Der Putin-Kritiker Alexej Nawalny will an diesem Sonntag nach Russland zurückkehren (siehe unsere Erstmeldung vom 13. Januar) - und schon Stunden vorher hat sich die Polizei am Moskauer Flughafen Wnukowo postiert. Die Behörden warnten laut AFP davor, dort an einer nicht genehmigten „öffentlichen Veranstaltung“ teilzunehmen. Journalisten wurde der Zugang verwehrt - wegen der Corona-Pandemie, hieß es zur Begründung.
Nawalny habe seine Unterstützer dazu aufgerufen, ihn am Flughafen „abzuholen“. Mehr als 2000 Menschen kündigten der AFP zufolge auf Facebook an, trotz Temperaturen von minus 20 Grad zu kommen. Aber auch einige seiner Gegner: Eine nationalistische Gruppe kündigte dem Bericht zufolge an, Nawalny mit Seljonka, einer in Russland als Antiseptikum verwendeten Flüssigkeit, zu empfangen. Auf Nawalny war bereits einmal ein Anschlag mit Seljonka verübt worden.
Putin-Kritiker Nawalny verabschiedet sich auf Instagram von Deutschland: „Danke Freunde!“
Am Samstag bedankte sich Nawalny bei Ärzten, Polizisten, Politikern und anderen Menschen, die er während seines fünfmonatigen Aufenthalts in Deutschland getroffen hat. „Danke Freunde!“, schrieb er auf Deutsch auf Instagram. Und weiter: Ihn habe überrascht, „wie sehr die Deutschen nicht den stereotypen Vorstellungen über sie entsprechen. Also, dass sie nicht lachen, keine Freundschaften eingehen (...), sondern Befehle geben und erfüllen wollen. Das ist gar nicht so. Sie sind wirklich die nettesten Menschen mit einem ausgezeichneten Sinn für Humor, und sie versuchen, immer zu helfen.“
In Wnukowo droht dem 44-Jährigen laut der russischen Strafverfolgungsbehörde die sofortige Festnahme, da er wiederholt gegen die Auflagen einer fünfjährigen Bewährungsstrafe verstoßen habe. Nawalny wirft dem russischen Geheimdienst vor, hinter seiner Vergiftung mit einem chemischen Kampfstoff aus der Nowitschok-Gruppe zu stecken. Die russische Regierung bestreitet jede Beteiligung an dem Anschlag.
Kremlgegner Nawalny verlässt Deutschland und kehrt nach Moskau zurück - unter erheblichem Risiko
Unsere Erstmeldung vom 13. Januar: Moskau - Der Kremlgegner Alexej Nawalny* will nach seiner Vergiftung an diesem Sonntag nach Moskau zurückkehren. Er lande am 17. Januar mit einer Maschine der russischen Fluggesellschaft Pobeda, teilte er im Kurznachrichtendienst Twitter am Mittwoch mit. Er hält sich nach dem Mordanschlag mit dem Nervengift Nowitschok seit August zur Heilung in Deutschland auf. Die Frage einer Rückkehr habe sich für ihn nie gestellt, weil er Russland nie selbst verlassen habe, schrieb der 44-Jährige. „Ich bin in einer Wiederbelebungskiste in Deutschland angekommen“, meinte er mit Blick auf sein mehrwöchiges Koma nach dem Anschlag in Russland.
Nawalny hatte sich in Deutschland zuletzt noch zu einer Reha-Maßnahme aufgehalten. Er macht für den Giftanschlag* mit einem chemischen Kampfstoff der Nowitschok-Gruppe im vergangenen August ein unter dem Befehl von Kremlchef Wladimir Putin agierendes „Killerkommando“ des Inlandsgeheimdienstes FSB verantwortlich. Russland bestreitet eine Verwicklung in den Fall und verlangt etwa von Deutschland Beweise für eine Vergiftung. Erst dann wolle man Ermittlungen einleiten.
Alexej Nawalny: Rückkehr nach Russland geplant - Behörden erhöhten Druck zuletzt
Zuletzt hatten die russischen Behörden den Druck auf Nawalny erhöht. Erst am Dienstag war bekannt geworden, dass die Strafvollzugsbehörde den Oppositionellen wegen angeblich nicht erfüllter Bewährungsauflage ins Gefängnis bringen möchte. Ein entsprechender Antrag wurde bei einem Moskauer Gericht gestellt.
Die Behörde hatte Nawalny kurz vor dem Jahreswechsel schriftlich aufgefordert, Auflagen einer früheren Strafe zu erfüllen und sich bei den russischen Behörden persönlich zu melden. Ansonsten drohe eine Inhaftierung. In dem Fall geht es um eine Verurteilung aus dem Jahr 2014. Nawalny* schrieb dazu, die Bewährungsstrafe habe bereits am 30. Dezember vergangenen Jahres geendet.
Alexej Nawalny weist Vorwürfe wegen angeblichen Betrugs zurück
Zudem gibt es Ermittlungen gegen den Regierungskritiker wegen angeblichen Betrugs. Das russische Ermittlungskomitee warf ihm vor, mit anderen Personen Spenden von umgerechnet 3,9 Millionen Euro an seinen Fonds zur Bekämpfung von Korruption für „persönliche Zwecke“ verwendet haben - etwa für den Kauf von Eigentum und die Finanzierung von Urlaub. Nawalny wies das zurück. Der Putin-Gegner hatte stets erklärt, er wolle seine Arbeit in Russland fortsetzen. (dpa) *Merkur.de ist Teil des Ippen-Digital-Netzwerks.