Deutschland bekommt ein neues Wahlrecht
Berlin - Deutschland bekommt ein neues Wahlrecht. 294 von 535 Abgeordneten stimmten am Donnerstag im Bundestag für einen entsprechenden Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen, 241 dagegen.
Damit werden Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aufgegriffen, das im Juli 2008 das sogenannte negative Stimmgewicht für verfassungswidrig erklärt und dem Gesetzgeber drei Jahre Zeit zur Änderung gegeben hatte. Die Opposition kündigte bereits an, gegen das neue Gesetz wieder in Karlsruhe zu klagen.
Die Regelung des negativen Stimmgewichts ist eine Folge der bundesweiten Verrechnung von Zweitstimmen bei Bundestagswahlen in Kombination mit Überhangmandaten. In Ausnahmefällen kann es geschehen, dass mehr Zweitstimmen für eine Partei zu weniger Mandaten derselben Partei führen oder weniger Zweitstimmen zu mehr Mandaten.
Die Koalitionsfraktionen wollen das Problem des negativen Stimmgewichts beseitigen, indem künftig jedes Bundesland seine Volksvertreter separat wählen und in den Bundestag entsenden soll. Anders als bisher sollen die Zweitstimmen nicht mehr zwischen den Ländern verrechnet werden. Reststimmen, die nicht für ein Mandat ausreichen, sollen bundesweit verrechnet werden. Überhangmandate soll es weiter geben.
Vor der Abstimmung verteidigten Vertreter der Koalition das Vorhaben. “Wir stellen damit sicher, dass es künftig nicht mehr vorkommen kann, dass eine Stimme, die man einer Partei gibt, im Ergebnis diese ein Mandat kosten kann“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Unions-Fraktion, Günter Krings (CDU). Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Jörg van Essen, betonte, der Ansatz der Koalitionsfraktionen, nämlich “minimal invasiv“ einzugreifen, sei richtig.
Opposition hat verfassungsrechtliche Bedenken
Die Opposition beklagte dagegen, die Regelung sei erneut verfassungswidrig. SPD und Grüne bekräftigten ihre Absicht, Normenkontrollklage zu erheben. Für eine solche Klage ist ein Viertel der Mitglieder des Bundestags erforderlich, gemeinsam verfügen SPD und Grüne über ausreichend Stimmen.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, bezeichnete den Gesetzentwurf der Koalition als “handwerklich schlecht“. Weder löse das Gesetz das Problem des negativen Stimmengewichts, noch gebe es eine Lösung für das Problem der Überhangmandate. Der Union warf er vor, sich mit Hilfe von Überhangmandaten an die Macht zu klammern. “Sie missbrauchen das Wahlrecht als Machtrecht“, kritisierte er. Die FDP habe sich über den Reststimmenausgleich einkaufen lassen.
Die stellvertretende Bundesvorsitzende der Linke, Halina Wawzyniak, beklagte “erhebliche verfassungsrechtliche Probleme“. Sie kritisierte, dass die Koalition der Aufforderung von Experten nicht nachgekommen sei, Elemente aus den Gesetzentwürfen der übrigen Fraktionen einzuarbeiten. “Hier zeigt sich die Arroganz der Macht der Koalition und das führt unweigerlich nach Karlsruhe.“
Altmaier sieht Klage gelassen entgegen
Auch der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, warf Union und FDP vor, “zu keinem Zeitpunkt ernsthaft zu Gesprächen über die Fraktionsgrenzen“ bereit gewesen zu sein. Der Koalition gehe es nur darum, sich eine Mehrheit im Parlament zu “ergaunern“. Dies sei ein “Anschlag auf die parlamentarische Demokratie“ und werde den Anforderungen des Verfassungsgerichts nicht gerecht. Daher würden die Grünen in Karlsruhe klagen.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Fraktion, Peter Altmaier (CDU), zeigte sich angesichts der Klagedrohungen gelassen. “Wir sind überzeugt, dass wir von allen Lösungen, die auf dem Tisch lagen und zur Verfügung standen, diejenige gewählt haben, die unserem bewährten Wahlrecht am ehesten entspricht“ und “dass dieses Ergebnis jeder juristischen Prüfung standhalten wird“.
dapd