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Politikwissenschaftler erklärt: Deshalb ist die AfD eine Ost-Macht

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Der geschäftsführende Direktor des Instituts für Politikwissenschaft an der Technischen Universität Dresden, Hans Vorländer.
Der geschäftsführende Direktor des Instituts für Politikwissenschaft an der Technischen Universität Dresden, Hans Vorländer. © dpa / Arno Burgi

Auch bei der Europawahl spaltet die AfD wieder Deutschland. Gerade im Osten der Republik liegt die Partei vorn. Doch warum können die Rechtspopulisten gerade in den Neuen Ländern so stark punkten?

München – Alexander Gauland gibt sich alle Mühe, besorgt zu wirken. „Was man an dem Ergebnis sieht, ist leider eine Spaltung Deutschlands“, sagt der AfD-Chef. Rund 11 Prozent hat seine Partei bei der Europawahl am Abend zuvor deutschlandweit geholt. Dabei schnitten die Rechtspopulisten im Westen mit Ergebnissen zwischen 6,5 (Hamburg) und 10 Prozent (Baden-Württemberg) eher mäßig ab. In den Ost-Ländern holten sie hingegen zwischen 17,7 (Mecklenburg-Vorpommern) und 25,3 Prozent in Sachsen, wo sie wie in Brandenburg stärkste Kraft wurden.

Die Menschen in Dresden oder Cottbus seien eben „freiheitsliebend, dadurch sind wir in diesen Ländern jetzt sehr viel stärker“, analysiert der AfD-Chef. Eine gewagte Einschätzung. Doch auch wenn man sie nicht teilt, hat Gauland zumindest mit einem Recht: Der Osten Deutschlands ist politisch eine eigene Welt.

Nach der Europawahl - Reaktionen AfD
AfD-Chef Alexander Gauland. © dpa / Gregor Fischer

Europawahl 2019: Warum gibt es vor allem AfD-Wähler im Osten?

Seit Jahren holt die AfD hier viel bessere Ergebnisse als im Westen. Und das nicht nur vereinzelt. In allen ostdeutschen Bundesländern zusammen hat sie bei der Europawahl mindestens Platz zwei errungen. Aber warum?

Bei seiner Erklärung setzt der Dresdner Politikwissenschaftler Hans Vorländer zunächst in der Vergangenheit an. In den Neuen Ländern – deren Gebiete bis 1990 zur DDR gehörten – fehle oft die parteipolitische Vorprägung, die man im Westen vielfach schon von Jugend auf mitbekommt. Konservative, Sozialdemokraten, Liberale, später die Grünen: „Dieses gefestigte Parteiensystem, das in Westdeutschland seit sieben Jahrzehnten besteht, gibt es in Ostdeutschland ja überhaupt nicht“, sagt Vorländer. Und somit weniger Bindung zu den klassischen Parteien.

„Auch festgefügte gesellschaftliche Milieus waren nach der Wende nicht vorhanden“, sagt Vorländer. Man könne heute zwar beobachten, wie sie sich an einigen Orten neu zusammensetzen. „In den großen Städten bildet sich auch im Osten gerade ein bürgerlich liberales Milieu heraus, von dem die Grünen profitieren“, sagt Vorländer. Doch besonders in den ländlicheren Gebieten sieht das ganz anders aus.

Schon seit den 90ern verliert die CDU an Rückhalt

Schon seit den späten 90er-Jahren habe die CDU besonders in Ost- und Mittelsachsen sehr stark an Rückhalt verloren, sagt Vorländer. Und überall dort, wo sie sich nicht mehr ganz so um ihre Wähler gekümmert hat, sei die AfD nun in die Lücken gestoßen. „Ihre Vertreter kommen dort aus der Mitte der Gesellschaft. Sie sind Handwerker oder bei der Polizei“, sagt Vorländer. „Zu ihnen haben viele Wähler dort ein höheres Vertrauen als zu den Vertretern der sogenannten etablierten Parteien.“

Abseits von Dresden oder Leipzig haben die Menschen die demografischen Veränderungen nach der Wende am stärksten zu spüren bekommen. „Nach 1990 hat Ostdeutschland vier Millionen vor allem jüngere Menschen verloren, die von hier weggegangen sind“, sagt Vorländer. Zwar habe es später auch Zuzug aus Westdeutschland gegeben – gut zwei Millionen. Das Problem, dass viele Ostdeutsche abgewandert sind, sei aber immer politisch und kulturell relevant geblieben. Nicht zuletzt, weil es in einigen Gebieten zu einer Überalterung führte.

AfD liefert verunsicherten Menschen klare Antworten

Es blieb nicht die einzige Veränderung. Im Grenzraum zu Polen und Tschechien stieg durch die offenen Grenzen auch die Kriminalität an. In der Lausitz wurden die Gebliebenen schließlich mit der geplanten Stilllegung des Braunkohletagebaus konfrontiert. Das alles seien Erfahrungen, die die Menschen verunsichert haben, sagt Vorländer. „Man ist dankbar, wenn da jemand ist, der klare Antworten gibt und die Komplexität reduziert.“ Die AfD tut das.

Dazu kommt bei manchen ein Gefühl, mit dem die AfD spielt und das sie befeuert. „Seit ein, zwei Jahren etabliert sich gerade in Sachsen das Narrativ, dass man Bürger zweiter Klasse ist“, sagt Vorländer. Daraus entstehe bei vielen ein Drang nach „Selbstbehauptung gegen das, was man als Zumutung des Westens empfindet“, sagt Vorländer. Was aus Brüssel kommt, kann eine solche Zumutung sein, was aus Berlin kommt auch. Das gilt oft selbst dann, wenn die angebliche Zumutung wie Angela Merkel oder Joachim Gauck eigentlich aus dem Osten stammt.

Gewählt wird in Sachsen, Thüringen und Brandenburg

Auch bei den Landtagswahlen im Herbst in Sachsen, Brandenburg und Thüringen werden die Rechtspopulisten also voraussichtlich wieder zeigen, dass sie im Osten weit mehr sind als eine Protestpartei. In Sachsen liegt die AfD in den Umfragen mit 26 Prozent knapp hinter der CDU (28 Prozent). Möglich, dass beide nach der Wahl keine Mehrheit ohne einander zustande bekommen. Auch wenn Sachsens CDU-Generalsekretär Alexander Dierks das vor der Wahl noch ausschließt, könnte er also bald nicht mehr nur vor der Frage stehen, wie man die AfD bekämpft – sondern auch, wie man mit ihr zusammenarbeitet.

Lesen Sie hier alle Infos zur Kommunalwahl in Sachsen 2019: AfD könnte Bürgermeister stellen - Wahl-Panne in Dresden

In Brandenburg legte die AfD deutlich zu - alle Ergebnisse zur Europawahl 2019 finden Sie hier.

Wie hat Deutschland bei der Europawahl 2019 gewählt - klicken sie hier für das amtliche Ergebnis. 

Nach der Europawahl suchte AKK nach Antworten für das CDU-Debakel. Doch wo ist eigentlich Angela Merkel? Die Bundeskanzlerin äußerte sich bislang nicht.

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