Köhler auf Besuch bei der Truppe

Masar-i-Scharif - Größer hätte der Kontrast kaum ausfallen können: Von der glamourösen Weltausstellung in Shanghai reiste Horst Köhler ins umkämpfte Afghanistan.
Auf der Expo in China konnte der Bundespräsident sich ein Bild von den Leistungen machen, zu denen die Nationen fähig sind. Am Hindukusch droht der gigantische Kraftakt der Staatengemeinschaft dagegen zu scheitern. Längst haben die radikal- islamischen Taliban den Aufstand auch in den Norden Afghanistans und damit zur Bundeswehr getragen, deren Soldaten Köhler am Freitag im Feldlager in Masar-i-Scharif überraschend besuchte.
Historische Dimensionen
Die Visite des Staatsoberhaupts hat historische Dimensionen. Als bislang einziger Bundespräsident war Heinrich Lübke vor mehr als 40 Jahren in Afghanistan, man schrieb den März 1967. König Mohammed Sahir Schah regierte das Land seit 33 Jahren stabil, als Lübke ihn besuchte. Inzwischen herrscht seit fast genauso langer Zeit in wechselnder Intensität Krieg am Hindukusch.
Auch die Bundeswehr - im Jahr 2002 angetreten, um den Wiederaufbau abzusichern - ist immer tiefer in dem eskalierenden Konflikt versunken. In der Heimat wächst der Widerstand gegen den Einsatz stetig, inzwischen spricht sich in Umfragen eine deutliche Mehrheit für einen Abzug der Truppe aus. Der gewaltsame Tod von sieben deutschen Soldaten alleine im April hat die Debatte weiter angefacht. Der Einsatz am Hindukusch ist das mit Abstand umstrittenste außenpolitische Projekt der Bundesregierung.
Dennoch hat sich das Staatsoberhaupt bislang mit Äußerungen dazu eher zurückgehalten, von einem Besuch bei den Truppen ganz zu schweigen. In seiner Weihnachtsansprache warf Köhler lediglich die Frage auf, ob sich die Deutschen klarmachten, was der Dienst der Soldaten bedeute. Eine Antwort blieb er schuldig.
Ende August vergangenen Jahres sagte Köhler bei einem Besuch in einem Gefechtsübungszentrum der Bundeswehr nahe Magdeburg: “Wir alle, vor allem in der Politik, haben die Aufgabe, den Einsatz in Afghanistan zu erklären.“ Der Präsident selber lieferte allerdings keine Erklärung. Er warb um Anerkennung und Dank für die Soldaten und bemängelte die geringe Anteilnahme der Deutschen am Einsatz: “Ich glaube, das freundliche Desinteresse hat sich noch nicht wirklich gewandelt in ein auch sorgenvolles Interesse.“
Bundeswehr wünscht sich mehr Anerkennung
Ein Bundeswehr-Kompaniechef, der nicht namentlich genannt werden möchte, gehört zu jenen, die sich von Gesellschaft und Politik mehr Anerkennung wünschen. Der Hauptmann ist erst am Donnerstag mit seinem Konvoi im nordafghanischen Kundus in eine Sprengfalle geraten. “Man ist einfach verdammt noch mal machtlos“, sagt er wenige Stunden später zu den Bomben am Straßenrand. Er beklagt das geringe Ansehen, das die Armee in Deutschland im Vergleich zu anderen Staaten habe. “Ich will als Soldat von der Bevölkerung nicht nur geduldet werden“, sagt der Kompaniechef. “Ich will, dass das Volk stolz auf uns ist.“
Tatsächlich haben maßgebliche Teile der Politik jahrelang versucht, eine gesellschaftliche Debatte über Sinn und Zweck des Einsatzes am Hindukusch eben nicht zu führen. Mit dem heiklen Thema lassen sich keine Stimmen gewinnen. Einzig die Linke tut sich bis heute damit hervor, gebetsmühlenartig den sofortigen Abzug der Bundeswehr zu fordern. Sie sieht sich damit in einer sonderbar anmutenden Allianz mit den Taliban, die das freilich nicht mit demokratischen Mitteln, sondern mit Gewalt erzwingen wollen.
Die Diskussion, die Köhler im August anregen wollte, brach nur Tage später mit ungeahnter Wucht los - aber weder im Sinne der Soldaten noch der Bundesregierung. Als die Bundeswehr in Kundus am 4. September zwei von den Taliban gekaperte Tanklastzüge bombardieren ließ, starben nicht nur Aufständische, sondern auch Zivilisten in der Flammenhölle. Was die Soldaten schon länger so empfanden, dachten nun auch viele Deutsche: Dass Deutschland in Afghanistan Krieg führt - ein Wort, das für die Bundesregierung lange tabu war. Köhler nannte die Bundeswehr wenige Tage später eine “Armee im Kampf“. Wer mit den Aufständischen spricht, gewinnt nicht den Eindruck, dass ein Ende des Konflikts in greifbarer Nähe sein könnte.
Im Norden kämpfen neben den Taliban auch die Extremisten der Hisb-i-Islami von Ex-Premierminister Gulbuddin Hekmatyar. Hekmatyars Sprecher - er will weder seinen Klarnamen noch einen seiner Tarnnamen gedruckt sehen - sagte vor wenigen Tagen bei einem Treffen im pakistanischen Peshawar, selbstverständlich würden die Angriffe weitergehen. Seine Gruppe habe mehr als die Hälfte der Anschläge der vergangenen Jahren auf die Bundeswehr verübt, behauptet der Sprecher. “Die Deutschen haben keine Bulldozer für den Wiederaufbau gebracht. Sie sind hier, um zu kämpfen. Wenn sie meine Brüder töten, werde ich ganz sicher gegen sie kämpfen.“
Die Deutschen, sagt der Sprecher, seien einst sehr beliebt gewesen bei den Afghanen. “Aber seit die Deutschen in Afghanistan kämpfen, hat sich der Eindruck geändert. Es gibt keine Sympathie mehr. Wir unterscheiden nicht mehr zwischen Amerikanern und Deutschen.“ Er wolle den Bundesbürgern eine Nachricht übermitteln: “Opfert Eure Soldaten nicht um der USA willen“, sagt er. “Zwingt Eure Regierung, die Truppen aus Afghanistan abzuziehen.“
Can Merey