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Dalai Lama im Interview: "Nur die Wahrheit macht uns frei"

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München - Der Dalai Lama erklärt im Gespräch mit tz-Autor Franz Alt seine Hoffnungen nach dem Rücktritt.

Warum traten Sie vor Kurzem vom Amt des politischen Führers der Tibeter zurück?

Dalai Lama: Die Tradition, dass der Dalai Lama sowohl politischer wie spiritueller Führer Tibets ist, war 400 Jahre alt. Aber irgendwann geht jede Tradition zu Ende, weil sie veraltet ist. Eine Theokratie passt nicht mehr in unsere Zeit. Dann kam eine sehr egoistische Überlegung dazu: Ich bin doch in der ganzen Welt sehr populär – in China, in Indien, in den USA, in Europa. Populärer konnte ich doch gar nicht mehr werden (lacht lange). Also war das der richtige Zeitpunkt zum Rücktritt (lacht noch mehr).

Wirklich?

Dalai Lama: Ehrlich gesagt: Die Tradition der Ämterhäufung ist nicht nur alt, sondern auch altmodisch. Vor 20 Jahren habe ich zum ersten Mal an meinen politischen Rücktritt gedacht. Aber jetzt war die Zeit einfach reif dafür. Vielleicht habe ich damit auch anderen Politiker ein Zeichen gegeben – auch den kommunistischen Führern in Peking (lacht wieder). Es ist besser für eine Demokratie, wenn politische und spirituelle Führerschaft getrennt sind. Jetzt bin ich mit 76 Jahren wenigstens halb im Ruhestand. So kann ich meine Energie und Zeit besser einteilen.

Denken Sie, Ihr politischer Nachfolger, Ministerpräsident Lobsang Sangay, wird gegenüber China Ihren „Kurs des mittleren Weges“ beibehalten?

Dalai Lama: Das hat er gleich nach seiner Wahl öffentlich bekräftigt. Mittlerer Weg heißt: Tibet bleibt außenpolitisch bei China, bekommt aber mehr kulturelle und religiöse Autonomie und mehr Rechte für eine effektive Umweltpolitik. Ich stelle mir für Tibet eine Lösung vor, wie sie Südtirol gegenüber Italien hat: Autonomie, aber keine Unabhängigkeit.

Wie ist die aktuelle Menschenrechtssituation in China und in Tibet?

Dalai Lama: Es sieht ganz schlecht aus. Darüber kann man nur traurig sein. Viele Menschen werden gequält, nur weil sie anderer Meinung sind als die Herrschenden in der Regierung. Menschen mit Visionen für eine bessere Zukunft, Schriftsteller, Gläubige, Intellektuelle und Minderheiten wie die Tibeter oder die Uiguren sind besonders hart betroffen. Kurz vor unserem Gespräch habe ich einen chinesischen Schriftsteller empfangen, der viele Jahre im Gefängnis war und gefoltert wurde.

Was denken Sie über die Revolutionen in der ganzen arabischen Welt und über die Jugend-Aufstände in westlichen Ländern: Ist das auch eine Chance für die Demokratiebewegung in China?

Dalai Lama: Das ist schwer zu sagen. Eine gewisse Mitsprache des Volkes gibt es ja schon in China und auch Protestbewegungen. Aber vieles muss sich noch ändern. Die Machthaber in Peking sind sehr nervös über die Aufstände in der ganzen Welt.

Warum?

Dalai Lama: Sie sind ja wirtschaftlich sehr erfolgreich, aber haben trotzdem Angst vor Veränderung. Es mangelt ihnen einfach an Selbstbewusstsein. Sie wissen genau, dass alle autoritären Systeme an ihr Ende kommen. Die frühere UdSSR war nach 60 Jahren am Ende. Die Volksrepublik China ist inzwischen genauso alt. Ein Blick auf den chinesischen Staatshaushalt zeigt die Gefährlichkeit der Lage. Die kommunistische Regierung muss inzwischen mehr Geld für die Innere Sicherheit als für die äußere Verteidigung ausgeben. Das sagt eigentlich alles. Ich sage meinen chinesischen Freunden immer, dass ihre Regierung dem Volk die Wahrheit sagen muss. Ehrlicher Wandel basiert auf Wahrheit.

Im vergangenen Jahrhundert sind durch Kriege über 200 Millionen Menschen umgebracht worden. Sehen Sie eine Chance, dass das 21. Jahrhundert ein Jahrhundert des Friedens wird

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Dalai Lama: Die Möglichkeiten dafür sind viel größer als in der Vergangenheit. Weil wir heute mehr voneinander wissen. Deshalb ist journalistische Aufklärung so wichtig. Im Ersten und Zweiten Weltkrieg waren die Menschen sogar kriegsbegeistert. Und deshalb machten auch alle mit. Das ist heute unmöglich. In Europa zumindest will fast niemand mehr einen Krieg. Und die Menschen wären dafür auch nicht mehr zu begeistern. Gott sei Dank – wir haben gelernt. Wir sind achtsamer geworden. Europa ist pazifistisch geworden. Die deutsch-französische Freunds­chaft ist vorbildlich – ebenso die deutsch-polnische Aussöhnung.

Was sind die Voraussetzungen für ein Jahrhundert des Friedens?

Dalai Lama: Nur die Wahrheit wird uns frei machen für eine neue Zeit. Also wir müssen ehrlich sein, wahrhaftig, offen für die sogenannten Fremden. Wir müssen verzeihen und lieben können.

Was ist in Zukunft das Wichtigste für die junge Generation?

Dalai Lama: Die jungen Menschen aller Länder und Kontinente müssen miteinander ins Gespräch kommen. Ohne Dialog gibt es keinen Frieden. Das gilt persönlich, aber auch politisch. Deshalb hoffe ich auch in Zukunft auf einen Dialog zwischen uns Tibetern und China. Viele junge Chinesen wollen ein gutes Verhältnis zu Tibet. Chinas Jugend ist meine Hoffnung für die Zukunft. Die Jugend sollte außerdem nicht nur materielle Interessen verfolgen, sondern auch geistige und spirituelle. Leider überwiegen heute bei den erwachsenen Generationen die materiellen Interessen. Der Jugend fehlt es an Vorbildern. Die weltweiten Jugendaufstände zeigen aber, dass die junge Generation auf der Suche nach neuen Werten ist. Sie scheint mir grundsätzlich systemkritisch zu sein. Auch das lässt mich hoffen.

Beten Sie auch für die kommunistischen Führer in Peking oder sind das Ihre Feinde?

Dalai Lama: Als Buddhist tue ich mein Bestes, um meine Religion in die Tat umzusetzen. Alle Menschen sind Brüder und Schwestern. Ich bete natürlich auch für meine kommunistischen Brüder und Schwestern und für die Führer in Peking. Wie bei Jesus in der Bergpredigt: Feindesliebe ist wichtig. Eigentlich habe ich gar keine Feinde. Es gibt lediglich Menschen, die ich noch nicht kennengelernt habe.

Interview: Franz Alt

Die Macht in Tibet

Von 1950 bis 2011 diente der Dalai Lama als geistiges Oberhaupt der etwa sechs Millionen Tibeter und führte die Geschäfte der tibetischen Exilregierung. Seine politische Führungsrolle gab der 76-Jährige im August dieses Jahres an seinen Nachfolgers Lobsang Sangay (Foto: dpa) ab. Der 43-jährige Jurist wurde im April 2011 zum neuen Ministerpräsidenten der Exilregierung im indischen Dharamsala gewählt. Der weltweit populäre Dalai Lama fungiert weiterhin als religiöser Führer der Tibeter. Damit hat Tibet nun eine Doppelspitze. Sangay kündigte bereits an, den Kampf gegen China für die Autonomie Tibets fortzusetzen.

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