Schröder-Rolle rückwärts: SPD-Minister legt Plan für Hartz-IV-Reform vor - Union lehnt ab

Hartz IV hat einst eine rot-grüne Bundesregierung eingeführt. Glücklich sind die damals beteiligten Parteien mit dem System nicht mehr. Die Grünen wollen es ersetzen - SPD-Minister Heil plant eine Reform.
Update vom 10. Januar, 11.01 Uhr: Eine von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil vorgeschlagene Reform des Hartz-IV-Systems (siehe Update vom 9. Januar, 14.17 Uhr) wird von der Fraktion von CDU und CSU im Bundestag abgelehnt. „Sollte es die Situation erfordern, dass die Corona-bedingte Sonderregelungen verlängert werden müssen, sind wir als Union gesprächsbereit“, sagte der arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Peter Weiß, am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Wir stehen aber weiterhin zu dem Grundsatz ‚Fördern und Fordern‘ und lehnen auch eine Entfristung dieser Sonderregelungen ab.“
Weiß betonte: „Eine schleichende Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens ist mit uns nicht möglich. Denn dadurch wird Arbeit abgewertet und die Vermittlung in Arbeit weitgehend unattraktiver.“ Das Modell eines bedingungslosen Grundeinkommens sieht vor, dass jeder Bürger eine staatliche Unterstützung bekommt. Dies ist im Heil-Entwurf nicht vorgesehen. Weiß kritisierte mit seinen Äußerungen Heils Pläne aber als so weitgehende Abkehr des bisherigen Systems der Grundsicherung, dass dies in Richtung eines solchen Grundeinkommens gehen würde.
Hartz IV reformieren: Vorschlag von Arbeitsminister Heil
Update vom 9. Januar, 14.17 Uhr: Mehr als 15 Jahre nach Inkrafttreten der Hartz-IV-Reform will Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) die Regeln für Langzeitarbeitslose mit einem Gesetz deutlich entschärfen. So sollen den Beziehern der Grundsicherung künftig keine außergewöhnlichen Härten mehr durch Sanktionen bei Pflichtverletzungen drohen. Ein bereits als Reaktion auf die Corona-Pandemie eingeführter vereinfachter Zugang zur Grundsicherung für Arbeitsuchende soll „verstetigt“ werden, wie es in einem der Deutschen Presse-Agentur in Berlin vorliegenden Gesetzentwurf heißt.
Die Sanktionspraxis der Jobcenter hatte das Bundesverfassungsgericht bereits im November 2019 nach jahrelanger Kritik stark eingeschränkt. Nach dem Prinzip „Fördern und Fordern“ hatten die Jobcenter seit 2005 unkooperative Hartz-IV-Empfänger diszipliniert, indem sie ihnen den Geldhahn zudrehten. Das Verfassungsgericht entschied am 5. November 2019, dass monatelange Minderungen um 60 Prozent oder mehr mit dem Grundgesetz unvereinbar sind. Die Jobcenter dürfen die monatlichen Leistungen aber weiter um bis zu 30 Prozent kürzen, wenn Hartz-IV-Empfänger ihren Pflichten nicht nachkommen.
Hartz-IV-Pläne von Arbeitsminister Heil: Sanktionspraxis entschärft
Seit dem Urteil wurde die alte Sanktionspraxis bereits durch Weisungen des Arbeitsministeriums und der Bundesagentur entschärft. Durch die Corona-Pandemie gab es zudem ohnehin immer weniger Sanktionen. Nun will Heil dauerhaft gesetzlich regeln, dass monatliche Minderungen 30 Prozent des Regelbedarfs nicht überschreiten. Dies soll laut dem Entwurf gelten, wenn Leistungsberechtigte ohne wichtigen Grund wiederholt ihre Pflichten verletzt oder persönliche Meldetermine nicht wahrgenommen haben.
In keinem Fall soll laut den Plänen Heils jemand befürchten müssen, dass die Wohnkosten von Leistungsminderungen betroffen sind. Bei jeder Leistungsminderung soll geprüft werden, ob sie im Einzelfall eine außergewöhnliche Härte darstellt. Insbesondere gestritten wurde über Jahre über schärfere Sonderregelungen für Unter-25-Jährige - diese sollen nach Heils Plänen nun dauerhaft ganz entfallen. Erleichterten Zugang zur Grundsicherung in der Corona-Krise soll es durch das geplante Gesetz außerdem dauerhaft geben.
Nun kommt es in den kommenden Wochen auf die Haltung der Union zu Heils Plänen an.
Hartz-IV-Reformen: Grüne und SPD wollen im Superwahljahr 2021 nachbessern
Erstmeldung vom 8. Januar, 20.26 Uhr: Berlin - Ist es die nächste Richtungs-Entscheidung vor der Bundestagswahl? Die Grüne-Bundestagsfraktion will Sanktionen für Hartz-IV-Bezieher abschaffen. Es sei wichtig, dass sich die Menschen „auf Augenhöhe mit dem Staat“ befänden, sagte der sozialpolitische Sprecher Sven Lehmann am Freitag in Berlin bei der Vorstellung eines zehnseitigen Konzepts für eine neue Garantiesicherung. Damit wollen die Grünen Hartz IV „überwinden“ und ersetzen.
Allein stehen die Grünen* mit der Forderungen nach Hartz-Reformen nicht da - auch die SPD will im Wahljahr nachbessern. Damit sind sich jene beiden Parteien, die das strikte System unter Angela Merkels Vorgänger Gerhard Schröder* (SPD) einst eingeführt hatten, einig: Hartz IV muss verändert werden.
Bundestagswahl 2021: Auch SPD will Hartz IV ändern - zumindest Corona-Regel soll länger bleiben
So will Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD*) nach einem Bericht des Spiegel den Zugang zu Hartz IV vereinfachen und die Ausnahmen aus der Corona-Pandemie verstetigen. „Aktuell prüfen die Jobcenter nicht, wie groß eine Wohnung ist oder ob jemand Ersparnisse bis 60.000 Euro hat“, sagte Heil dem Magazin. „Mein Vorschlag ist, dass wir während einer Karenzzeit von zwei Jahren Vermögen bis zu der genannten Summe schützen und Mietkosten nicht auf ihre Angemessenheit prüfen.“
Der Vorschlag ist dem Bericht zufolge Teil eines aktuellen Gesetzentwurfs zur Reform der Grundsicherung aus Heils Ministerium. Um Menschen schneller aus der Grundsicherung herauszuhelfen, sollen nach dem Willen des Ministers künftig „Weiterbildung und ein Berufsabschluss Vorrang vor kurzfristiger Vermittlung in Arbeit haben“, so Heil. „Dazu unterstützen wir die Menschen, die eine Weiterbildung machen, mit einem Bonus von 75 Euro im Monat.“
Grüne und SPD für Hartz-Änderung: Erleichterungen für Menschen aus „Bedarfsgemeinschaften“?
Die grüne Garantiesicherung wiederum soll Menschen zugutekommen, die den eigenen Lebensunterhalt nicht bestreiten können - und zwar nicht nur Arbeitslosen, sondern auch Geringverdienern. Die Regelsätze sollen nach Vorstellungen der Grünen steigen, und wer sich Geld dazu verdient, soll mehr davon behalten dürfen. „Die Grüne Garantiesicherung ist unbürokratisch und frei von Stigmatisierung“, erklärte der arbeitsmarktpolitische Sprecher der Fraktion, Wolfgang Strengmann-Kuhn. „Wir beseitigen Hürden, die zu einer hohen verdeckten Armut führen.“
Sogenannte Bedarfsgemeinschaften, bei denen das Einkommen des Partners für die Ermittlung eines Unterstützungsanspruchs herangezogen wird, will die Grünen-Fraktion auf Dauer abschaffen, und zwar zuerst für Unverheiratete. Denn diese profitierten im Gegensatz zu Ehepaaren auch nicht von Steuervorteilen, so das Argument. Die Vermögensprüfung soll entfallen, die Angaben von Betroffenen nur noch in begründeten Fällen überprüft werden.
Grüne/SPD: Genug von den Schröder-Reformen - Fraktions-Vize erwartet Kosten im zweistelligen Milliardenbereich
Die jährlichen Kosten für die Reform bezifferte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Anja Hajduk mit einem niedrigen zweistelligen Milliardenbetrag. Die Vorschläge seien als Teil weiterreichender arbeits- und sozialpolitischer Reformideen zu betrachten, etwa mit Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro und einer Stärkung des Tarifsystems.
Die Hartz-Reformen waren zwischen 2003 und 2005 von der rot-grünen Bundesregierung unter Schröder eingeführt worden. Sie führten zu teils spürbaren Kürzungen von Sozialleistungen, etwa bei der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes.
Hartz-IV-Debatte im Wahljahr: VdK und DGB erfreut - FDP fürchtet „Grundeinkommen durch die Hintertür“
Der Sozialverband VdK begrüßte die vorgeschlagene Anhebung der Regelsätze und die Grünen-Pläne insgesamt. „Die Zeit ist reif für eine neue, soziale Grundsicherung“, erklärte Präsidentin Verena Bentele. „Allerdings darf die geplante schrittweise Anhebung nicht zu langen Verzögerungen führen.“
Anja Piel, Vorstandsmitglied beim Deutschen Gewerkschaftsbund, erklärte mit Blick auf die Grünen: „Dieser Vorstoß skizziert echte Chancen, das bestehende Hartz-IV-Elend endlich zu überwinden.“ Richtig und wichtig sei etwa, dass die Grünen „den Niedriglohnsektor und prekäre Arbeit als zentrale Ursachen für Armut“ in den Blick nähmen.
Von der FDP kam Kritik am Konzept der Grünen-Fraktion. „Der Verzicht auf Sanktionen und die Erhöhung der Leistungen sind die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens durch die Hintertür“, erklärte der sozialpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Pascal Kober. Die Kosten wären besser in Bildung und berufliche Qualifizierung investiert, meinte er. (dpa/fn/AFP) *Merkur.de ist Teil des Ippen-Digital-Netzwerks.