Stoiber greift Merkel im Asylstreit scharf an: „Seehofers Plan muss kommen“

Der Asyl-Streit in der Union zwischen Seehofer und Merkel scheint zu eskalieren. CSU-Ehrenvorsitzender Edmund Stoiber warnt vor einem Autoritätsverlust des Rechtsstaates.
Münche/Berlin - Der neue Streit zwischen Kanzlerin Angela Merkel und Bundesinnenminister Horst Seehofer um die Asyl-Politik droht die Union zu zerreißen. Der CSU-Chef sagte die Teilnahme am heutigen Integrationsgipfel der Kanzlerin ab. Das Innenministerium dementierte, dass die Absage eine direkte Konsequenz des Asyl-Streits sei. Laut Bild-Zeitung sagte Seehofer wegen der Teilnahme der deutsch-türkischen Autorin Ferda Ataman ab, die in einem Artikel die Heimat-Politik Seehofers kritisiert hatte.
Ob Seehofer zurücktritt, falls er sich mit seinem Asylplan nicht durchsetzen wird? CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt: „Die CSU wird diesen Punkt umsetzen.“ Gemeint ist die CSU-Forderung, Flüchtlinge an der Grenze zurückzuweisen. Rückendeckung bekommt die CSU von der neuen rechtspopulistischen Regierung in Italien: Innenminister Matteo Salvini will mit Seehofer einen gemeinsamen Plan zum Schutz der europäischen Außengrenzen vorantreiben.
Angesichts der dramatischen Situation auf dem Flüchtlingsschiff Aquarius forderte EU-Kommissions-Vize Frans Timmermans die Mitgliedstaaten zum Schulterschluss auf. Nachdem Rom die Aufnahme des Schiffs mit 629 Flüchtlingen verweigerte, erklärte sich Spaniens Regierung zur Hilfe bereit – als Signal an die EU.
Das will Angela Merkel
Die Kanzlerin lehnt Seehofers Plan ab, weil sie fürchtet, dass er neuen Streit in der EU auslösen würde. Wenn Deutschland die Flüchtlinge an der Grenze zurückschickt, würde Österreich das Gleiche machen – und Italien müsste als letzter der Kette die Last alleine tragen. „Ich möchte, dass EU-Recht Vorrang hat vor nationalem Recht“, hatte die CDU-Chefin dazu am Sonntag in der ARD erklärt. Deshalb fordert sie, dass vor nationalen Alleingängen das EU-Recht geändert werden müsse. Im Merkel-Lager widerspricht man der CSU-Darstellung, dass das derzeit gültige Dublin-Prinzip die Zurückweisung an der Grenze erlaube: Denn zuerst müsse nach der Einreise durch das Bamf überprüft werden, ob der Asylbewerber wirklich zurückgeschickt werden dürfe.

Das will Horst Seehofer
Im Asyl-Masterplan des Bundesinnenministers heißt es, dass Flüchtlinge, die bereits in einem anderen europäischen Land registriert worden und deshalb in der Fingerabdruckdatei Eurodac vermerkt sind, an der deutschen Grenze abgewiesen werden sollen. Bislang werden an der Grenze nur Personen abgewiesen, die weder Asyl beantragen noch über die notwendigen Papiere verfügen. Laut der gültigen, aber schlecht funktionierenden Dublin-III-Verordnung der EU ist für den Asylantrag eines Flüchtlings das EU-Land zuständig, in das der Schutzsuchende zuerst eingereist ist. Seehofer, aber auch die bayerische Staatsregierung argumentieren, dass die geforderte Zurückweisung an der Grenze konsequent umgesetztes, geltendes Recht sei.
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Das sagt Edmund Stoiber
CSU-Ehrenvorsitzender Edmund Stoiber warnt im Interview angesichts des eskalierenden Asyl-Streits in der Union vor dem weiteren Autoritätsverlust des Rechtsstaates.
Herr Stoiber, wälzen wir mit Horst Seehofers Asyl-Plan unsere Probleme nur an Italien ab?
Edmund Stoiber, CSU-Ehrenvorsitzender: Deutschland nimmt 60 Prozent aller Asylbewerber in Europa auf! Das darf nicht so weitergehen. Wir müssen den Druck für eine echte europäische Lösung des Asylrechts erhöhen. Da ist bisher zu wenig geschehen. Die Hoffnung darauf alleine reicht nicht. Die Entscheidung von Innenminister de Maizière und Bundeskanzlerin Merkel aus dem Jahr 2015, auf Zurückweisungen an der Grenze zu verzichten und jedem Asylbewerber ein volles Verfahren in Deutschland zu gewähren, hat unser Land nicht nur gesellschaftspolitisch, sondern auch verwaltungsmäßig völlig überfordert. Eine Herrschaft des Rechts war das jedenfalls nicht. Das haben die unsäglichen Vorgänge im Bamf überdeutlich gezeigt. Sie hat vor allem auch die anderen europäischen Länder dazu gebracht, die Flüchtlingskrise als ein rein deutsches Problem zu sehen. Der Plan von Horst Seehofer ist eine längst überfällige Korrektur der deutschen Asylpolitik. Er erhöht den Druck für ein europäisches Asylsystem und entspricht im Übrigen auch der geltenden Verfassungslage: Mit der Reform des Asylgrundrechts wurde 1993 in breitem Konsens die Regelung eingeführt, dass sich an der deutschen Grenze keiner auf Asyl berufen kann, der aus einem sicheren Drittstaat kommt. Dieser Verfassungskonsens wurde in den letzten Jahren durch die Entscheidung de Maizières und Merkels ausgehebelt.
Wie weit kann dieser Streit zwischen Merkel und Seehofer gehen? Bis zum Bruch der Koalition?
Stoiber: Hier geht es um die politische Substanz der CSU, aber auch um die Umsetzung des Mehrheitswillens der Bevölkerung. Der gesamte Plan muss kommen. Jeder, der Seehofers Masterplan blockiert, nimmt den seit 2015 massiv spürbaren Autoritätsverlust des Rechtsstaats weiter in Kauf. Eine solche politische Blockade schafft der AfD ein Einfallstor für Polemik und Hetze, das unserer Demokratie echt schadet. Wenn die deutsche Asylpolitik nicht im Sinne von Horst Seehofer und der CSU grundsätzlich geändert und den Standards der anderen europäischen Länder angenähert wird, wird dem existierenden Misstrauen gegen den Rechtsstaat weiter Vorschub geleistet.
Aber Merkel steht unter Druck: Wenn wir Flüchtlinge an der Grenze abweisen, werden die Probleme in Italien oder Spanien verschärft – und die wählen dann radikale EU-Gegner…
Stoiber: Absolut. In einer Welt, in der Trump brutal seine America-first-Politik durchsetzt, müsste Europa zusammenrücken. Es ist auch ein Fehler, ständig von Macron/Merkel zu sprechen – das kommt in den kleineren EU-Ländern wie Dänemark oder eben Italien gar nicht gut an. Dann kommen so Sprüche wie von Salvini, Italien sei nicht der Sklave der Deutschen. Was Angela Merkel fordert, ist zurecht ein europäisches Asylsystem – das wird aber kein deutsches Asylsystem sein. Die anderen werden bei unseres Standards nicht mitmachen. Wir brauchen ein europäisches Bamf und einen europäischen Grenzschutz – aber das ist sicher noch schwieriger zu erreichen als eine europäische Verteidigungsinitiative.
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