Kommt die EU-Mehrwertsteuer?
Brüssel - Die EU-Kommission verlangt eine Budgetaufstockung um fünf Prozent - zugleich will sie die Beiträge der Mitgliedsstaaten senken. Ein Teil der Einnahmen soll aus einer europäischen Mehrwertsteuer ins Brüsseler Säckel fließen.
Kommissionschef José Manuel Barroso stellte am späten
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Mittwochabend die Finanzplanung für die Jahre 2014 bis 2020 vor. Er verteidigte seinen Ansatz mit einem “echten europäischen Mehrwert“, den der neue Etat einbringen werde. Er sei “ehrgeizig, aber verantwortungsvoll“ - auch angesichts des Sparzwangs in den EU-Ländern.
Der Proteststurm gegen die geforderte Haushaltsreform ließ erwartungsgemäß nicht lange auf sich warten: “Völlig unrealistisch“ seien die Vorschläge, hieß es aus London. Man werde jeden Versuch bekämpfen, EU-Steuern einzuführen. Barroso konterte, vor der Kritik müsse man sein Konzept zunächst gründlich lesen. Doch ist auch ihm klar, dass die nun beginnenden Verhandlungen mit den Hauptstädten hart werden.
1,025 Billionen Euro bis 2020
Aus Sicht der Kommission sind für die Jahre 2014 bis 2020 insgesamt 1,025 Billionen Euro notwendig. Der laufende Finanzrahmen von 2007 bis 2013 hat ein Volumen von 976 Milliarden Euro. Das ist eine Nettosteigerung von fünf Prozent. Gemessen am
Bruttonationaleinkommen würde die Quote aber leicht sinken, von 1,06 auf 1,0 Prozent. Die sinkenden Beiträge von den Mitgliedern will die Kommission durch die neuen Steuern erreichen. Die Einführung einer Finanztransaktionssteuer haben besonders Deutschland und Frankreich seit langem vehement gefordert, auch Österreich und Luxemburg sind dafür. Mit dem feinen Unterschied, dass sie die Einnahmen behalten wollen. Für Haushaltskommissar Janusz Lewandowski soll die Besteuerung sämtlicher Börsen- und Derivategeschäfte dagegen bis zum Jahr 2020 rund 30 Milliarden Euro in die EU-Kasse spülen. “Der heutige Tag ist ein echter Wendepunkt“, erklärte die internationale Entwicklungsorganisation Oxfam. “Dass sich die EU-Kommission an die Seite der Millionen Europäer stellt, die eine stärkere gesellschaftliche Beteiligung vom Finanzsektor fordern, ist eine gute Nachricht.“
“Der Rabatt wird verteidigt“
30 weitere Milliarden sollen aus einer maximal zweiprozentigen Mehrwertsteuer kommen, die in den Mitgliedsstaaten erhoben und dann an Brüssel weitergeleitet werden müsste. Im EU-Parlament gibt es breite Rückendeckung für die Eigenmittel - sie könnten nach Berechnung der Kommission bis 2020 die Hälfte des Gemeinschaftsetats füllen.
Der Anteil der Mitgliedsbeiträge soll von 75 auf rund ein Drittel sinken. Aber nicht nur in London, auch in Berlin hat man bislang jeden Versuch für eine EU-Steuer reflexartig abgeblockt. Auch mit dem Vorschlag, die bisherigen Rabatte für Großbritannien, Deutschland und zwei weitere Nettozahler zu kürzen und zu vereinfachen, wird die Kommission auf Granit beißen. Statt der bisherigen komplizierten Regeln sollen in Zukunft Pauschalrabatte abhängig von der Wirtschaftsentwicklung gewährt werden. “Großbritannien wird seinen Rabatt verteidigen“, tönte es prompt aus London.
Barroso rechtfertigte das Konzept mit dem europäischen Mehrwert, den jeder von der Gemeinschaft ausgegebene Euro erzielen könne. Etwa, wenn durch Investitionen in Leitungen für erneuerbare Energien nicht nur schwachen Regionen, sondern auch dem Klimaschutz und dem Energiesparen geholfen werde. Erstmals will die EU deswegen auch mehr Geld für Wachstum, Forschung und Kohäsionspolitik ausgeben als für den Agrarsektor. In die Wirtschafts-, Sozial- und Regionalförderung sollen 376 Milliarden Euro fließen. Und die Gegenfinanzierungsquote soll für die Staaten am Euro-Tropf, also neben Griechenland auch Irland und Portugal, auf fünf bis maximal zehn Prozent gesenkt werden.
Deutlich weniger für deutsche Bauern
Für die Landwirtschaft sind 372 Milliarden Euro veranschlagt, der Anteil am Gesamtbudget würde dadurch von knapp 40 auf 36 Prozent sinken. 30 Prozent der Direktzahlungen an die Bauern sollen nur noch dann freigegeben werden, wenn die Produktion auch wirklich “grüner“ wird. Für deutsche Landwirte könnte das zu starken Einbußen führen. Denn die Mittel sollen nicht aufgestockt, aber gerechter zwischen den Mitgliedsstaaten verteilt werden. Bislang liegen die Zuwendungen für Betriebe in der Bundesrepublik deutlich über dem Durchschnitt.
Hoffnung auf mehr Geld können sich die Osteuropäer und die baltischen Staaten machen. 50 Milliarden Euro will die Kommission auch in den Auf- und Ausbau europäischer Energie-, Kommunikations- und Verkehrsnetze stecken. Für deren Finanzierung schlägt sie abermals die Einführung sogenannter EU-Projektbonds vor, also gemeinsamer Anleihen der Europäischen Investitionsbank. Auch dagegen hat sich Berlin bislang energisch gewehrt. Die Ausgaben für Forschung und Innovation sollen auf 80 Milliarden Euro steigen.
Fünf Prozent weniger EU-Beamte
Einfrieren will die EU ihre eigenen Verwaltungskosten, deren Anteil derzeit bei 5,7 Prozent am gesamten Haushalt liegt. Um die Ausgaben zu deckeln, soll die Arbeitszeit der Beamten von 37,5 auf 40 Stunden und das Renteneintrittsalter von 63 auf 65 Jahre angehoben werden. Zudem ist ein Personalabbau um fünf Prozent bis zum Jahr 2018 vorgesehen, allerdings ohne Entlassungen. Der Vorschlag der Kommission wird nun von den Mitgliedsstaaten beraten, die ihm alle zustimmen müssen. Spätestens Ende kommenden Jahres müsse eine Einigung her, sagte Barroso. Die turbulente Einigung auf die letzte mittelfristige Finanzplanung ist als “Nacht der langen Messer“ in die EU-Geschichte eingegangen.
dapd