Der oppositionelle belarussische Telegram-Kanal Nexta veröffentlichte Videos, auf denen zu sehen sein soll, wie belarussische Sicherheitskräfte in die Luft schießen, um Migranten einzuschüchtern. Unter den Menschen seien auch Kinder, „um die sich die staatlichen Propagandisten angeblich so sorgen“, hieß es. Weil unabhängige Journalisten nicht ins Grenzgebiet gelassen werden, können solche Angaben derzeit nicht überprüft werden.
Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt harren Tausende Migranten seit mehreren Tagen in provisorischen Camps im Wald aus. Am Samstagmorgen versammelten sich belarussischen Angaben zufolge mehrere Dutzend Menschen direkt am geschlossenen Grenzübergang Kuznica und riefen „Deutschland, Deutschland!“. Viele hoffen auf ein Leben in der Bundesrepublik.
Update vom 12. November, 15.44 Uhr: Die drei Bundesländer an der Grenze zu Polen drängen auf ein stärkeres Einschreiten gegen unerlaubte Einreisen über Belarus und Polen nach Deutschland. Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) wolle mit seinen Kollegen aus Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern Anfang Dezember bei der Innenministerkonferenz in Stuttgart klare Maßnahmen gegenüber Belarus einfordern, hieß es aus Ministeriumskreisen in Potsdam. Außerdem sei eine geordnete Aufnahme von Asylsuchenden notwendig. Für Länder, die eine Rücknahme von Migranten verweigern, solle mit Konsequenzen bei Entwicklungshilfe gedroht werden.
Im Gegenzug forderte die Menschenrechtsorganisation „Pro Asyl“ eine Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland. „Wir fordern, dass Deutschland zumindest all diejenigen einreisen lässt, die familiäre Bezüge zu Deutschland haben“, sagte Geschäftsführer Günter Burkhardt. Daneben nahm er sogenannte Pushbacks durch polnische Sicherheitskräfte ins Visier.
"Die Grenze muss geöffnet werden, um weitere Tote zu verhindern und humanitäre Hilfe zu leisten", verlangte Burkhardt weiter. "Wir müssen Menschen als Menschen behandeln und uns die Frage stellen, warum dies nicht geschieht und ob rassistische Denkmuster das politische Handeln an der EU-Grenze leiten." Derzeit blieben "Menschlichkeit und Recht, auch die in der EU-garantierte Pressefreiheit und der Zugang zum Rechtsstaat, auf der Strecke".
Aber auch von Deutschland werde "der Familiennachzug bislang systematisch geblockt" und der Bezug, den viele der Geflüchteten zu Deutschland haben, "spielt bislang keine Rolle", kritisierte Burkhardt. Er forderte "legale Wege", damit Menschen auch außerhalb der Kernfamilie zu Angehörigen nach Deutschland kommen könnten. Hier sieht Burkhardt die künftige Bundesregierung in Verantwortung.
Update vom 12. November 15.30 Uhr: Die USA sind besorgt angesichts der Lage an der polnisch-belarussischen Grenze, wo Tausende Migranten auf dem Weg in Richtung EU ausharren. „Wir sind sehr beunruhigt und haben einen Blick darauf“, sagte US-Vizepräsidentin Kamala Harris in Paris. „Das Lukaschenko-Regime ist an beunruhigenden Aktivitäten beteiligt.“ Die Welt gucke darauf, was dort passiert, so Harris.
Update vom 12. November, 15.23 Uhr: Der Irak will offenbar dazu beitragen, den Andrang von Migranten an der polnisch-belarussischen Grenze einzudämmen. Die Regierung in Bagdad plant nun, an der östlichen EU-Außengrenze festsitzende irakische Migranten zurückzuholen. Sie seien bereit, mehrere Reisen für Iraker zu organisieren, "die zurückkehren wollen", sagte ein Sprecher des Außenministeriums der Nachrichtenagentur AFP. Die Rückkehrwilligen würden derzeit registriert.
Update vom 12. November, 14.46 Uhr: Die Bundesregierung hat Drohungen des belarussischen Machthabers Alexander Lukaschenko, den Gastransit in die EU einzustellen, mit „Bedauern“ zur Kenntnis genommen, sagte eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums in Berlin. Die Jamal-Europa-Pipeline sei aber nur eine von mehreren Pipelines, weshalb die Versorgungssicherheit von Deutschland gewährleistet sei.
Lukaschenko hatte angesichts möglicher neuer Sanktionen der EU gegen Belarus damit gedroht, den Gastransit durch die Jamal-Europa-Leitung einzustellen. Die Jamal-Europa-Pipeline transportiert nur einen geringen Teil des Gases in den Westen.
Update vom 12. November, 14.40 Uhr: Im Migrationsstreit mit Belarus wird die EU nach Angaben des geschäftsführenden Bundesaußenministers Heiko Maas (SPD) in der kommenden Woche neue Sanktionen verhängen. Beim EU-Außenministertreffen am Montag in Brüssel würden die Sanktionen auf Personen erweitert, "die mittelbar oder unmittelbar" die Schleusungen von Migranten nach Belarus unterstützten, sagte Maas der Rheinischen Post und dem Bonner General-Anzeiger.
"Wir müssen dafür sorgen, dass diese Schleuserkette unterbrochen wird", sagte Maas. Zudem werde es sehr bald eine umfangreiche Liste an sanktionierten Einzelpersonen geben. In dem Streit hatte Maas bereits eine Verschärfung der Sanktionen gegen Belarus angekündigt.
Der Außenminister betonte nun, dass gegebenenfalls auch Fluggesellschaften mit Strafmaßnahmen rechnen müssten. "Alle Airlines müssen wissen, wer sich der Mittäterschaft verbrecherischer Schleusungen schuldig macht, der wird mit Konsequenzen rechnen müssen, auch durch Sanktionen bei Überflugrechten oder Landegenehmigungen." Laut Maas laufen Gespräche mit Fluggesellschaften, die bereits erste Wirkung zeigten. So nehme etwa Turkish Airlines auf Flügen nach Minsk keine Staatsangehörigen mehr aus dem Irak, Syrien und dem Jemen mit.
Update vom 12. November, 13.42 Uhr: Dem polnischen Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak zufolge werden nun auch britische Soldaten zur Sicherung der belarussischen Grenze beitragen. Diese würden mit dem polnischen Militär zusammenarbeiten, informierte Blaszczak auf Twitter.
Nach einer ersten Erkundung der Grenze werde man die britischen Soldaten über die Einzelheiten informieren, so der polnische Verteidigungsminister.
Update vom 12. November, 13.37 Uhr: Belarus und Russland haben gemeinsame Militärübungen nahe der polnischen Grenze bekanntgegeben. Eine "gemeinsame taktische Bataillonsgruppe" mit Fallschirmjägern beider Länder halte in der Region Grodno im Westen von Belarus Übungen ab, teilte das belarussische Verteidigungsministerium am Freitag auf Telegram mit. Es begründete den Schritt mit der "Zunahme militärischer Aktivität" nahe der belarussischen Grenze.
Nach Angaben von Mink sind russische Militärflugzeuge vom Typ Il-76 und belarussische Militärhubschrauber an den Übungen beteiligt. Das Verteidigungsministerium in Moskau erklärte laut russischen Nachrichtenagenturen, es handele sich um einen Überraschungseinsatz zur "Überprüfung der Gefechtsbereitschaft" der Truppen.
Der belarussische Journalist Tadeusz Giczan teilte Fotos zu den gemeinsamen Militärübungen auf Twitter.
Update vom 12. November, 13.35 Uhr: Nach Einschätzung der EU-Kommission zeigen Brüssels Bemühungen zur Eindämmung des Andrangs von Migranten aus Nahost an der Außengrenze zu Belarus erste Erfolge. Es gebe "Fortschritt an allen Fronten", sagte der für Migration zuständige Vizepräsident der EU-Kommission, Margaritis Schinas, am Freitag nach einem Treffen mit dem libanesischen Präsidenten Michel Aoun in Beirut. Am Donnerstag hatte Schinas Gespräche zum Thema in Dubai geführt.
Auf mehrere Staaten hatte Brüssel bereits Druck gemacht und Sanktionen gegen an der Schleusung von Flüchtlingen beteiligten Fluggesellschaften angedroht. Die Türkei verbot daraufhin am Freitag Staatsangehörigen aus Syrien, dem Irak und dem Jemen Abflüge von türkischen Flughäfen nach Belarus. Auch aus dem Libanon sollen Menschen mit Ziel EU nach Minsk geflogen werden.
Bei seinem Besuch in Dubai habe Schinas das "starke Engagement" der Behörden der Vereinigten Arabischen Emirate begrüßt, "dieses Problem gemeinsam anzugehen", erklärte die Kommission. "Am Montag werde ich nach Bagdad reisen und hoffentlich Ende nächster Woche nach Ankara", sagte Schinas in Beirut. Europa zähle gerade "in gewisser Weise seine Freunde und wir sind sehr froh, dass wir viele haben".
Update vom 12. November, 10.52 Uhr: Die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja hat Deutschland zu einem entschlosseneren Vorgehen gegen die Machthaber in ihrer Heimat aufgerufen. „Wir kommunizieren weiterhin mit der deutschen Regierung (...), damit sie Belarus zu einer Priorität in der Außenpolitik macht, damit sie in ihrem Handeln mutiger wird“, sagte die im Exil lebende Oppositionspolitikerin im Interview mit der Deutschen Welle am Donnerstag.
Sie sei „dankbar für jede Unterstützung“ jedes Landes, gleichzeitig könne aber „viel mehr getan werden“, sagte sie und forderte „mehr wirtschaftlichen und politischen Druck auf das Regime“. Weiter gab sie an: „Entscheidungen werden wegen der Bürokratie eher langsam getroffen, vielleicht auch aus Unsicherheit.“ Die Migrationskrise habe jedoch „nicht erst gestern begonnen“, über neue Sanktionen werde aber erst jetzt diskutiert, fügte sie hinzu.
Außerdem zeigte sie sich überzeugt, dass Lukaschenko seine Drohung nach einem Stopp der Gaslieferungen in die EU nicht verwirklichen wird. Tichanowskaja hält dies für einen "Bluff". Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte Tichanowskaja am Donnerstag vor dem Hintergrund des Flüchtlingsstreits zwischen der EU und Belarus im Schloss Bellevue empfangen.
Update vom 12. November, 10.40 Uhr: Die USA und mehrere europäische Länder haben mit Blick auf die Flüchtlingskrise an der Grenze zwischen Belarus und der EU das Vorgehen der Regierung in Minsk verurteilt. In einer gemeinsamen Erklärung warfen sie Belarus bei einer Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats am Donnerstag eine "orchestrierte Instrumentalisierung von Menschen" vor. Ziel der Aktion von Machthaber Alexander Lukaschenko sei es, "die Außengrenze der Europäischen Union zu destabilisieren".
Das Ziel von Belarus bestehe auch darin, "die Nachbarländer zu destabilisieren" und "die Aufmerksamkeit von seinen eigenen zunehmenden Menschenrechtsverletzungen abzulenken", hieß es in der gemeinsamen Erklärung der USA, Frankreichs, Estlands, Irlands, Großbritanniens und Norwegens weiter. Lukaschenkos Strategie sei "inakzeptabel" und müsse eine "starke internationale Reaktion" nach sich ziehen.
Dmitri Poljanski, der stellvertretende UNO-Botschafter Russlands, sprach vor der Sitzung von einer „masochistischen Neigung“ seiner westlichen Kollegen: Es sei sehr mutig, dieses Thema, welches eine Schande für die EU sei, vor Russland anzusprechen. Daneben müssten nicht alle Probleme vom Sicherheitsrat angegangen werden, so Poljanski.
Erstmeldung vom 12. November, 9.45 Uhr: Aktuell ist die belarussisch-polnische Grenze ein Hotspot für einen neuen Flüchtlingsstrom in Richtung Europa. Mit der Hoffnung, in europäische Länder zu gelangen, warten Tausende Migranten in eisigen Temperaturen an der östlichen EU-Außengrenze. Bereits mehrfach versuchten größere Gruppen vergeblich, die Zaunanlage zu durchbrechen, mit der Polen sie von einem Grenzübertritt abhalten will.
Die Regierung in Warschau und die EU werfen dem autoritären belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko vor, gezielt Menschen aus Krisenregionen einfliegen zu lassen, um sie dann in die EU zu schleusen. Lukaschenko weist die Vorwürfe bislang zurück und droht der EU, unter anderem mit dem Abstellen von Gas-Leitungen. Die EU hat neue Sanktionen auf den Weg gebracht, die Anfang nächster Woche formell beschlossen werden könnten.
Nun folgt ein entscheidender Schritt aus der Türkei, der die Situation an der EU-Außengrenze positiv beeinträchtigen könnte. Auf Druck der Europäischen Union will Ankara ab jetzt Flüge nach Belarus kontrollieren, um die Weiterreise von Migranten vorwiegend aus dem nördlichen Teil von Irak zu verhindern, bestätigte ein EU-Beamter gegenüber Bloomberg. Zuvor zeigte eine Untersuchung, dass die Route der Migranten nach Belarus überwiegend über die Türkei läuft.
Nach Angaben des EU-Beamten sollen keine One-Way-Tickets mehr für Flüge aus der Türkei nach Minsk verkauft werden. Belavia, die staatliche Fluggesellschaft von Belarus, werde zudem auch nicht mehr das Middle-East-Netzwerk von Turkish Airlines nutzen können, um Reisende über Istanbul nach Minsk zu fliegen, hieß es. Menschen mit syrischen, irakischen und jemenitischen Pässen dürften bis auf weiteres keine Tickets mehr kaufen und nicht mehr an Bord gehen, teilte die zivile Luftfahrtbehörde der Türkei am Freitag mit.
Die staatliche belarussische Fluggesellschaft Belavia informierte auf ihrer Internetseite ebenfalls darüber, dass Staatsbürger aus den drei Ländern gemäß einer Entscheidung der türkischen Behörden nicht mehr an Bord ihrer Maschinen dürften. Passagiere, die von dem Verbot betroffen seien, könnten ihre Tickets an der Verkaufsstelle zurückgeben und das Geld erstattet bekommen. (dpa/bb)