„Ein bisschen lebensfremd“: Buschmann plant Fahrerflucht-Neuerung - Jurist fürchtet falsches Signal

Marco Buschmann will Milde bei Blechschäden walten lassen. Gut für die geplagte Justiz, meint ein Experte - aber womöglich ein falsches Signal.
München – Das Schreiben ging kurz nach Ostern raus, es ist also ziemlich frisch. Und der Weg, den das Thema durch die Instanzen nehmen muss, ist noch weit. Dennoch sorgen die Pläne des Bundesjustizministers bereits jetzt für Aufsehen, in der Politik und auf der Straße. Marco Buschmann (FDP) will Unfallflucht künftig nicht mehr als Straftat behandeln – sofern keine Personen zu Schaden gekommen sind.
Verlässt ein Autofahrer den Unfallort, nachdem er lediglich einen Blechschaden verursacht hat, sollen die Konsequenzen deutlich milder ausfallen. Statt einer Straftat soll dann nur noch eine Ordnungswidrigkeit vorliegen. Auf diese Weise würde „einer undifferenzierten Kriminalisierung des Unfallverursachers entgegengewirkt“, zitiert das Redaktionsnetzwerk Deutschland aus einem Papier, das das Justizministerium mit der Bitte um Stellungnahme an Fachverbände verschickt hat.
Fahrerflucht: Gesetzesänderung „zweischneidiges Schwert“
Der Unterschied zwischen Straftat und Ordnungswidrigkeit ist gewaltig. Nach der aktuellen Rechtssprechung kann das unerlaubte Entfernen vom Unfallort mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden, auch wenn dieses Szenario ein Extremfall ist. Realistischer sind Geldstrafen, sie liegen in der Regel nicht unter einem Netto-Monatsgehalt, sowie der Verlust des Führerscheins. In München etwa beantragt die Staatsanwaltschaft bei Schäden über 2500 Euro in der Regel die Entziehung. Einen neuen zu erhalten, kann leicht ein Dreivierteljahr dauern. Ordnungswidrigkeiten enden glimpflicher, mit einer dreistelligen Geldstrafe, auch mal einem Fahrverbot, aber selten länger als drei Monate.
Das Gesetz zu lockern, sei „ein zweischneidiges Schwert“, sagt Albert Cermak, Fachanwalt für Verkehrsrecht in München. Es könnte einerseits helfen, die Justiz zu entlasten. Mehr als jede vierte Strafsache stammt aktuell aus dem Verkehrsbereich. „In vielen Fällen, wo es um kleinste Schäden geht, wird das Verfahren am Ende eingestellt.“ Arbeit machen sie trotzdem.
Andererseits ahnt der Jurist, dass ein aufgeweichtes Gesetz falsche Signale aussenden könnte. Es werde „weniger Unrechtsbewusstsein geben“, dafür mehr Geschädigte, „die auf ihren Schäden sitzen bleiben“. Sich vom Unfallort zu entfernen, fürchtet Cermak, könnte zum Kavaliersdelikt schrumpfen, zumal die Regeln für das korrekte Verhalten nach Blechschäden im Buschmann-Papier noch sehr vage klingen. Denkbar sei „eine Meldung über eine standardisierte Onlinemaske“, heißt es dort, Bilder vom Schaden könnten hochgeladen werden oder ein Formular am beschädigten Fahrzeug angebracht.
Buschmanns Fahrerflucht-Pläne: Eine Einladung zum Ausnüchtern für Trunkenheitsfahrer?
In der Praxis könnte das schwierig werden. Viele Senioren dürften mit einer digitalen Anwendung fremdeln. Umgekehrt könnte eine Abwicklung via Internet Vorteile mit sich bringen, die nicht im Sinne des Erfinders sein können. Wer unter Alkoholeinfluss einen Unfall verursacht, wäre dann nicht mehr verpflichtet, am Unfallort zu bleiben, selbst wenn ihn das belasten würde, sondern könnte den Schaden von zu Hause melden und parallel ausnüchtern. „Ein bisschen lebensfremd“, findet Cermak.
Aus dem bayerischen Justizministerium heißt es auf Anfrage kühl, man werde „die vorgeschlagene Änderung prüfen“. Deutlicher fällt das Urteil aus Hessen aus. „Die Verkehrsunfallflucht muss Straftat bleiben und das ohne Abstriche“, verlangt Justizminister Roman Poseck (CDU). „Es liegt auf der Hand, dass sich bei einer Entkriminalisierung der Verkehrsunfallflucht noch mehr Verkehrsteilnehmer ihren Pflichten entziehen werden.“
In Berlin ist man angesichts der Kritik erkennbar bemüht, nicht zu forsch zu erscheinen. Man prüfe verschiedene Optionen, twitterte gestern das Ministerium. Selbst der Vorschlag, der aktuell kursiere, bedeute aber nicht, „dass Fahrerflucht künftig erlaubt ist“.
Marc Beyer