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Kritik an aufgeweichter Corona-Verordnung von Arbeitsminister Heil

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Arbeitsminister Hubertus Heil wird für seine neueste Corona-Arbeitsschutzverordnung kritisiert.
Arbeitsminister Hubertus Heil wird für seine neueste Corona-Arbeitsschutzverordnung kritisiert. © Dorothée Barth/dpa

Die Bundesregierung hat eine neue Corona-Arbeitsschutzverordnung kurz vor der Veröffentlichung in mehreren Punkten aufgeweicht. Das zeigen Dokumente, die BuzzFeed News Deutschland vorliegen. Die Verordnung soll Betriebe für ihre Mitarbeiter:innen sicherer machen, bleibt aber in vielen Punkten unkonkret.

Bundespolitikerinnen von Linkspartei und Grünen sowie der Deutsche Gewerkschaftsbund kritisieren die neue Verordnung scharf. Sie befürchten, dass Behörden die neuen Regeln gegen die Unternehmen nicht durchsetzen können.

Fast alle Lebensbereiche sind in Deutschland strengen Hygieneregeln unterworfen, lediglich die Arbeit läuft in großen Teilen weiter. Noch immer arbeiten viele Menschen nicht im Home-Office, obwohl sie die Möglichkeit dazu hätten. Noch immer beschweren sich zahlreiche Menschen – auch in Gesprächen mit BuzzFeed News* – über mangelnde Hygiene-Vorkehrungen am Arbeitsplatz.

Die neue Corona-Arbeitsschutzverordnung des Bundesarbeitsministeriums sollte das ändern. Ein erster Entwurf vom 18. Januar 2021 sah eine ganze Reihe von Regeln zum Schutz von Arbeitnehmer:innen vor, die jedoch drei Tage später – als der Entwurf im Kabinett verabschiedet wurde – teilweise verschwunden waren. Die FAZ hatte bereits über Teilaspekte berichtet.

Zahlreiche Punkte der Arbeitsschutz-Verordnung wurden noch gelöscht

Aus dem Entwurf verschwand unter anderem ein Bußgeldkatalog. Gestrichen wurde auch eine Maskenpflicht für alle Arbeitnehmer:innen, die ihre Arbeitsplätze verlassen. Kantinen- und Pausenräume dürfen nun doch weiter genutzt werden. Die Verordnung gilt nun lediglich bis zum 15. März – nicht bis zum Ende der Pandemie. Und es gibt keine Verschärfungen mehr bei hoher Coronavirus-Inzidenz. Zunächst war vorgesehen, dass größere Betriebe ab einer Inzidenz von 200 regelmäßige Antigen-Schnelltests für ihre Mitarbeiter:innen anbieten müssen. All das ist in der endgültigen Fassung weggefallen. 

(Hier gibt es die endgültige Fassung der neuen Corona-Arbeitsschutz-Verordnung. Den Entwurf vom 18. Januar veröffentlichen wir nicht, weil nicht klar ist, ob aus der uns vorliegenden Version Rückschlüsse auf unsere Quelle möglich sind.)

Auf Anfrage von BuzzFeed News wollte das Bundesarbeitsministerium den Wegfall der strengen Maßnahmen nicht bewerten. Eine Frage nach Kontakten mit Arbeitgeberverbänden zwischen dem ersten Entwurf am 18. Januar und der aufgeweichten Verabschiedung am 21. Januar beantwortete das Ministerium nicht. Auch die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände äußerte sich auf Anfrage nicht zu möglichen Kontakten in den Tagen vor der Verabschiedung der Regeln.

Linke, Grüne und DGB: Verordnung lässt sehr viel Spielraum für Arbeitgeber:innen

Der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Linksfraktion und die Grünen kritisieren nicht nur die Aufweichung der finalen Fassung, sondern auch die ungenauen Formulierungen in der Verordnung. Diese ließen den Arbeitgeber:innen sehr viel Spielraum und erschwerten eine effektive Kontrolle durch die Behörden.

So steht zum Beispiel in der Verordnung, Treffen mehrere Personen müssten „auf das betriebsnotwendige Minimum“ reduziert werden und die Arbeitgeber müssten „alle geeigneten technischen und organisatorischen Maßnahmen“ treffen, um Kontakte zu verringern. Was das konkret heißen soll und wie ein Kontrolleur einen Verstoß gegen diese Formulierungen belegen kann, ist unklar. Und auch Home-Office muss Arbeitnehmer:innen nur angeboten werden, wenn „keine zwingenden betriebsbedingten Gründe entgegenstehen“. Selbst der Einsatz von Masken bleibt vage: Ob einfache OP-Masken oder FFP2-Masken verwendet werden und in welchen Situationen, bleibt den Arbeitgeber:innen überlassen.

Linken-Politikerin Krellmann fordert abschreckende Bußgelder und Rechtsanspruch auf Home-Office

Jutta Krellmann von der Linksfraktion ist Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales und fordert gegenüber BuzzFeed News „eine Corona-Arbeitsschutzverordnung, die ihren Namen auch verdient. Dazu gehört: ein Rechtsanspruch auf Homeoffice, verpflichtender Infektionsschutz an jedem Arbeitsplatz ohne Ausnahmen und abschreckende Bußgelder bei Verstößen.“ Es sei an der Zeit, dass der Staat die Arbeitsplätze endlich ernsthaft kontrolliere. „Für flächendeckende Arbeitsschutzkontrollen müssen für die Zeit der Pandemie auch Kräfte anderer Bereiche herangezogen werden können“, schreibt Krellmann.

Auch Beate Müller-Gemmeke, Sprecherin für ArbeitnehmerInnenrechte der Grünen im Bundestag kritisierte die Verordnung. „Bis die Arbeitsschutzbehörde Homeoffice anordnen kann, dauert es viel zu lange“, schreibt Müller-Gemmeke. „Es ist auch nicht nachzuvollziehen, wie schnell ursprüngliche Vorhaben des Referentenentwurfs wieder zurückgenommen wurden.“

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) schreibt auf Anfrage von BuzzFeed News, dass er sich über die hohe Aufmerksamkeit für Arbeitsschutzthemen freue. Das Ergebnis der Beratungen zum Corona-Schutz sei jedoch ein Kompromiss. Jetzt müsse man schauen, ob die Regeln dazu beitragen, dass die Infektionszahlen sinken. „Wenn das nicht der Fall ist muss natürlich neu darüber gesprochen werden, wie die Covid-Arbeitsschutzregel angepasst und verbessert werden kann“, schreibt DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel.

Interne Bewertung des Deutschen Gewerkschaftsbundes mit harscher Kritik

In einer internen Bewertung, die BuzzFeed News vorliegt, ist der DGB sehr viel deutlicher. Die Vorgaben seien „sehr ungenau und allgemein formuliert“, heißt es da. Es sei „nicht klar geregelt, welche konkreten Schutzmaßnahmen gelten und bei der Kontrolle durch die Arbeitsschutzbehörden (...) angewendet werden.“ Insgesamt enthalte die Verordnung „wenig handhabbare Vorgaben“. Und: Die Gewerkschaft befürchtet, dass die „personell unterbesetzten Behörden“ die Verordnung nicht angemessen kontrollieren werden. „So ist davon auszugehen, dass unwillige Arbeitgeber sich von der nun geschaffenen Verpflichtung drücken werden“, schreibt der DGB in seiner internen Bewertung. „Für die Beschäftigten fehlt ein klar geregeltes Recht, Arbeit von Zuhause einfordern zu können.“

Das Arbeitsministerium verteidigte die Verordnung in einer nicht-öffentlichen Sitzung des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales am Mittwochmorgen dieser Woche. In der Sitzung hatte das Arbeitsministerium unter anderem darauf hingewiesen, dass bei Verstößen Ordnungsgelder von bis zu 30.000 Euro möglich wären. Auf Nachfrage von BuzzFeed News erklärte das Ministerium, dass Ordnungsgelder in der Regel jedoch erst nach einem zweischrittigen Verfahren verhängt werden könnten: Nach einem ersten Verstoß können Aufsichtsbeamte einen Anordnungen schreiben. Ein Bußgeld können sie erst dann verhängen, wenn sie bei einer erneuten Kontrolle vor Ort feststellen, dass der Verstoß nicht behoben wurde. Arbeiter:innen, denen der Arbeitgeber das Home-Office verwehrt, obwohl dies möglich wäre, sollen laut Ministerium „erst einmal das Gespräch mit dem Arbeitgeber suchen, gegebenenfalls auf den Betriebsrat zugehen“, bevor sie sich an die Aufsichtsbehörde wenden.

Arbeitsschützer:innen skeptisch: Behörden können Verstöße von Arbeitgebern nicht ausreichend prüfen

Mehrere erfahrene Arbeitsschützer:innen halten es im Gespräch mit BuzzFeed News Deutschland für sehr unwahrscheinlich, dass die Behörden diese Verordnung systematisch kontrollieren können. „Wenn sie in drei Monaten nachfragen, wie viele solcher Ordnungsgelder wegen der Corona-Verordnung ausgesprochen wurden – ich bin mir sicher, sie werden kaum eines finden“, sagt beispielsweise eine Aufsichtsperson, die seit Jahrzehnten im Arbeitsschutz arbeitet. 

Ein anderer Arbeitsschützer hat schon wenige Tage nach Einführung der neuen Regeln schlechte Erfahrungen gemacht. Aktuell gebe es sehr viel Gegenwind von den Arbeitgebern, die sich eine Reihe von Ausreden suchten, um Homeoffice-Wünsche abzulehnen. Diese reichten von „Wir haben keine Cloud“ bis hin zu „Die Kapazitäten der Server reichen nicht aus, deshalb müssen die Leute hierbleiben.“ Diese Ausnahmen müssten die Arbeitsschutzbehörden dann eigentlich aufwändig individuell prüfen. „Dafür haben die gar keine Zeit. Und selbst wenn sie es machen, dauert es Monate, bis so etwas umgesetzt wird.“ 

Der Arbeitsschutz in Deutschland ist über Jahre systematisch geschwächt worden

Die für den Arbeitsschutz zuständigen Bundesländer haben über Jahre Fachpersonal abgebaut oder notwendige Neueinstellungen verpasst. Mittlerweile werden Betriebe im Schnitt nur noch alle 25 Jahre kontrolliert. Vor zehn Jahren fanden die Kontrollen noch alle elf Jahre statt. Das zeigt eine Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken-Abgeordneten Jutta Krellmann von Ende April 2020. Die Anzahl der bundesweit gut 3000 Beamten in den Arbeitsschutzbehörden der Bundesländer ist gleich geblieben, aber ihr Aufgabenspektrum hat zugenommen. 

In der Corona-Krise machen die Arbeitsschützer noch weniger überraschende Kontrollen als bisher und werden häufig für andere Aufgaben abgezogen, zeigte eine BuzzFeed News-Recherche aus dem Frühjahr. „Um den Erfordernissen des Shutdown zu entsprechen, wurden die Betriebsbesichtigungen zunächst auf das unbedingt notwendige Maß beschränkt“, schrieben die Bundesländer damals in einer gemeinsamen Antwort auf Anfrage von BuzzFeed News. 

Recherchen von BuzzFeed News hatten bereits in den vergangenen Jahren gezeigt, wie problematisch der Stellenabbau in den Bundesländern ist. So ist zum Beispiel die Zahl der für den Arbeitsschutz zuständigen Landesgewerbeärzte in den vergangenen zwei Jahrzehnten deutschlandweit von 160 auf weniger als 70 gesunken. In einigen Bundesländern ist ein einziger Arzt dafür zuständig, die Gesundheit aller Beschäftigten des ganzen Landes zu überwachen. In Bremen gibt es seit Jahren keinen einzigen Landesgewerbearzt mehr.*BuzzFeed News ist Teil des Ippen-Digital-Netzwerks

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