Nach Chinas Militärmanöver: US-Zerstörer durchquert Taiwan-Straße
Die USA schicken ein Kampfschiff, China Kampfjets: Die Lage in der Taiwan-Straße bleibt angespannt. Neue Dokumente zeigen, dass Taipeh im Falle eines Angriffs nur bedingt abwehrbereit wäre.
München/Peking/Taipeh – Auch fast zwei Wochen nach dem USA-Besuch der taiwanischen Präsidentin Tsai Ing-wen kommt die Region nicht zur Ruhe: Am Sonntag schickte die US Navy den Zerstörer „USS Milius“ durch die Taiwan-Straße, die China und das von Peking beanspruchte Taiwan trennt. Peking betrachtet die gut 150 Kilometer breite Meeresenge als eigenes Hoheitsgewässer; die USA hingegen weisen diese Sichtweise zurück. So ließ die US Navy wissen, es habe sich bei der Durchfahrt der „USS Milius“ um einen „Routine-Transit“ durch einen Korridor „jenseits der Hoheitsgewässer irgendeines Küstenstaates“ gehandelt. Chinas Armee erklärte, die Durchfahrt des Zerstörers zu überwachen.
Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen hatte sich Anfang April in den USA unter anderem mit Kevin McCarthy, dem Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses, zu Gesprächen getroffen. Dabei sicherte ihr McCarthy, die Nummer drei in der US-Hierarchie, die Unterstützung seines Landes zu. China, das Kontakte zwischen der Regierung in Taipeh und Vertretern anderer Staaten ablehnt, reagierte auf den Besuch mit einem dreitägigen Militärmanöver rund um Taiwan. Dabei wurden die Abriegelung der Insel und Angriffe auf dort gelegene „Schlüsselziele“ geprobt, wie Chinas Volksbefreiungsarmee damals mitteilte.
China schickt Kampfjets in Richtung Taiwan und wirft USA „illegales“ Eindringen vor
Auch nach dem offiziellen Ende der Manöver gingen Chinas Muskelspiele in der Region weiter. So registrierte Taiwans Verteidigungsministerium am Montag vier chinesische Kriegsschiffe sowie 18 Kampfjets in der Luftverteidigungszone des Landes. Vier der Jets hätten die Medianlinie überquert, die inoffizielle Grenze zwischen beiden Ländern. Zu derartigen Vorfällen kommt es fast täglich, und zwar verstärkt seit dem Taiwan-Besuch von McCarthys Vorgängerin Nancy Pelosi im vergangenen August. China hatte die Medianlinie bis vor rund einem Jahr noch respektiert.
Die USA zeigen in der Region traditionell regelmäßig Präsenz, Schiffe der US Navy durchqueren die Taiwan-Straße etwa einmal im Monat. Die „USS Milius“ war zudem erst vor einer Woche im Abstand von zwölf Seemeilen zum Mischief Reef unterwegs, das zu dem zwischen China, den Philippinen und anderen Anrainerstaaten umstrittenen Spratly-Archipel gehört. China sprach von einem „illegalen“ Eindringen, das „ohne Zustimmung“ der chinesischen Regierung erfolgt sei.
Chinas zunehmende Drohgebärden gegenüber Taiwan werfen auch Fragen nach der Verteidigungsfähigkeit der demokratisch regierten Insel auf. US-Dokumente, die Teil eines vor wenigen Tagen bekannt gewordenen Daten-Leaks sind, zeigen offenbar Schwachstellen in der taiwanischen Luftabwehr auf. Das berichtete am Wochenende die Washington Post, der die Dokumente vorliegen.

Im Falle eines China-Angriffs: Wie abwehrbereit ist Taiwan?
Demnach könnte Taiwan bei einem Angriff aus Peking voraussichtlich nicht verhindern, dass China schnell die Lufthoheit über die Insel übernimmt. Zugleich offenbaren die durchgesickerten Informationen, dass Chinas Einsatz ziviler Fährschiffe bei Manövern der Marine es den US-Geheimdiensten zunehmend schwerer macht, Übungen von ernsthaften Vorbereitungen eines Angriffs zu unterscheiden. Bislang hatten westliche Geheimdienste und Militär-Analysten stets betont, eine bevorstehende Invasion lange vorher an Truppenbewegungen erkennen zu können, etwa über Satellit.
Wie viele der Erkenntnisse aus den geleakten Dokumenten in Peking längst bekannt sind, ist ungewiss. So oder so aber ist beunruhigend, dass nun jeder diese umfassenden Analysen zur Abwehrfähigkeit Taiwans einfach nachlesen kann.
Laut den US-Dokumenten hat Taiwan zu wenige Flugzeuge und Schwierigkeiten bei der Erkennung anfliegender Raketen. Auch zweifeln demnach taiwanische Beamte, dass ihre Luftabwehr Raketenstarts aus China „akkurat erkennen kann“. Auch sei nur gut die Hälfte der taiwanischen Kampfjets derzeit voll einsatzfähig. Noch dazu würde es mindestens eine Woche dauern würde, die Jets bei etwaigen Raketenangriffen in Schutzräume zu verlegen. Und doch geht Taiwan laut Washington Post davon aus, dass China bei einem Angriff genau auf diese Strategie setzen wird: so schnell wie möglich den Luftraum zu kontrollieren. Es wird also deutlich, dass Taiwan dringend eine geeignetere Verteidigungs- und Abschreckungsstrategie braucht.
Baerbock in China: Taiwan-Invasion wäre „Horrorszenario“
Außenministerin Annalena Baerbock hatte ihre chinesischen Gesprächspartner bei ihrem Besuch in Tianjin und Peking derweil vergangene Woche vor Gewalt gegen Taiwan gewarnt. Krieg an der Taiwan-Straße wäre ein „Horrorszenario“, so Baerbock. Wie wahrscheinlich eine Attacke Chinas auf Taiwan in naher Zukunft aber ist, darüber geben auch die geleakten Dokumente keine Auskunft. Die Meinungen von Experten gehen auseinander. Während immer wieder einzelne US-Militärs Daten wie 2027 oder gar noch eher ins Spiel bringen, halten viele Analysten eine baldige Invasion nicht für wahrscheinlich. Peking selbst sagt dazu seit Jahren dasselbe: Man strebe eine friedliche Wiedervereinigung an, schließe Gewalt aber nicht aus.