„Sehr gefährliche Situation“: Warnung vor Clan-Kriminalität - bei Hayali prallen Welten aufeinander

„Hat der Staat versagt?“, fragt Dunja Hayali in ihrem Talk einen Chef-Ermittler. Die Antwort gibt zu denken - bei der Suche nach Gegenmitteln gehen die Meinung aber heftig auseinander.
Berlin - Es gibt in der deutschen Gesellschaft Problemfelder, die dann und wann in den Medien Konjunktur haben, wieder verschwinden - und ein paar Jahre später fast unverändert wieder hervorgezogen werden können. Ein solcher Fall scheint Clan-Kriminalität zu sein.
Wenn Til Schweiger oder Wotan Wilke Möhring sich im „Tatort“ mit arabischen Großfamilien herumstreiten, Wahlkampf in Berlin ist oder ein Großraub geschieht, wird in den Talkshows debattiert. Dann ist ein paar Monate Ruhe. Und schließlich kehrt das Thema zurück und es darf von neuem über Parallelgesellschaften und vermeintliche oder tatsächliche Machtlosigkeit der Polizei diskutiert werden. Am Mittwochabend war es - ganz ohne TV-Krimi - bei „Dunja Hayali“ soweit. Ob sich in den vergangenen Jahren aber etwas zum Besseren gewendet hat, darüber gingen die Meinungen auseinander.
Dunja Hayalis heikle Frage: „Hat der Staat versagt?“
„Hat der Staat versagt, eine Zeit lang jedenfalls?“, wollte Hayali von Thomas Jungbluth, dem für Clankriminalität zuständigen Chefermittler in Nordrhein-Westfalen wissen. Der wollte kurz ausweichen. Und erklärte dann: „Der Staat hat lange weggeschaut. Die Warnung nicht so ernstgenommen worden, wie man sie hätte ernstnehmen müssen.“ Nun gehe es darum, „klarzumachen, wer das Sagen hat“. Bei Hayalis Kollege Markus Lanz hatte bereits vor einigen Monaten ein Oberstaatsanwalt vor einer Ohnmacht der Justiz gewarnt.
Jungbluth warnte schon eingangs der Debatte vor den Gefahren, die von Clan-Strukturen ausgehen. „Die Familienehre geht über alles“, betonte er. Der Versuch von außen einzugreifen, scheitere häufig. „Es werden nicht die Regeln des Rechtsstaats akzeptiert, sondern die Regeln der Familie“ und letztlich „das Recht des Stärkeren“ - die Folge seien Parallelgesellschaften und Paralleljustiz. „Wir schätzen das als eine sehr gefährliche Situation ein“, sagte er. Mit einer Politik der „1.000 Nadelstiche“ wollen die Ordnungshüter in NRW nun gegen Clans vorgehen.
Dunja Hayali (ZDF): Drastischer Einspielfilm - Anwalt äußert Verständnis für Unmut
Wie das aussieht, war in einem Einspieler zu sehen: ZDF-Kameras begleiteten eine Razzia in einem arabisch-geführten Shisha-Bar in Essen. Im negativen Sinne eindrucksvoll geriet die gefilmte Reaktion des Vaters des Ladenbesitzers: „Mach die Kamera aus, du Hurensohn!“, brüllte er und wollte mit einem Stuhl auf das TV-Team losgehen. Weniger beeindruckend die Ausbeute der Razzia: 600 Gramm unversteuerter Wasserpfeifentabak und einige Ordnungswidrigkeiten.
Angesichts dieses Beispiels bekam Jungbluth Kontra vom einem weiteren Talkgast, dem Strafverteidiger Burkhard Bennecke. Wenngleich derartige Ausfälle nicht in Ordnung seien, gebe es viel Frust bei den arabischen Großfamilien, weil diese von Ermittlern willkürlich herausgepickt würden: „Das ist geschäftsschädigend, das führt bei denen zu absolutem Frust. Ich kann das verstehen.“
Dunja Hayali (ZDF): „Das sagen nur Leute, die von Kriminalität keine Ahnung haben“
Darüber, dass es Versäumnisse gab, herrschte sogar Einigkeit in der Runde. Wie diese aussahen, war bereits wieder umstritten. Einen Mangel an Integrationsangeboten sah die Islamwissenschaftlerin und Lehrerin Lamya Kaddor. Daneben stand die Forderung nach drakonischeren Strafen. „Wir müssen Repression stärken“, sagte Jungbluth.
„Das ist ein Fehlglaube und das sagen nur Leute, die von Kriminalität keine Ahnung haben“, erklärte hingegen Bennecke. Ein Straftäter denke vor seiner Tat nicht darüber nach, ob er drei, fünf oder zehn Jahre bekomme - „der denkt, er fällt mit seiner Tat nicht auf“. Widerspruch kam von Michael Kuhr - der szenekundige Berliner behauptete: „Die leben gerne in Sex and Rock‘n Roll und wenn die lange ins Gefängnis kommen, dann können die das nicht.“
Dunja Hayali (ZDF): Skurriler Moment - Talkgast feilscht um statistische Daten
Der frühere Türsteher, nach eigenen Angaben in Clans bestens vernetzte und nun für die rechtskonservative Werte-Union (der auch der entlassene Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen angehört) in der CDU engagiert, saß als schillernde Figur in der Runde. „Ich verkehre häufig mit Verbrechern, die sehr kriminell sind“, sagte er, „einfach um zu verstehen, warum die sind, wie sie sind“.
Kuhr zählte zusammen mit Jungbluth zu den Mahnern in der Runde. Mit den Fakten nahm er es aber nicht so genau - was zu teils skurrilen Dialogen führte. Über 60 bis 70 Prozent der Clanmitglieder hätten mittlerweile deutsche Pässe, warnte Kuhr, die seien „nicht mehr abzuschieben“. „Ein Drittel bis ein Fünftel“, entgegnete Hayali. „50 Prozent“, bot Kuhr daraufhin an - das klang dann schon etwas nach Bazar. Hayalis Insistieren („ein bisschen weniger“) ließ Kuhr dann mit dem eher schmalen Verweis auf eine konkrete Familie stehen.
Dunja Hayali (ZDF): Beim Thema Prävention sind sich alle einig - doch die Hoffnung ist gering
Auch einen weiteren rhetorischen Kracher lieferte Kuhr. „Ein sehr enger libanesischer Freund hat mir gesagt: Du darfst keinen Politikern trauen und du darfst keinen Arabern trauen“, schloss er seine Ausführungen über eigene, teils scheinbar heikle Bekanntschaft mit dem Abou-Chaker-Clan. „Da muss ich jetzt erstmal atmen“, lautete Hayalis Reaktion.
Das Fazit fiel gemischt aus. „Es hat sich in den letzten 40 Jahren einiges getan in unserem Land“, betonte Kaddor, einst hätten Kinder von Geflüchteten nicht einmal die Schule besuchen können. „Das Allerwichtigste ist die Bildung“, sagte auch Kuhr. „Aber wo sollen denn die ganzen Leute herkommen, um die Bildung beizubringen, in der Schule?“
Bennecke zeigte sich ebenfalls ernüchtert. Auch er forderte frühes Eingreifen schon in der Schule. Die Wirkungen von Prävention zeigten sich aber erst nach Jahren oder Jahrzehnten und das sei „nicht populär in der Politik“. Man wolle den schnellen Erfolg, „das, was wirklich etwas bringt, macht man derzeit nicht“. Das nächste Debattenthema könnte also das deutsche Bildungssystem werden.
Hayali selbst hatte im Sommer mit einem wütenden Appell in anderer Sache auf sich aufmerksam gemacht.
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fn