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Ampel scheinbar schizophren: Der Ukraine-Krieg hat die deutsche Politik auf den Kopf gestellt

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Von: Fabian Hartmann, Anna-Katharina Ahnefeld

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Wie kaum ein anderer steht Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck für die Kehrtwenden der Ampel-Politik. Der Grünen-Politiker musste in der Energiekrise harte Entscheidungen treffen.
Wie kaum ein anderer steht Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck für die Kehrtwenden der Ampel-Politik. Der Grünen-Politiker musste in der Energiekrise harte Entscheidungen treffen. © Sebastian Willnow/dpa

Die Grünen wollten Klimapolitik machen und mussten AKW verlängern. Die FDP wollte Steuern senken und hat Rekordschulden angehäuft. Ein Experte sagt: Die Ampel hat geliefert. Wie passt das zusammen?

Berlin/Köln – Christian Lindner und Robert Habeck kennen sich seit Langem, sie duzen sich und sind Teil einer gemeinsamen Regierung. Doch jetzt hat der grüne Vizekanzler dem FDP-Chef und Finanzminister einen Brief geschrieben, der an die Öffentlichkeit gelangt ist. Das Schreiben beginnt ungewöhnlich distanziert. Habeck redet Lindner mit „Sehr geehrter Kollege“ an. Es geht um den Bundeshaushalt.

Habeck ist in Sorge, dass im Etatplan 2024 zu wenig Mittel für grüne Projekte verbleiben. Daher schlägt er vor, umweltschädliche Subventionen abzubauen. Und die Einnahmenseite zu verbessern. Heißt also: Steuern rauf. So zumindest interpretieren es die Liberalen. Darauf reagierte Lindner – ebenfalls per Brief und nicht weniger distanziert – nun ja: pikiert. Auch sein Schreiben fand den Weg in die Medien.

Man kann den Briefwechsel als jüngste Episode eines Konflikts in der Ampel betrachten. Es knirscht in der Finanz- und Haushaltspolitik. Genauso aber bei Energie und Verteidigung. Beim Geld hört die Freundschaft bekanntlich auf – und vor allem die FDP ist in Sorge um die Stabilität der Staatsfinanzen. Unbestritten ist, dass die Regierung seit ihrem Amtsantritt finanziell in die Vollen gegangen ist.

Ampel-Koalition: Der Ukraine-Krieg hat die deutsche Innenpolitik stark geprägt

Vieles davon hat mit dem Ukraine-Krieg zu tun. Der Angriff Russlands auf das Nachbarland hat nicht nur die europäische Friedensordnung aus den Angeln gehoben, auch die deutsche Innenpolitik wurde durcheinandergewirbelt. Der Koalitionsvertrag konnte das nicht antizipieren. Das sieht auch Lisa Badum, Grünen-Abgeordnete aus Bayern, so. Natürlich sei es schwierig, in diesen Zeiten beim Geld zusammenzukommen, sagt sie im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau. Doch die Parlamentarierin meint auch, dass die Krise zusammenschweiße. 

Ist das schon Zweckoptimismus? Ein Anruf bei Wolfgang Schroeder. Er ist Politikwissenschaftler an der Universität Kassel und beobachtet die Ampel genau. Schroeder sieht seit Kriegsbeginn „eine komplette Veränderung der Agenda“. Unterm Strich habe es die Regierung nicht schlecht gemacht. Ähnlich klingt es, wenn man mit Vertretern der Parteien spricht. Und es stimmt ja: Es gab weder den befürchteten „heißen Herbst“ noch einen „Wutwinter“. Und auch das Gas ist nicht ausgegangen. Die Ampel hat also geliefert – auch wenn die Fliehkräfte in der Koalition zugenommen haben.

Bundeswehr: 100 Milliarden Sondervermögen – und Boris Pistorius will noch mehr

Das zeigt sich am Beispiel Bundeswehr. 100 Milliarden Euro hat die Koalition als Sondervermögen für die Truppe lockergemacht. Zu wenig, findet der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius. Auch den regulären Etat fürs Militär – aktuell rund 50 Milliarden Euro jährlich – würde der SPD-Politiker gerne erhöhen. Und zwar um weitere zehn Milliarden Euro pro Jahr. Die Grünen lehnen das bislang ab. Auch aus den eigenen Reihen gab es Kritik. Statt noch mehr Geld für Verteidigung auszugeben, würde SPD-Chefin Saskia Esken lieber in Bildung und die Bekämpfung von Kinderarmut investieren. Das Gerangel ums Geld geht also weiter.

Energiepolitik: Eine bittere Pille für die Grünen – das Ziel der Klimaneutralität bleibt

Ebenso schwer wie die Zustimmung zum Sondervermögen für die Bundeswehr dürfte die Kehrtwende in der Energiepolitik gefallen sein – vor allem für die Grünen. Auch hier war es der russische Angriffskrieg, der einen strategischen Fehler in der deutschen Energiepolitik sichtbar gemacht hat: die fatale Abhängigkeit von Erdöl und Erdgas aus Russland. Die Ampel reagierte rasch: AKW-Verlängerung, Reaktivierung von Kohlekraftwerken, der Bau von LNG-Terminals und Habecks Gaseinkauf in Katar. Der befürchtete kalte Winter ohne Energie blieb aus – doch auf Kosten der Klima-Politik. „Dieses Problem bleibt aber, es ist nicht gelöst“, mahnt Politologe Schroeder.

Die Entscheidungen in der Energiepolitik seien für ihre Partei oftmals schmerzhaft gewesen, gibt Grünen-Politikerin Lisa Badum zu. Die Abgeordnete ist Obfrau im Ausschuss für Klimaschutz und Energie. „Aber wir sind eine sehr pragmatische Partei. Wenn sich die geopolitische Lage schlagartig ändert, wie im Falle des völkerrechtlichen Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine, dann müssen wir rational reagieren.“ Gleichwohl sei für ihre Fraktion völlig klar, dass grundsätzlich an der Einhaltung der Pariser Klimaziele und am Ziel der Klimaneutralität festgehalten werde.

Finanzen: Lindner wird im Krisenjahr zum Schuldenminister

Plötzlich Schuldenminister. So könnte man – natürlich überspitzt, aber nicht ganz falsch – die Bilanz von FDP-Chef Christian Lindner im Kabinett zusammenfassen. Ausgerechnet der Liberale, der noch aus der Opposition heraus die Finanzpolitik der Vorgänger-Regierung bei jeder Gelegenheit auseinandernahm, der seinem Amtsvorgänger Olaf Scholz (SPD) vorwarf, „das Schuldenmachen zur neuen Staatsphilosophie zu erklären“. Ausgerechnet er musste seit seinem Amtsantritt 500 Milliarden Euro zusätzliche Kredite aufnehmen. Welch Ironie des Schicksals.

Ob nun Strom- und Gaspreisbremse, immer neue Hilfen für Bürger und Unternehmen oder eine Erhöhung der Regelsätze beim neuen Bürgergeld: Der Krieg in der Ukraine hat die Schwarze Null, den ausgeglichenen Bundeshaushalt, weggewischt.
Es gab jeweils gute Gründe für neue Leistungen, mehr Geld. Und einer musste dafür geradestehen: Christian Lindner. Ein gefundenes Fressen für die Opposition. Auch viele liberale Wähler fremdeln mit der Ampel. „Die FDP wird von der eigenen Klientel abgestraft“, sagt Politologe Schroeder. Mit jeder verlorenen Landtagswahl wächst die Unruhe in der Partei.

Zoff in der Ampel: In der Finanzpolitik waren die Gräben auch vor dem Krieg tief

Noch ist es vor allem FDP-Vize Wolfgang Kubicki, der eine härtere Gangart in der Ampel fordert. Ist das die Lösung? Schroeder bezweifelt, dass mehr Konfrontation zum Erfolg führt. Das Problem der FDP sei, dass sie es nicht schaffe, die Herausforderungen der Gegenwart mit ihrer Programmatik in Einklang zu bringen – und ihre Politik den Wählern zu erklären.

Zur Wahrheit gehört aber auch: In der Finanzpolitik waren die Gräben zwischen Liberalen einerseits und SPD und Grünen andererseits auch ohne den Krieg schon tief. Für die FDP gilt: keine Steuererhöhungen. So stehe es auch im Koalitionsvertrag, sagte Generalsekretär Bijan Djir Sarai erst am Sonntag wieder in der ARD. Doch Grüne und SPD lassen nicht locker.

Und so liest sich ein Tweet von Christian Lindner nicht nur wie eine freundliche Erinnerung an seine Koalitionspartner. „Statt wie andere (mal wieder) Steuererhöhungen in den Raum zu stellen, arbeitet mein Ministerium daran, unsere Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern“, schreibt Lindner. Deutschland sei schon heute ein „Höchststeuerland“. Die Lösung sei nicht „noch mehr Last und Umverteilung“. Man kann das auch als Warnung verstehen: bis hierhin und nicht weiter. Krieg hin, Krieg her.

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