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Der Ferkelflüsterer

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Christian Ude hat am Samstag Hubert Aiwanger auf seinem Bauernhof im niederbayerischen Rahstorf besucht.
Christian Ude hat am Samstag Hubert Aiwanger auf seinem Bauernhof im niederbayerischen Rahstorf besucht. © dapd

Rahstorf - Die ländliche Idylle hat Christian Ude und Hubert Aiwanger friedlch gestimmt. Bei einem Treffen auf dem Hof des Freie-Wähler-Chefs versicherten beide, am Streitthema dritte Startbahn werde eine Koalition nicht scheitern.

Am Ende darf Christian Ude dann doch ein Ferkel in die Kameras halten. Zusammen mit Hubert Aiwanger verschwindet er im Stall, ein kurzes, vielstimmiges Quieken ertönt, dann kommt der Münchner Oberbürgermeister mit einem kleinen rosa Bündel im Arm wieder heraus. Es ist ein Vertrauensbeweis, dass der Freie-Wähler-Chef dem SPD-Politiker das Ferkel überlässt. Bevor Ude hier auf den Hof kam, hatte Aiwanger noch erklärt, der Schweinestall sei tabu, zu leicht könnten die Tiere aggressiv werden.

Doch nun, nach dem vertraulichen Gespräch bei Kaffee, Kuchen und Wurstsemmeln, hat er seine Meinung geändert. Er habe den OB als besonnenen Menschen kennengelernt, sagt Aiwanger, der ein Ferkel bestimmt so halten könne, „dass es keinen Schreikrampf kriegt“. Ude enttäuscht seinen Gastgeber nicht: Das drei Wochen alte Schweinchen bleibt ruhig. Aiwanger lobt später, der Sozialdemokrat sei „ein richtiger Tier-Dompteur“. Auch der Borstentier-Bändiger selbst ist hochzufrieden: „Wenn es eine Katze gewesen wäre, hätte es geschnurrt“, sagt Ude.

Aber der Münchner Rathauschef ist nicht auf den Familienhof der Aiwangers im niederbayerischen Rahstorf gekommen, um als Ferkelflüsterer in die Historie einzugehen. Ude will einen Platz im Geschichtsbuch als der Mann, der die CSU nach Jahrzehnten aus der bayerischen Staatsregierung vertrieben hat. Dies wäre nach den jüngsten Umfragen denkbar – allerdings nur mit den Grünen und den Freien Wählern. Deshalb ist Ude mit seiner Frau Edith von Welser-Ude angereist, um Aiwanger zu umwerben.

Jetzt per Du: Ude trifft Aiwanger

Gerade mal ein paar Sekunden ist Ude da, schon startet er die Verbrüderungsoffensive. Sofort, beim Aussteigen aus dem Audi A8, redet der SPD-Spitzenkandidat seinen Gastgeber mit Du an. „Ich habe festgestellt, dass ich ihm noch nie das Sie angeboten habe – und dann bleibt man halt beim Du“, erklärt er später den dutzenden Journalisten und Kamerateams, die ins 70-Seelen-Dorf Rahstorf gekommen sind. „Ich hab’ mir schon gedacht, dass er mit einem Du vom Hof gehen will“, sagt Aiwanger. „Sonst heißt es doch wieder: kalte Schulter oder so.“

Lediglich eine halbe Stunde unterhalten sich die beiden hinter verschlossenen Türen, dann ist (fast) alles klar. Die Zeit habe „allemal ausgereicht“, um im Wesentlichen ein mögliches Regierungsprogramm für fünf Jahre Zusammenarbeit zu besprechen, sagt Aiwanger. „Alles muss ja nicht passen.“

Und es passt auch nicht alles. Wenn es um die dritte Startbahn am Münchner Flughafen geht, sind der Oberbürgermeister und der oberste Freie Wähler nicht nur unterschiedlicher Meinung. Aiwanger macht in diesem Punkt sogar knallhart Wahlkampf gegen Ude. So verkündet er am Samstagvormittag bei der Demonstration gegen die Flughafenerweiterung lauthals: „Wenn ich nicht so tierlieb wäre, würde ich ihn so lange in den Kälberstall sperren, bis er sich von der dritten Startbahn verabschiedet.“ Ude quittiert dies ein paar Stunden später – und bedenklich nahe an besagtem Kälberstall – mit deutlichem Tadel. „Es ist ganz wunderbar“, sagt der OB, „dass wir noch zwei Jahre Zeit haben, um uns auf den angemessenen Tonfall unter Koalitionspartnern einzustellen.“

Doch so weit ist es noch nicht, ein Bekenntnis zu einem Bündnis mit SPD und Grünen lässt sich Aiwanger auch auf dem heimischen Hof nicht entlocken. In einem aber sind sie sich einig: Man sei gemeinsam der Meinung, dass an der dritten Startbahn ein Regierungswechsel in Bayern nicht scheitern müsse, erklärt Ude. Aiwanger sagt Ähnliches, doch ob die beiden wirklich das Gleiche meinen, bleibt offen.

Der Münchner OB erklärt lediglich, man werde vielleicht irgendwann feststellen müssen, dass zwei Koalitionspartner dagegen seien und einer dafür. Ob die SPD als der unterlegene Partner sich dann beugen und von der Startbahn abrücken würde, lässt er offen. Unlängst hat Ude eine andere Variante ins Spiel gebracht: Er liebäugelt damit, bei der Abstimmung im Landtag die Koalitionsdisziplin aufzuheben. Dann könnten Grüne und Freie Wähler dagegen stimmen – und die SPD würde den Bau zusammen mit der CSU beschließen. Doch davon will Aiwanger nichts hören: „Das machen wir nicht mit.“

Doch lange halten sie sich mit ernsthaften Themen nicht auf. Schließlich soll Ude noch Kälber streicheln, die vom Gast aus der Großstadt und der gewaltigen Medienschar allerdings wenig begeistert sind und sich verschüchtert an die Rückwand ihres Stalls drücken. Und er muss weiter, ins nahe Rottenburg an der Laaber, wo ihm Bürgermeister Alfred Holzner in einer 45-minütigen Power-Point-Präsentation die Nöte einer 7600-Einwohner-Stadt im tiefsten Niederbayern nahebringt.

Die Gegend hat der OB zuvor bereits auf eigene Faust erkundet, weil sein Fahrer als einziger im Tross einer weiträumigen Umleitung gefolgt ist. So hat Ude ihn wieder ein bisschen besser kennengelernt, den ländlichen Raum, von dem er laut seinen Kritikern doch keine Ahnung hat. Ein Mann aus Schwabing, unterwegs zwischen Pfeffenhausen und Oberhatzkofen.

dpa

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