Energiewende: Südschiene feiert Wiedergeburt

München – Im Wahlkampf war Baden-Württemberg noch die liebste Zielscheibe der CSU. Jetzt feiert die alte Südschiene überraschend ihre Wiedergeburt. Ausgerechnet bei der Energiewende.
Die Freundschaft endete im Frühjahr 2011. Jahrelang hatten Bayern und Baden-Württemberg im Bundesrat Seite an Seite gestanden. Wirtschaftspolitik, Finanzausgleich, Infrastruktur – zwischen Stuttgart und München sprach man die Strategie ab. Bis zur sensationellen Landtagswahl 2011. Das Ländle bekam eine grün-rote Regierung, und Bayern kündigte die Zusammenarbeit auf. Zum Teil mit heftigen Worten. Der damalige CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt bezeichnete den neuen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann als den „politischen Arm von Krawallmachern, Steinewerfern und Brandstiftern“.
Inzwischen macht die CSU mit den vermeintlichen Steinewerfern gemeinsame Sache. Unter höchster Geheimhaltung kam es am vergangenen Donnerstag zu einem Aufeinandertreffen. Ohne Wasserwerfer, dafür mit Dienstlimousinen. Schon der Ort war symbolisch: In Ulm traf man sich, also quasi in der Mitte. Bei dem gut zweistündigen Gespräch gab es nur ein Thema: die Energiewende. Deshalb saßen auch die zuständigen Landesminister am Tisch: Ilse Aigner (CSU) und Franz Untersteller (Grüne).
Beide sollen Mitte dieser Woche ein zweiseitiges Papier vorstellen, an dem am Wochenende zwischen Ministerien und Staatskanzleien fieberhaft gefeilt wurde. Umso erstaunter war man in Stuttgart, wie freimütig Seehofer am Samstag beim CSU-Parteitag das vertrauliche Treffen ausplauderte. Denn nicht nur die heikle parteipolitische Vorgeschichte spricht gegen einen Schulterschluss der Süd-Länder. Auch inhaltlich gibt es massive Differenzen. Trotzdem sagt Seehofer: „Wenn es in der Energiepolitik einen nationalen Konsens gäbe, wäre das nicht schlecht.“
Die Herangehensweise an das Thema könnte unterschiedlicher kaum sein: In Bayern verantwortet die Wirtschaftsministerin die Energiewende, in Baden-Württemberg das Umweltressort. Das sagt alles. Die Abkehr Seehofers von der Windenergie war von den bayerischen Grünen heftigst kritisiert worden. Deshalb lautet die spannende Frage, wie die Länder hier ihre Positionen in Einklang bringen: In der Protokollnotiz des Ulmer Treffens umschifft man das Thema. Festgehalten wird nur, dass man den Vertrauensschutz für geplante Anlagen um ein Jahr verlängern möchte. Anderes wird in der Notiz ausgeklammert: So möchte Bayern von einer Öffnungsklausel Gebrauch machen, die den Abstand zwischen Windrädern im Freistaat erhöht. Das grün-geführte Baden-Württemberg hat ganz andere Vorstellungen. Gerade in Grenzgebieten, wo länderübergreifend geplant werden müsste, schlummert deshalb viel Konfliktpotenzial.
Bei anderen Punkten sind sich die Flächenländer dagegen einig. Seehofer weist immer wieder auf das Problem der Reservekapazitäten hin, wenn es mal wetterbedingt zu Engpässen bei erneuerbaren Energien kommen sollte. Noch liefern Kernkraftwerke im Freistaat 47 Prozent des Stroms. 2015 aber soll beispielsweise Grafenrheinfeld vom Netz gehen. Und dann? „Kapazitätsmärkte“ heißt das Wundermittel. Bayern und Baden-Württemberg setzen darauf, mögliche Schwankungen mit Gas aufzufangen, Kohle spielt eine untergeordnete Rolle (was man in anderen Regionen Deutschlands wenig begrüßen dürfte). Auch beim Erhalt der Biomasse zieht man an einem Strang, vor allem bei kleineren Anlagen. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) aber kritisiert diese Energieform als zu teuer.
Die ungewöhnliche Zusammenarbeit zwischen Bayern und Baden-Württemberg zeigt, dass die Frontlinien bei Energiefragen keineswegs entlang der Parteilinien verlaufen. Länder an der Küste haben völlig andere Interessen als die Südländer. Am Donnerstag will sich Gabriel erstmals mit allen zuständigen Ministern an einen Tisch setzen – und dürfte auf einen vielstimmigen Chor treffen. Bayern und Baden-Württemberg schlagen deshalb vor, ein solches Energieministertreffen zur dauerhaften Einrichtung zu machen, ähnlich wie beispielsweise die Kultusministerkonferenz.
Seehofer will sich übrigens auch in Bayern mit den anderen Parteien beim Thema Energie enger abstimmen. „Ich will ausloten, ob wir das eine oder andere auch mit der Opposition machen können“, sagt der CSU-Chef. Bei der bayerischen Opposition hält sich die Begeisterung noch in Grenzen. „Vorher erwarte ich von ihm erstmal ein klares Bekenntnis zur Windkraft und zur Energiewende überhaupt“, sagt Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann. „Wenn ich mir Seehofers Äußerungen der letzten Wochen ansehe, kann ich mir nicht vorstellen, dass das ernst gemeint ist.“
Mike Schier