Bausback: „Ich zolle Gurlitt Respekt“

München - Das Kunstmuseum Bern nimmt das Erbe Gurlitts an. Der Münchner Merkur sprach darüber mit Bayerns Justizminister Winfried Bausback (CSU).
Sie waren kaum Minister, da stürzte der Fall Gurlitt mit seinem Bilderschatz auf Sie ein. Stimmt es, dass Sie monatelang keine Zeit fanden, ein Bild in Ihr Büro zu hängen?
Meine Wände waren lange kahl. Ich habe bei jedem Gesprächspartner befürchtet, dass er mich darauf anspricht. Aber ehrlich gesagt hatte ich keine Zeit, mich mit der Frage zu befassen, welche Bilder ich gerne in meinem Büro hätte. Und so wichtig ist das ja nun auch nicht.
Sie haben mal gesagt: „Auf der ganzen Welt schaut man darauf, welche Antwort wir auf diese Fragen finden.“ Sind Sie froh, dass die Sache nun bald abgeschlossen ist?
Ich bin sehr erleichtert, dass dieser Fall jetzt endgültig auf einem guten Weg ist, das internationale Interesse war unglaublich. Es ging ja auch und gerade um die Frage: Wie gehen wir mit unserer Geschichte, mit unser historischen Verantwortung für die Aufarbeitung von NS-Unrecht, mit den Opfern der Nationalsozialisten um? Das war ein komplexer Fall. Eine so konstruktive Lösung war lang nicht abzusehen – ein großer Erfolg.
Die Sammlung geht nach Bern. Für immer? Holen Sie mal eine Ausstellung nach München?
Das steht für mich nicht im Vordergrund. Außerdem: Die öffentliche Hand kann darüber nicht frei verfügen. Das ist Privateigentum. Aber mit der Vereinbarung wird auch eine sehr gute Grundlage geschaffen, dass es irgendwann eine Ausstellung in Bayern gibt.
Was bleibt der Staatsregierung noch zu tun?
Die generelle Frage nach dem Umgang mit Raubkunst ist nicht abgeschlossen. Der Fall hat viele zum Nachdenken angeregt, auch manche Kommunen, die jahrzehntelang nichts in dem Bereich unternommen haben. Die Stadt Würzburg etwa überprüft jetzt den Kulturspeicher, weil es Anzeichen für Raubkunst gibt.
Müsste man staatliche Museen zwingen, in ihrem Fundus aktiv nach Raubkunst zu suchen?
Die Museen haben mit den Washingtoner Prinzipien eine sehr klare und umfassende Verpflichtung, Raubkunst zurückzugeben.
Falls sie je gefunden wird...
Die Pflicht setzt voraus, dass man jede Anstrengung unternimmt, um Raubkunst zu identifizieren. Wenn es Defizite gibt, dann nicht im Recht, sondern in der Umsetzung.
Aus dem Fall Gurlitt haben Sie ein Gesetz zum Umgang mit Raubkunst entwickelt. Erklären Sie uns Nicht-Juristen, was Sie mit Ihrer Gesetzesinitiative regeln wollen?
Ich will verhindern, dass jemand, der weiß oder wissen müsste: Das Bild in meinem Wohnzimmer ist Raubkunst, dem Eigentümer kalt lächelnd „Verjährung“ zurufen kann, wenn der sein Bild zurückfordert. Wir reden hier über die Opfer des nationalsozialistischen Terrors und deren Nachfahren! Das kann unser Gesetz ganz konkret lösen – aber es wird freilich nicht tausende Fälle berühren.
Berührt es denn überhaupt einen einzigen?
Mit Sicherheit. Der Fall Gurlitt hat gezeigt, dass selbst 70 Jahre nach Ende des Krieges Gegenstände auftauchen können, von deren Existenz niemand mehr wusste. Und die derzeitige Antwort unseres Gesetzes gegenüber den Opfern des NS-Terrors: Verjährung. Das ist doch unerträglich.
Was, wenn jemand Raubkunst kauft, ohne es zu wissen?
Ich weiß, es gibt Kritik, unser Entwurf gehe nicht weit genug. Aber den Gutgläubigen können wir nur schwer zu einer Herausgabe verpflichten. Wir können unsere Rechtsordnung auch nicht auf den Kopf stellen.
Ihr Gesetz steckt im Bundesrat fest. Geht es je durch?
Die Bundesrats-Mehrheit hat weder entschieden noch abgelehnt, die Bundesregierung prüft noch. Ich bin sehr enttäuscht, dass seit bald einem Jahr nichts vorangeht. Keiner bringt einen Alternativvorschlag – keiner stimmt zu oder lehnt ab. Ein merkwürdiges Verständnis von Rechtspolitik. Mir geht’s nicht ums Rechthaben, sondern darum, dass wir Lösungen finden und uns hier mit unserer Verantwortung besser auseinandersetzen.
Sie als Justizminister standen im Fokus, hätten auch auf die Nase fallen können. Ihr Kollege Kunstminister tauchte ab. Hätten Sie sich mehr Unterstützung von Ludwig Spaenle gewünscht?
Der Fall hatte nun mal seinen Ursprung in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren. Da ist es ganz normal, dass der Justizminister in den Fokus gerückt ist.
Im Justizministerium wurde in der Sache geschlampt – vor Ihrer Zeit. Wie gehen Sie damit um?
Es war vor dem Hintergrund unser historischen Verantwortung unbefriedigend, dass die Provenienzforschung bis dahin nicht weit gekommen war. Völlig unabhängig von dem Ermittlungsverfahren. Wir haben dann die Taskforce eingerichtet, Gelder für Provenienzforschung freigemacht, und zu deren Absicherung die Vereinbarung mit Herrn Gurlitt geschlossen.
Kriegen Sie’s – anders als Ihre Vorgängerin – mit, falls in Bayern ein neuer Millionen-Schatz gefunden wird?
Mir ist wichtig, dass ich über politisch relevante Ermittlungsverfahren persönlich informiert werde. Dafür habe ich gesorgt. Und: Eine neue Arbeitsgruppe hat die Berichtspflichten der Staatsanwaltschaften verbessert und verschärft.
Gab es personelle Konsequenzen?
In so einem Moment muss man immer zuerst auf die Strukturen schauen.
Bei der Taskforce läuft es immer noch nicht rund, sagen Kritiker. Haben Sie sich mal angeschaut, wie die Experten arbeiten?
Ich maße mir als Jurist nicht an, Provenienzrecherche zu bewerten. Natürlich habe ich mir das angeschaut, und ich weiß: Das ist sehr aufwändig. Außerdem: Sorgfalt geht vor Schnelligkeit. Es gibt etwa Fälle mit mehreren Anspruchsstellern – da muss der rechtmäßige Eigentümer ohne Zweifel ermittelt werden. Wir haben die Logistik geschaffen. Das ist das Entscheidende.
Durften Sie die versteckten Bilder mal sehen?
Wahrscheinlich dürfte ich, aber ich hab’s nicht getan. Ich muss mit meiner Neugier nicht die Arbeit der Experten stören.
Werke aus dem Gurlitt-Fund
Denken Sie manchmal an die rätselhafte Hauptperson? War Cornelius Gurlitt für Sie ein Täter? Oder ein alter Mann, mit dem man Mitleid hat?
Es steht mir als Justizminister nicht zu, mich mit solchen Kategorien öffentlich über einen Menschen zu äußern. Was man aber sicher nicht ausblenden sollte: Er war bei Kriegsende zwölf Jahre alt. Und: Jedenfalls mit der Vereinbarung, die er am Ende seines Lebens mit Bund und Bayern geschlossen hat, hat er Verantwortung gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus übernommen. Dafür zolle ich ihm Respekt.
Wenn Sie Gurlitt getroffen hätten, was hätten Sie ihn gefragt?
Mir fällt da der Satz von Ronald Lauder, dem Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses, zur Raubkunst ein: Nach 70 Jahren sei es höchste Zeit, dass die letzten Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkrieges ausfindig gemacht und entlassen würden. Ich hätte Herrn Gurlitt zugerufen: „Helfen Sie uns, damit die endlich nach Hause können!“
Das Interview führten Carina Lechner und Christian Deutschländer.