Brexit: Alle wichtigen Infos zum EU-Austritt des Vereinigten Königreichs
Der Brexit steht für den EU-Austritt des Vereinigten Königreichs. Wir klären die wichtigsten Fragen zu Referendum, Austrittsdatum und Protagonisten.
- Großbritannien hat sich 2016 in einem Referendum für den Brexit entschieden.
- Lange gibt es politische Diskussionen und Angst vor einem No-Deal-Brexit.
- Das Austrittsdatum ist mehrfach verschoben worden. Erst seit Anfang 2020 steht es endgültig fest.
London - Seit dem 23. Juni 2016 steht fest, dass Großbritannien die EU verlassen wird. An jenem Tag gingen rund 33 Millionen Wahlberechtigte an die Wahlurne und stimmten für oder gegen den Brexit. Das Ergebnis fiel denkbar knapp aus: 51,9 Prozent der Wähler sprachen sich für den EU-Austritt des Vereinigten Königreichs aus, 48,1 Prozent dagegen. Wir klären die wichtigsten Fragen zum Brexit in einer Übersicht.
Warum will Großbritannien die EU verlassen?
Brexit-Befürworter sehen die Vorteile eines EU-Austritts zum Beispiel in der wirtschaftlichen Unabhängigkeit Großbritanniens. Die Argumentation lautet: Man könnte das Geld, das aus Großbritannien in die EU fließe, etwa in die Sanierung des maroden Gesundheitswesens stecken.
Ein weiteres Argument für den Brexit sehen dessen Befürworter beim Thema Einwanderung. Für Bürger der Europäischen Union gilt grundsätzlich ein Recht auf Freizügigkeit. Brexit-Unterstützer meinen, dass diese Freizügigkeit zu mehr Zuwanderung (auch in die Sozialsysteme) führe, sehen solche Migrationsbewegungen aber mit Skepsis.
Politisch gesehen wünschen sich Anhänger des EU-Austritts mehr Unabhängigkeit von Brüssel. Das Argument: Zu viele Gesetze würden den EU-Mitgliedsstaaten diktiert. Im Zweifelsfall, so die Kritik, werde EU-Recht dem nationalen Recht übergeordnet.
Was ist seit dem Referendum 2016 passiert?
Nach dem Brexit-Referendum im Juni 2016 trat der konservative Premierminister David Cameron zurück - er sah mehr Vorteile in einem Verbleib Großbritanniens in der EU.
Seine Nachfolgerin wurde die konservative und bis dato als Innenministerin tätige Theresa May. Sie trat an, um das Land zu einen und den Brexit zu vollziehen. Sie kündigte an, dem Parlament in London die Ergebnisse der Verhandlungen über die EU-Austritts-Gespräche vorzulegen. Genau die wurden zum Gegenstand einer heftigen Debatte: Es kam zu zahlreichen Abstimmungen im Unterhaus, die Mehrheit der Abgeordneten stimmte stets gegen die Pläne Mays. Am 24. Juli 2019 trat May als Premierministerin zurück. Boris Johnson wurde daraufhin ihr Nachfolger - mit dem klaren Versprechen, den Brexit über die Bühne zu bringen.
Auch Johnson hatte zunächst mit unklaren Mehrheiten im Parlament zu kämpfen und scheiterte mit Vorlagen für Brexit-Gesetze im Unterhaus. Dem neuen Tory-Chef gelang es allerdings, dieses Problem mit Neuwahlen zu beseitigen: Aus der Parlamentswahl am 12. Dezember 2019 ging seine Partei als klarer Sieger hervor. Am Donnerstag, 9. Januar, stimmte das britische Unterhaus final über Johnsons Brexit-Deal ab. Wenige Tage später war für die britischen Abgeordneten im EU-Parlament Feierabend.
Wie stehen die politischen Lager in Großbritannien zum Brexit?
Als einzige Partei in Großbritannien trat die UK Independence Party (Ukip) unter ihrem Parteichef Nigel Farage geschlossen für den Brexit ein. Die anderen Parteien zeigen sich gespalten in der Frage um den EU-Austritt des Vereinigten Königreichs. Sowohl bei den konservativen Tories, als auch bei der eher liberalen Labour-Party gibt es Uneinigkeit. Letztere Partei setzt sich aber größtenteils für den Verbleib in der EU ein. Ihre Mehrheit trug auch die Entscheidung für das Brexit-Gesetz.
Wann ist das Austrittsdatum Großbritanniens aus der EU?
Boris Johnson kündigte nach seinem Antritt als Premierminister an, die EU schlimmstenfalls auch ohne Abkommen (No-Brexit-Deal) verlassen zu wollen. Am 17. Oktober 2019 gelang schließlich ein Durchbruch bei den Verhandlungen. In der Folge wurde das zunächst festgelegte Austrittsdatum, ursprünglich der 31. Oktober 2019, verschoben.
Der EU-Rat einigte sich darauf, die Abstimmung des Unterhauses zu Johnsons angekündigtem Antrag auf Neuwahlen am 12. Dezember abzuwarten, bevor eine genaue Frist beschlossen wird.
Am 28. Oktober 2019 gab EU-Ratspräsident Donald Tusk bekannt, dass die EU-Staaten sich auf einen Aufschub des Brexit bis zum 31. Januar 2020 geeinigt hätten. Bis zum 31. Dezember 2020 gilt eine Übergangsphase. Während dieser ändert sich in der Praxis erstmal wenig bis nichts - in dieser knappen Zeitspanne müssen sich Brüssel und London aber auf ein Abkommen über die künftigen Beziehungen einigen, damit ein „harter Brexit“ abgewendet wird. Das Themenspektrum reicht von einem Handelsabkommen bis zur künftigen Partnerschaft im Kampf gegen Verbrechen und Terrorismus. Experten warnen angesichts dessen vor einem erneuten „Schock“- die Gespräche könnten „lange, zäh und bitter werden“.
Was bedeutet der Brexit für Großbritanniens Wirtschaft?
Die Denkfabrik „Open Europe“ geht in einer Studie von zwei möglichen Szenarien aus. Ihr zufolge könnte sich der Brexit aufgrund von Zollbeschränkungen leicht negativ auf die Wirtschaft Großbritanniens auswirken. Voraussetzung für eine nur moderate Verschlechterung des Bruttoinlandsprodukts von -0,5 bis -1,5 Prozent sei ein vernünftiges Handelsabkommen zwischen Großbritannien und der EU.
„Open Europe“ sieht einen Ausweg aus einer möglichen Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage Großbritanniens in der Schaffung einer Freihandelszone. Ein Problem sehen die Autoren der Studie in der Tatsache, dass die Aushandlung solcher Verträge in der Regel viel Zeit in Anspruch nehme.
Außerdem müsse Großbritannien Zuwanderung weiterhin zulassen, wenn auch an bestimmte Qualifikationen gebunden. Zuwanderung könne unter anderem der drohenden Veralterung der Bevölkerung entgegenwirken.
Was bedeutet der Brexit für Europa?
Der Austritt Großbritanniens könnte riskant für den Euro sein: Kreditzinsen könnten steigen, Investitionen gebremst werden, generell werden Turbulenzen auf den Finanzmärkten* in unbekannter Größenordnung erwartet.
Einige Beobachter sehen im Brexit den ersten Dominostein für einen Zerfall der EU: Länder wie Italien oder Frankreich könnten ähnliche Referenden anstreben. Der Dominoeffekt wird auch an der EU-Spitze nicht ausgeschlossen, denn europaskeptische Parteien sind gerade in mehreren Ländern im Aufwind. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte, er könne "nicht ausschließen, dass der britische Ausstieg in anderen Ländern Lust auf mehr machen würde".
Zu beachten wären auch Veränderungen im wirtschaftlichen Sektor (siehe Aspekte im nächsten Abschnitt).

Welche Folgen könnte der Brexit für Deutschland haben?
Die Folgen des Brexit für Deutschland* könnten auf finanziell gesehen durch aus empfindlich sein. Mit fast 90 Milliarden Euro war Großbritannien laut Statistischem Bundesamt 2015 der drittwichtigste Exportmarkt für die Bundesrepublik. Der Brexit könnte laut Volker Treier, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), „Arbeitsplätze unter Vorbehalt“ stellen. Der mögliche Grund: eine Abwertung des britischen Pfunds gegenüber dem Euro und eine höhere Inflation. Das würde die Preise für deutsche Produkte im Vereinigten Königreich erhöhen und den Absatz wohl senken.
Was bedeutet ein ungeregelter Brexit?
Der ungeregelte Brexit, auch „No-Deal-Brexit“ genannt, ist der Austritt Großbritanniens aus der EU ohne einen Vertrag über eine weitere Kooperation. In diesem Fall rechnet die CBI (Confederation of British Industry) laut einem Bericht der Neuen Zürcher Zeitung unter anderem mit Stau an den Grenzen und Engpässen bei der Lebensmittelversorgung der Supermärkte.
Tausende von britischen Dienstleistungsfirmen dürften dem Blatt zufolge ihre Arbeit in der EU auf einen Schlag nicht mehr legal ausführen. Auch wenn größere Unternehmen vorbereitet seien, sei das für viele kleine Firmen unerschwinglich teuer, sagt die CBI demnach voraus. Überall herrsche Rechtsunsicherheit.
Die Wirtschaftsleistung, so die Befürchtung des Internationalen Währungsfonds (IMF), könnte sich im schlimmsten Fall um bis zu 8 Prozent verschlechtern.
Die Bank of England rechnet nach einem möglichen „No-Deal-Brexit“ mit steigender Arbeitslosigkeit und einer Rezession. Sie und die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) rechnen zudem mit einem Rückgang des britischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) von bis zu 5,5 Prozent.
Auf den Straßen könnte es in der Folge zu Unruhen kommen. Mögliche Preissteigerungen würden insbesondere Menschen mit niedrigen Einkommen belasten.
Was passiert beim Brexit im Falle von Irland und Nordirland?
Da Irland nicht zum Vereinigten Königreich gehört, bleibt es vom Brexit unangetastet und bleibt weiterhin in der EU. Das Problem: Bei einem Brexit würde Nordirland als das Teil der Vereinigten Königreichs aus der EU austreten. Zu verhindern gilt es nun, dass zwischen den beiden Ländern wieder eine harte Grenze hochgezogen wird. Immerhin pendeln tausende Menschen zum Arbeiten hin und her, es gibt zudem täglichen Warenaustausch.
Die offene Grenze sichert seit Jahren Frieden zwischen den zwei Nationen, gerade deshalb ist dieser Aspekt in den Brexit-Verhandlungen so wichtig, wie Merkur.de* schreibt.
EU und Großbritannien haben sich darauf geeinigt, dass es auch nach dem Brexit keine harte Grenze zwischen Irland und Nordirland geben wird. Waren, die nach Irland, also in die EU, eingeführt werden, sollen künftig stattdessen schon an den irischen Häfen kontrolliert und verzollt werden.
Nachdem monatelang über den sogenannten „Backstop“ gestritten wurde, sah die finale Lösung anders aus: Nordirland soll sich künftig weiterhin an EU-Regeln zu Zöllen und Produktstandards halten. Eine neue Front könnte für Boris Johnson unterdessen in Schottland entstehen - die dort regierende Scottish National Party liebäugelt offen mit einem Austritt aus dem Vereinigten Königreich.
Könnte Großbritannien nach einem Austritt eigentlich wieder EU-Mitglied werden?
Ja. Aber dazu müsste Großbritannien das übliche Verfahren durchlaufen, das mehrere Jahre dauert. Außerdem müsste London damit rechnen, dass es bisher geltende Sonderregelungen wie den Rabatt bei den Mitgliedsbeiträgen nicht noch einmal gibt.
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