Viele Wahl-Debakel in Hamburg: Experte hält AfD-Spaltung für möglich - Lenken jetzt auch FDP und CDU ein?
Die Hamburg-Wahl gerät zum kleinen Debakel für die am Thüringen-Eklat beteiligten Parteien. Nun könnte schnell noch mehr Bewegung in die politische Landschaft kommen.
- Hamburg hat eine neue Bürgerschaft gewählt - die Parteien rechts der Mitte kassierten eine heftige Klatsche.
- Grund könnten die Ereignisse in Thüringen und Hanau sein.
- Ein Politikwissenschaftler prophezeit der AfD nun den nächsten Umbruch. Die Partei kam nur auf 5,3 Prozent der Stimmen.
Hamburg/München - Die Hamburger Bürgerschaftswahl hat am Sonntag gleich mehrere Überraschungen geliefert. Etwa, dass die SPD noch Wahlen gewinnen kann - selbst, wenn sie dabei Stimmen einbüßt. Und sogar, wenn sie mit einem wirtschaftsorientierten Kurs antritt. Auch dass den Grünen der offensive Griff nach dem Amt des Regierungschefs nicht schadet, zeigte sich. Die Partei verdoppelte ihren Stimmenanteil beinahe.
Beinahe beispiellos bitter geriet der Abend aber für die Parteien rechts der Mitte: Sowohl die bürgerlichen Kräfte CDU und FDP, als auch die mindestens rechtspopulistische AfD wurden heftig abgestraft. Zusammen kamen CDU und FDP auf kümmerliche rund 16 Prozent, die AfD auf 5,2 Prozent.
Die CDU fuhr gar fast einen Negativrekord bei einer Wahl in Bund und Ländern ein: Die gut elf Prozent sind das zweitschlechteste Ergebnis aller Zeiten. Nur 1951 in Bremen hatten die Christdemokraten mit 9,1 Prozent noch schlechter abgeschnitten. Damals sah die Parteienlandschaft aber noch völlig anders aus - mit einer ganzen Reihe rechter und konservativer Parteien. Wie konnte es dazu kommen? Diese Frage versuchte die Chefin der Bundes-CDU, Annegret Kramp-Karrenbauer, bei einer Pressekonferenz am Montagnachmittag zu beantworten. Außerdem gab sie auch Details zum weiteren Vorgehen bei der Suche nach ihrem Nachfolger bekannt.
Hamburg-Wahl: CDU, FDP und AfD nach Thüringen mit Verlusten - in der Stadt, die einst Schill wählte
Klar ist, dass Hamburg schon bei den vergangenen Wahlen ein schwieriges Pflaster für die „rechten“ Parteien war. 2015 kam „Schwarz-Gelb“ auf 23,3 Prozent. Die AfD aus dem Stand auf 6,1 Prozent.
Aber dass die Hansestadt generell unzugänglich für Konservative oder Rechtspopulisten wäre, das ist eher eine Legende: 2004 holte der (allerdings grün angehauchte) CDU-Politiker Ole von Beust die absolute Mehrheit. 2001 sorgte die längst in der Versenkung verschwundene Schill-Partei - Ronald Schill tauchte zuletzt im Trash-TV auf - für einen Paukenschlag, sie erzielte 19,4 Prozent.
Bürgerschaftswahl in Hamburg: CDU „auf Niveau der Linkspartei“ - „Ergebnis muss und wachrütteln“
Eine These machte am Sonntagabend schnell die Runde: Thüringen und die chaotische Kür des mit fünf Prozent der Wählerstimmen ausgestatteten Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten mit Stimmen von FDP, CDU und AfD könnte die Bürgerschaftswahl beeinflusst haben. CDU-General Paul Ziemiak räumte ein, Thüringen habe „keinen Rückenwind“ gegeben. FDP-Chef Christian Lindner sagte: „Da muss Vertrauen erst wieder wachsen, das ist doch völlig klar nach so einem Ereignis.“ Zugleich kündigte er an, es habe auch auf Hamburger Landesebene ein Umdenken gegeben. Eine Zusammenarbeit mit der AfD werde es auch bei „harmlosen“ Themen nicht mehr geben.
Der CDU-Bürgermeister des thüringischen Altenburg, André Neumann, twitterte seine Deutung: „Die AfD steht in Hamburg so schlecht da, weil dort niemand mit ihr kuschelt und am rechten Rand nach Wählern angelt“, erklärte er. Am besten stünden dort jene Parteien da, die sich am konsequentesten abgrenzen. Tatsächlich war Zuwanderung in Hamburg kaum ein Thema: Nur fünf Prozent der Wähler erklärten in einer Befragung, das Thema sei für sie wahlentscheidend gewesen.
Die CDU jedenfalls scheint kräftig durchgerüttelt. Noch immer wird um die Nachfolge für Annegret Kramp-Karrenbauer gerungen, sie könnte richtungsweisend werden - und die Debatte nun noch an Schärfe gewinnen. „Das Ergebnis muss uns alle ein Stück wachrütteln, dass es gerade um viel geht“, sagte Gesundheitsminister Jens Spahn der dpa. „Das ist Hamburg, das ist Thüringen, das sind die Umfragewerte, das ist die Lage der Bundespartei.“ Welt-Journalist Robin Alexander sah die Partei am Sonntag „auf dem Niveau der Linkspartei“.
AfD fällt in Hamburg beinahe aus dem Parlament - Pazderski nimmt Höcke in die Pflicht
Die AfD schien unterdessen lange den Wiedereinzug ins Parlament zu verpassen. Am Ende nahm der Abend doch einen anderen Verlauf. Doch die Partei steht nach den zurückliegenden Wahlerfolgen nun vor einer ungewohnten Situation. Erste Beobachter rechnen bereits mit einer weiteren „Häutung“ der AfD.
Der eher gemäßigte Berliner AfD-Fraktionschef Georg Pazderski wertete Hamburg als Quittung für die offene rechte Flanke der Partei: Die AfD müsse "ihr bürgerlich-konservatives Image schärfen und eine noch klarere Grenze nach Rechtsaußen ziehen". Gefordert sei hier auch der rechtsnationale "Flügel" des Thüringer AfD-Chefs Björn Höcke. Ein Mitbegründer freute sich gar über das schwache Abschneiden.
Wahl in Hamburg: Experte hält AfD-Spaltung für möglich
Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte sagte dem ZDF, möglich sei, dass in der AfD nun generell jene lauter werden, die eine Radikalisierung der AfD ablehnen. Ebenso gut könne es aber auch eine Spaltung in eine völkisch-rassistische Ost-AfD und eine protestorientierte West-AfD geben. „Auf jeden Fall wird das Ergebnis in Hamburg Auswirkungen haben“, erklärte er.
Rückenwind für Pazderski könnte eine weitere Befragung von infratest dimap liefern: Dieser zufolge erklärten 61 Prozent der Hamburger AfD-Wähler, die Partei distanziere sich nicht genug von rechtsextremistischen Positionen. Unter den Wählern der anderen Parteien waren es gar 87 Prozent.
Parteichef Tino Chrupalla erklärte in Hamburg eher nebulös: „Insgesamt hat man gesehen, dass in Hamburg die bürgerlich-konservativen Parteien alle verloren haben, das sollte uns allen zu denken geben.“ Eine eher einfache Erklärung bemühte der Hamburger AfD-Spitzenkandidat Dirk Nockemann. Das schlechte Abschneiden sei das "Ergebnis einer maximalen Ausgrenzungskampagne", sagte er am Wahlabend.
Eine Erkenntnis für die andere Parteien formulierte Korte ebenfalls: „Wenn die Mitte sich wehrt, selbst laut wird, dann wird der Rand viel kleiner“, erklärte er. Hanau und Thüringen hätten die Gesellschaft mobilisiert. Einen dauerhaften Abwärtstrend für die AfD sieht er allerdings - ebenso wie der Münchner Merkur* in einem Kommentar - noch nicht.
Kuriose Wahl-Analysen in Hamburg: Erstwähler und Frauen liefern ungewöhnliche Ergebnisse
Allerdings gibt es in Hamburg auch eine Erkenntnis mit möglicher Langzeitwirkung: Auch unter den Erstwählern wurde „Schwarz-Gelb“ heftig abgewatscht. Die CDU landete bei desaströsen sechs Prozent. Die AfD kassierte ebenfalls eine Schlappe: Drei Prozent der Erstwähler entschieden sich laut Exit-Polls für die Rechtspopulisten. In Hamburg darf ab 16 Jahren gewählt werden.
Ein anderer spannender Seitenaspekt: Bereits kurz nach Schluss der Wahllokale veröffentlichte die Forschungsgruppe Wahlen eine nach Geschlechtern getrennte Analyse des Wahlergebnisses. Unter den Frauen kamen SPD, Grüne und Linke auf 77 Prozent, CDU und FDP auf 14.
Bürgerschaftswahl in Hamburg: Greifen die Grünen jetzt nach dem Kanzleramt?
Einfluss könnte das Wahlergebnis auch auf die Grünen haben. Es sei historisch das zweitbeste Wahlergebnis auf Landesebene für die Grünen überhaupt, sagte Parteichef Robert Habeck am Sonntag in Berlin. Zu verdanken sei das auch dem „Mut, Ja zu sagen, aus der Herausforderer-Position um Platz eins zu kämpfen“. So habe Hamburg eine „echte Wahl“ gehabt.
Mit Blick auf die aktuellen Umfragen auf Bundesebene könnte das Habeck - oder auch seine Co-Chefin Annalena Baerbock - zu einer klaren Schlussfolgerung leiten. Denn die Grünen sind hinter der Union momentan klar zweitstärkste Kraft. An sich ein guter Zeitpunkt, um auch in Berlin „um Platz eins zu kämpfen“.
Am Ende gab es wohl aber auch einen ganz banalen Grund für den Erfolg von SPD und Grünen. Die Parteien haben in Hamburg nach einer Analyse der Forschungsgruppe Wahlen vor allem mit lokalen Themen gepunktet. Zu den Pluspunkten der Parteien zählten ihre überzeugende Regierungsarbeit, Sachkompetenz sowie ihr Ansehen in der Bevölkerung, hieß es.
fn (mit Material von dpa)
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