Seehofer: Diesem SPD-Mann bot er überraschend das Du an

Es sind Horst Seehofers letzten Wochen im Amt des Ministerpräsidenten vor der Übergabe an den (Ex-?)Rivalen Söder. Gleichzeitig muss er in Berlin eine Bundesregierung formen. Was bleibt nach diesem hektischen Jahr? Enttäuschung? Wehmut? Groll?
München - Freitagnachmittag, der letzte Termin des Jahres: Horst Seehofer empfängt die Sternsinger in der Staatskanzlei. Na gut, der vorletzte: Wir sind mit dem Ministerpräsidenten anschließend zum Interview verabredet. Es sind seine letzten Wochen im Amt vor der Übergabe an den (Ex-?)Rivalen Söder, gleichzeitig muss er in Berlin eine Bundesregierung formen. Was bleibt nach diesem hektischen Jahr? Enttäuschung? Wehmut? Groll?
Herr Seehofer, 2017 ist endlich rum. Wie groß ist das Gebirge, das Ihnen vom Herzen fällt?
Was meinen Sie?
Die Wahlniederlage der Union, das Jamaika-Aus, den CSU-internen Machtkampf. Nichts davon wird Ihnen gefallen haben.
Die Wahlniederlage ist Realität – für die Union wie die SPD. Dafür trägt ein Vorsitzender die Verantwortung. Dass Jamaika gescheitert ist, bedauere ich zutiefst. Das hätte eine starke Regierung mit neuen Akzenten für Wirtschafts-, Umwelt- und Sozialpolitik werden können. Warum die FDP ausgestiegen ist, ist mir bis heute ein Rätsel. Und drittens die personelle Veränderung in der CSU: Das ist Normalität in der Demokratie. Ich habe das Tor für die Erneuerung der CSU ganz weit aufgemacht.
Beinahe freiwillig...
Das ist ein Vorschlag von mir, ich habe ihn den Parteigremien präsentiert. Ich bin mit mir völlig im Reinen. Mein Weihnachten war entspannt.
Die Obergrenzen-Einigung mit der Kanzlerin kam sehr spät. Das wäre früher und zu geringeren Kosten für Sie und die CSU zu haben gewesen!
Auch das muss man sehr nüchtern sehen. Die Einigung mit der CDU über die Flüchtlingspolitik nach der Wahl wirft in der Tat die Frage auf: Warum nicht vor der Wahl? Diese Frage müssen Sie aber bitte an die richten, die vorher nicht zu einer Einigung beitragen wollten.
GroKo? „Ich bin sehr zuversichtlich.“
Wie viel hat es die Union gekostet, dass Merkel bis zur Wahl die Obergrenze ausgeschlossen hatte?
Geschenkt. Ich mache jetzt keine Rückwärtsbetrachtung.
Sie hören im Frühjahr als Ministerpräsident auf, die Kanzlerin macht weiter, als wäre nichts geschehen. Finden Sie das fair?
Bei mir spielen doch ein paar andere Faktoren eine Rolle: fast 40 Jahre Dienstzeit in der Politik, mein Lebensalter. Da kann berechtigt die Frage aufkommen: Braucht’s nicht eine Erneuerung? Der Wandel betrübt mich nicht. Den Weg dazu hätten wir nach der Bundestagswahl allerdings etwas eleganter gestalten können.

In Sachen Kanzlerin äußert sich die FDP freier – sie fordert Merkels Rückzug und macht sie verantwortlich fürs Jamaika-Aus.
Das ist objektiv falsch.
Lindners Ruf nach dem Rückzug der Kanzlerin teilen auch viele in der CSU.
Wir haben in allen Parteigremien 2016/17 entschieden, gemeinsam mit Angela Merkel die Zukunft zu gestalten. Ich gehöre nicht zu den Politikern, die etwas vereinbaren und heimlich in Frage stellen.
Nächste Woche startet die Sondierung mit der SPD. Sie haben einen neuen Duz-Freund, hören wir – Martin (Schulz). Wer hat wem das Du angeboten?
Ich bin der Ältere. Bei den Verhandlungen 2009 mit Guido Westerwelle hatte ich mit dem Du bis zum Ende abgewartet.
Hören wir da raus: Sie sind optimistisch, dass die Große Koalition klappt?
Ich bin sehr zuversichtlich. Von der Sache her müssten wir diese Regierung zustande bringen. Der Unsicherheitsfaktor ist, ob die SPD die Kraft dazu hat. Im Moment sind wir als CDU/CSU ja die Einzigen, die regierungsfähig und regierungswillig sind. Erstaunlich, dass sich Parteien einer Wahl stellen und anschließend einer Regierungsbeteiligung verweigern...
„Beim Thema Migration ist unser Spielraum ist gering“
In der Asylpolitik schaut es derzeit nach unüberbrückbaren Differenzen zur SPD aus.
Ob Kompromisse möglich sind, entscheidet sich am Verhandlungstisch, nicht in Interviews. Ich mache deswegen beim täglichen Rote-Linien-Ziehen nicht mit.
Trotzdem: Wie könnte eine Einigung beim Familiennachzug für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz aussehen, den die CSU so strikt ablehnt?
Unser Spielraum ist gering. Die Wähler haben die klare Erwartung an uns, dass wir unsere Politik der Humanität und Begrenzung durchsetzen. Der Familiennachzug bei Menschen, die nur vorübergehend hier sind und in ihre Heimatländer zurück sollen, muss ausgesetzt bleiben. Der Nachzug von einer dreiviertel Million Menschen – das ist das Gesamtpotenzial des möglichen Familiennachzugs – würde von unseren Wählern als Wortbruch verstanden werden.
Die SPD hat bereits das Finanzministerium für sich reklamiert. Wollen nicht Sie selbst das haben?
Ach, wissen Sie: Die Gleichen, die jetzt öffentlich sagen, Sie wüssten noch gar nicht, ob sie regieren wollen, wollten intern schon über Ministerposten reden. Die Schrittfolge ist eine andere.
Falls es mit der SPD nicht klappt: Sind Sie dann für Neuwahlen oder eine Minderheitsregierung?
Eindeutig für Neuwahlen.

Wär’s nicht verlockend, so eine Minderheitsregierung – mit Vizekanzler Horst Seehofer?
Wenn ich nur danach entscheiden würde, was verlockend klingt, hätte ich schon viel machen können. In einer Minderheitenregierung ist Vizekanzler ein schöner Scheintitel. Das wäre nur eine kurze Freude, wenn man mal mit Rechten, mal mit Linken eine Mehrheit suchen müsste. Da würde die Union wie ein Schneeball in der Sonne schmelzen. Wir würden mit unserer politischen Bedeutung verschwinden.
Hieße bei Neuwahlen die Kanzlerkandidatin automatisch Angela Merkel?
Sie wollen mit mir gerade über den dritten vor dem ersten Schritt reden. Darüber gibt es im Moment keinen Anlass zu diskutieren.
Sie hat schon gesagt, sie stünde zur Verfügung.
Sie starten einen zweiten Versuch, mich ins Stolpern zu bringen. Dazu bin ich aber gar nicht bereit.
Nachfolger Söder: War Ilse Aigner getroffen, Herr Ministerpräsident?
Ihr Abschied naht. Wie soll das ablaufen – Kutschfahrt durch die Ludwigstraße? Zapfenstreich vor der Residenz? Nur ein kühler Händedruck von Söder?
Mir reicht eine nüchterne Amtsübergabe. Ich werde bis zum letzten Tag meine Amtsgeschäfte voll ernst nehmen. Und: Ich bleibe ja Parteivorsitzender, werde weiter für meine Heimat arbeiten. Wer weiß, was Berlin noch alles bringt.
Eine Ihrer Ministerinnen haben wir uns gut angesehen: Wir haben den Eindruck, dass Ilse Aigner wirklich getroffen war von der Personalwahl. Was tun?
Wenn mal so historisch bedeutsame Entscheidungen getroffen sind, sollte man sie akzeptieren. Das Rad zurückzudrehen, ist nicht möglich.
Es gibt jetzt viele letzte Male für Sie. Gerade der Segen der Sternsinger, im Januar der große Neujahrsempfang… Wie groß ist Ihre Wehmut wirklich?
Ich habe mich total arrangiert mit der Situation. Ich messe das auch an meinen eigenen Ansprüchen gegenüber anderen – als ich 2008 begann, habe ich viele Minister ausgewechselt. Immer mit dem Satz: Der Wechsel gehört zum Leben. Jetzt steht er eben bei mir an. Ich kann sagen: Uns ist vieles gelungen, wir haben als Staatsregierung eine Menge gestaltet für unser Land. Also: Wehmut ja, Trübsal nein.
Verraten Sie uns zum Schluss Ihren guten Vorsatz für 2018? Noch netter sein zu Markus Söder?
Das halte ich für durchaus möglich. Ja, sogar wahrscheinlich.
geo/cd/dor