Verfassungsschutzbericht: Antisemitische Straftaten steigen - Seehofer: „Eine Schande für unser Land“

Die Zahl der Extremisten in Deutschland und deren Gewaltbereitschaft nimmt zu - im rechten und im linken Lager. Bundesinnenminister Seehofer warnte bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2019 eindringlich.
- Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat den Verfassungsschutzbericht 2019 vorgestellt.
- Die Zahl der Rechtsextremen befindet sich demnach in Deutschland auf Rekordniveau.
- Es gebe aber auch „besorgniserregende neue Strukturen“ in der linksextremen Szene.
Update vom 9. Juli 15.36 Uhr: Bundesinnenminister Horst Seehofer hat bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts auch auf die steigende Anzahl antisemitischer Straftaten hingewiesen. 94 Prozent dieser Taten seien von Rechtsextremisten verübt worden. „Eine Schande für unser Land“, nannte es der Bundesinnenminister, wenn antisemitische Verschwörungstheorien verbreitet werden.
Zudem hat der Verfassungsschutz Indymedia als Verdachtsfall im Bereich des Linksextremismus eingestuft. Das teilte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, am Donnerstag in Berlin mit.
Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hatte im vergangenen Januar das Verbot der Internet-Plattform „Linksunten.Indymedia“ bestätigt, das 2017 vom damaligen Bundesinnenminister Thomas de Maizière ausgesprochen worden war. Haldenwang sagte, die Aktivitäten hätten sich zuletzt von dieser Plattform hin zur „de.Indymedia“ verlagert. Hier werden unter anderem Aufrufe zu Aktionen und Bekennerschreiben veröffentlicht.
Bei einem Verdachtsfall gibt es „hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte“ für verfassungsfeindliche Bestrebungen. Das bedeutet, dass der Geheimdienst personenbezogene Daten auswerten und speichern kann. Unter strengen Voraussetzungen können auch nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt, also heimlich Informationen beschafft, werden.
Verfassungsschutzbericht: Seehofer sieht bei Linksextremen „sinkende Hemmschwelle“ - schwerer Vorwurf gegen AfD
Update vom 9. Juli, 13.41 Uhr: Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat für September einen Bericht zu möglichen rechtsextremistischen Tendenzen bei den Sicherheitsbehörden angekündigt. Später sollten Berichte zu anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes hinzukommen, sagte er am Donnerstag in Berlin. Er wies einen Bericht zurück, wonach er auf das angekündigte Lagebild zu Rechtsextremen im öffentlichen Dienst vorerst verzichten wolle.
Die Süddeutsche Zeitung hatte zuvor berichtet, dass die Verfassungsschützer statt des angekündigten Lagebilds lediglich einen stark eingeschränkten „Erfahrungsbericht“ zu dem Thema vorlegen wollten. Dieser solle vor allem die laufenden Disziplinarverfahren gegen Polizeibeamte wegen rechtsextremer Äußerungen bundesweit zusammenfassen. Eine systematische Überprüfung aller Staatsdiener auf Mitgliedschaften in extremistischen Gruppen solle es hingegen nicht geben.
Seehofer widersprach der Darstellung am Donnerstag. „Ich habe nicht abgesagt“, betonte er.
Seehofer verteidigte am Donnerstag erneut den Verzicht auf das wissenschaftliche Gutachten zu Rechtsextremismus in der Polizei. Es müsse vermieden werden, bestimmte Berufsgruppen zu stigmatisieren, sagte er.
Mit Blick auf Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD), die an der Studie festhalten will, fügte er hinzu, die Aussagen des Innenministers seien immer wieder Gegenstand von Kontroversen. Es gehe aber nicht um die Frage, ob rechtsextremistische Tendenzen im öffentlichen Dienst bekämpft werden sollten, sondern nur um das „Wie“, sagte Seehofer.
Verfassungsschutzbericht 2019: AfD-Flügel lässt Zahl der Rechtsextremen auf Rekordniveau anwachsen
Update von 9. Juli, 11.42 Uhr: Der „Flügel“ der AfD hat die Zahl der Rechtsextremisten in Deutschland auf ein neues Rekordniveau anwachsen lassen. Der Verfassungsschutzbericht 2019 beziffert das gesamte Potenzial an Rechtsextremisten auf 32.080 - davon schätzungsweise 7000 Anhänger des AfD-Flügels. Unter den Rechtsextremisten insgesamt stuft der Verfassungsschutz 13.000 als gewaltbereit ein - 300 mehr als ein Jahr zuvor.
2018 war die Zahl der Rechtsextremisten noch mit 24.100 angegeben worden - das war bereits ein Höchststand. Die „Flügel“-Mitglieder waren im damaligen Verfassungsschutzbericht noch nicht erfasst.
Verfassungsschutzbericht 2019: Seehofer attackiert Reichsbürger - „Nutzen die Corona-Pandemie...“
Update vom 9. Juli, 11.35 Uhr: Seehofer fährt fort: „Reichsbürger und Selbstverwalter betreiben weiterhin ihr krudes Gedankengut im Internet, sie nutzen die Corona-Pandemie und die Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung sehr aktiv zur Verbreitung von Verschwörungstheorien.“ Auf „höchstem Niveau“ sei nach wie vor auch die Bedrohung durch den islamischen Terrorismus, so Seehofer.
Verfassungsschutzbericht 2019: Antisemitismus ist auf Rechtsextremismus zurückzuführen“ (Seehofer)
Update vom 9. Juli, 11.25 Uhr: „Antisemitismus ist auf Rechtsextremismus zurückzuführen“, betont Seehofer. Dann kommt er zum Thema Linksextremismus: „Der bereitet uns zunehmend Sorgen.“ Es gäbe dort neue Strukturen, etwa „Kleingruppen ohne Versammlungsstruktur“. Der Verfassungsschutz beobachte Gewaltbereitschaft sowie eine „stetig sinkende Hemmschwelle“ - vor allem gegenüber Polizisten.
Update vom 9. Juli, 11.19 Uhr: Seehofer weist auf das Vorhaben hin, zur Aufklärung rechtsextremistischer Aktivitäten im öffentlichen Dienst eine Zentralstelle beim Bundesamt für Verfassungsschutz einzurichten. Ein Lagebild zu dem Thema solle im Herbst vorgelegt werden. „Wir wollen hier mit größter Sorgfalt vorgehen.“
Seehofer in Verfassungsschutzbericht-PK lobt „Bekämpfungspaket“ der Bundesregierung
Update vom 9. Juli, 11.05 Uhr: Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang eröffnen die Bundespressekonferenz. Seehofer begrüßt Haldenwang und die Gäste. Er begründet die Verschiebung des Termins mit den Ereignissen in Stuttgart - „alles andere sind Spekulationen“.
Der Verfassungsschutzbericht diene „aufgrund objektiver Fakten“ dazu, die Politik auszurichten. Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus nehmen in Deutschland zu, sagt Seehofer zunächst und verweist darauf, was von der Bundesregierung angesichts dessen geschehen sei und erwähnt unter anderem das Verbotsverfahren gegen die NPD. „Noch nie hat eine Regierung dieses Bedrohungslage so eindeutig identifiziert und so ein Bekämpfungspaket beschlossen und umgesetzt“, erläutert Seehofer.
Seehofer stellt Verfassungsschutzbericht 2019 vor
Erstmeldung vom 9. Juli:
Berlin - Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) stellt am Donnerstag (11.00 Uhr) den neuen Verfassungsschutzbericht vor. Besonderes Augenmerk dürfte auf dem Rechtsextremismus liegen - Seehofer hatte diesen als „größte Bedrohung in unserem Land“ eingestuft. Auch zu den Entwicklungen im radikalislamischen und im linksextremistischen Spektrum wird der Jahresbericht des Bundesamts für Verfassungsschutz Auskunft geben. An der Vorstellung ist auch Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang beteiligt.
Seehofer hatte die alljährliche Bilanz der Behörde eigentlich am 23. Juni vorstellen wollen, der Termin wurde aber kurzfristig abgesagt. Das Innenministerium nannte dafür „terminlichen Gründe“. Damals hatte Seehofers Drohung mit einer Strafanzeige wegen einer polizeikritischen Kolumne in der taz für Schlagzeilen gesorgt.
Mehr zu der Seehofer-taz-Causa im Video:
Vor Verfassungsschutzbericht-PK mit Seehofer: Ramelow sieht rechtsextreme Struktur auch in Behörden
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) sieht indes rechtsextreme Tendenzen bis hinein in die deutschen Sicherheitsbehörden. „Wir erleben eine Form der Duldung, Unterstützung und möglicherweise auch Mittäterschaft“, sagte der Politiker am Donnerstag im SWR. Deshalb sei es nötig, die Augen aufzumachen und zu sagen, dass „die Struktur bis in die staatlichen Stellen hineingeht“.
Dieser Umstand behindere den Kampf gegen Rechtsextremismus, klagte Ramelow. „Diese Schwierigkeit, auf dem rechten Auge genauer hinzuschauen und dann auch die Schwierigkeit, den Alltagsrassismus nicht dazu sehen zu wollen, also auch das Klima, in dem so etwas passieren kann, das ist eine gefährliche Mischung“, sagte er.
Ramelow kritisierte die Absage von Seehofer an eine wissenschaftliche Studie über Rassismus in der Polizei. „Wenn man über so etwas nicht einmal mehr reden will, dann haben wir ein Problem auch der Wahrnehmung schon auf dieser Ebene“, kritisierte der Ministerpräsident.
Vor Verfassungsschutzberichtt 2019: Thüringens Innenminister sieht "rechtsextremistische Aktivitäten wie noch nie"
Auch der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Thüringens Ressortchef Georg Maier (SPD), sieht in Deutschland eine beispiellose Gefahr durch den Rechtsextremismus. „Wir haben rechtsextremistische Aktivitäten wie noch nie“, sagte er den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND). „Unsere Demokratie steht tatsächlich unter Druck."
Maier warnte vor einer „Entgrenzung des Rechtsextremismus zur Mitte hin“. Diese drücke sich in Veranstaltungen ebenso aus wie im Kauf von Immobilien durch Rechtsextremisten. „Der Verfassungsschutz hat dadurch enorm an Bedeutung gewonnen“, betonte der thüringische Innenminister. (AFP/dpa/frs)
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