Merkel warnt Briten vor Brexit-Illusionen: Keine Rechte wie bisher

Berlin/Brüssel - Vor dem EU-Sondergipfel zum Brexit zeigt die Kanzlerin klare Kante. Großbritannien müsse damit rechnen, dass der Austritt auch negative und vor allem finanzielle Folgen haben werde.
Kanzlerin Angela Merkel hat Großbritannien vor Illusionen bei den Brexit-Verhandlungen gewarnt. „Ein Drittstaat, und das wird Großbritannien sein, kann und wird nicht über die gleichen Rechte verfügen oder womöglich sogar bessergestellt werden können wie ein Mitglied der Europäischen Union“, sagte Merkel am Donnerstag im Bundestag. „Ich habe das Gefühl, dass sich einige in Großbritannien darüber noch Illusionen machen. Das aber wäre vergeudete Zeit.“
In einer Regierungserklärung vor dem EU-Sondergipfel zum Brexit am Samstag in Brüssel betonte Merkel, zunächst müssten die Bedingungen des Austritts „zufriedenstellend geklärt“ werden. Erst dann könne über das künftige Verhältnis zu London gesprochen werden. Diese Reihenfolge sei „nicht umkehrbar“.
Deshalb müsse auch von Beginn an über die finanziellen Verpflichtungen Londons gesprochen werden. Diese Verpflichtungen erstreckten sich auch auf die Zeit nach dem Brexit. „Ohne Fortschritte bei den vielen offenen Fragen des Austritts, inklusive der finanziellen Fragen, macht es keinen Sinn, parallel schon über Details des künftigen Verhältnisses zu verhandeln.“ Auch in Zukunft solle es jedoch „gute, enge und vertrauensvolle Beziehungen“ geben.
Merkel rechnet bei Brexit-Verhandlungen mit einheitlichen Haltung der EU
Zentrales Anliegen bei den Verhandlungen seien die Interessen deutscher und anderer EU-Bürger, die in Großbritannien leben. Die negativen Auswirkungen für diese Menschen müssten so gering wie möglich gehalten werden. Sie brauchten Klarheit und Planungssicherheit.
Innerhalb der Europäischen Union rechnet Merkel mit einer einheitlichen Haltung. Es gebe im Kreis der 27 und der EU-Institutionen mittlerweile ein „großes Einvernehmen“ über die gemeinsame Verhandlungslinie. „Wir können deshalb davon ausgehen, dass vom Europäischen Rat der 27 übermorgen ein starkes Signal der Geschlossenheit ausgehen wird.“
Am Samstag wollen Merkel und die übrigen Staats- und Regierungschefs der 27 verbleibenden EU-Staaten Leitlinien für die Verhandlungen über den Brexit beschließen. Merkel warnte die restlichen EU-Mitglieder zugleich davor, angesichts der Brexit-Verhandlungen den Blick für die europäischen Herausforderungen zu verlieren.
Merkel: Europa darf sich nicht nur auf Brexit konzentrieren
Viel zu ernst seien die Krisen in Europas Nachbarschaft und zu groß die globalen Herausforderungen von Flucht, Migration, Hunger, Welthandel und Klimaschutz, „als dass es sich Europa nun leisten könnte, sich in den zwei kommenden Jahren nur mit sich selbst zu beschäftigen, Brexit hin oder her“, sagte Merkel.
In der Debatte über die Regierungserklärung warf Oppositionsführerin Sahra Wagenknecht der Bundesregierung anti-europäische Politik vor. Wagenknecht kritisierte, dass die EU den Austritt Großbritanniens möglichst abschreckend gestalten wolle. „Wer glaubt, auf Einschüchterung angewiesen zu sein, um den europäischen Zusammenhalt zu sichern, der hat Europa längst aufgegeben.“
SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann warf der Linken vor, die Lage in Europa schlechtzureden. „Sie malen hier ein Krisenszenario aus und ignorieren, dass im Augenblick die Eurozone dabei ist, sich wirtschaftlich zu stabilisieren“, sagte er. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt warnte Merkel vor Kleinmut und der ausschließlichen Vertretung deutscher Interessen.
Kauder: Merkel wird konsequente Linie verfolgen
Auch nach Ansicht von Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) wird Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine konsequente Linie in den Brexit-Verhandlungen mit Großbritannien verfolgen. „Es muss klar sein, dass es einen Unterschied gibt, ob man dabei ist oder nicht“, sagte Kauder am Donnerstag im ZDF-„Morgenmagazin“. Es werde harte, klare Verhandlungen geben. „Aber es wird natürlich auch geschaut, wie die Zusammenarbeit in Zukunft gestaltet werden kann“, sagte Kauder. Auch wenn Großbritannien aus der Europäischen Union austreten wolle, sei das Land weiterhin Mitglied der Nato. Man führe einen gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus.
Treffen von Juncker und May in London
Die britische Premierministerin Theresa May empfing am Mittwochabend den EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker und den EU-Chefunterhändler Michel Barnier in London. Worum es in dem Gespräch im Regierungssitz in der Downing Street genau ging, wurde zunächst nicht bekannt. Der EU-Kommissionschef wolle mit May über den Ablauf der Austrittsverhandlungen sprechen, hatte es zuvor geheißen. Aus dem Büro der Premierministerin verlautete später lediglich, das Gespräch sei „konstruktiv“ verlaufen“.
Mit Spannung wird erwartet, ob sich Merkel im Bundestag erstmals nach dem umstrittenen türkischen Verfassungsreferendum öffentlich zur Lage in der Türkei äußert. In der Fraktion hatte sie gefordert, es sei eine geschlossene europäische Antwort auf das Vorgehen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan notwendig. Bei dem Referendum hatten 51,4 Prozent der wahlberechtigten Türken für ein Präsidialsystem gestimmt, das Erdogan mehr Macht verleiht.
Merkel mahnt Türkei und warnt vor Abwendung
In ihrer Regierungserklärung äußerte sich die Kanzlerin am Donnerstag zudem über das deutsch-türkische Verhältnis. Dabei hat sie die Türkei zur Einhaltung rechtsstaatlicher Standards gemahnt und zugleich vor einem Bruch in den Beziehungen des Landes zu Europa gewarnt. „Eine endgültige Abwendung der Türkei von Europa, aber auch Europas von der Türkei wäre weder im deutschen noch im europäischen Interesse“, sagte Merkel am Donnerstag in einer Regierungserklärung im Bundestag.
„Mit Klugheit wie mit Klarheit werden wir im Kreise der Europäischen Union darüber beraten, welche präzisen Konsequenzen wir zu welchem Zeitpunkt für angemessen halten.“ Die Türkei müsse sich unter anderem zu massiven Bedenken zum Ablauf des Verfassungsreferendums erklären.
Merkel betonte mit Blick auf den in der Türkei inhaftierten deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel: „Es ist - um das unmissverständlich zu sagen, mit einem Rechtsstaat nicht vereinbar, wenn eine Exekutive, in diesem Fall die türkische Exekutive, Vorverurteilungen vornimmt, wie das etwa mit Deniz Yücel öffentlich geschehen ist.“
Bereits nach dem Referendum in der Türkei forderte Merkel eine geschlossene Antwort der EU auf Erdogans Referendum.
dpa