Lauterbach-Pläne nun im Bundestag - Experten schlagen Alarm: „Pflege vor dem Kollaps“
Ein Expertenrat soll Lauterbachs Pflegereform beurteilen. Verbände warnen. Bis zu 90 Prozent der Einrichtungen müssen aktuell Menschen abweisen.
Berlin – „Die Zahlen zeigen es: Wir sind bereits mitten in einer akuten Pflegekrise“, sagte Maria Loheide, Sozialvorständin der Diakonie Deutschland, am Dienstag (9. Mai). Die Diakonie stufte die Versorgungssicherheit in der Langzeitpflege als akut gefährdet ein. Auch in der Kurzzeitpflege müssten Menschen abgewiesen werden. Die Unterstützungspläne von Karl Lauterbach dürften nicht reichen, hieß es aus Politik und Verbänden - kurz vor einer Expertenanhörung des Bundestags am Mittwoch (10. Mai).
Pflegenotstand: Großteil der Einrichtungen von Problemen betroffen – aufgrund von Personalmangel
Ein Blick auf die Zahlen der Diakonie verdeutlicht die Engpässe in der Pflege. 72 Prozent der stationären Pflegeeinrichtungen der Diakonie haben den Angaben zufolge in den vergangenen sechs Monaten wegen Personalmangel und Erkrankungen von Mitarbeitenden Leistungen einschränken müssen. Insbesondere hätten freie Betten nicht mit neuen Pflegebedürftigen belegt werden können.
Einrichtung | Prozent Einrichtungen mit Einschränkungen (letzte sechs Monate) | Gründe |
Stationäre Pflegeeinrichtungen (Diakonie) | 72 Prozent | Personalmangel, Erkrankung Personal |
Ambulante Pflege (Diakonie) | 89 Prozent (Neukunden abgelehnt) | Personalmangel |
Ambulante Pflege (Diakonie) | 29 Prozent (Einschränkungen für Bestandskunden) | Personalmangel |
Ähnlich verhält es sich in der ambulanten Pflege. Dort hätten in den vergangenen sechs Monaten sogar 89 Prozent der Dienstleister Neukunden und -kundinnen ablehnen müssen. 29 Prozent konnten Leistungen für Bestandskunden nicht aufstocken, wie die Diakonie unter Berufung auf eine interne Umfrage weiter mitteilte. Auch in der ambulanten Pflege sei Personalmangel das Hauptproblem. „Nötig ist ein radikales Umdenken in der Politik, wenn wir die Pflege vor dem Kollaps bewahren wollen“, so Maria Loheide.
Pflegereform: Lauterbach muss Kritik aus Politik und von Verbänden einstecken
Ab 2024 soll die Pflegereform, die der Gesundheitsminister zuletzt dem Kabinett vorstellte, in Kraft treten. Sie sieht unter anderem steigendes Pflegegeld, höhere Zuschläge für Heimbewohner, aber auch Höhere Pflegebeiträge für Kinderlose vor. Die Pläne sorgten in der Ampel-Koalition bereits für Zoff, auch in einer Pflege-Diskussion bei „Hart aber Fair“. Verbänden wie dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) geht die Reform nicht weit genug.
„Beim Blick auf den Gesetzentwurf drängt sich die Frage auf, ob die Bundesregierung die Größe des Problems, vor dem die Pflegeversicherung steht, überhaupt erkannt hat“, sagte Florian Lanz, Sprecher des GKV der Nachrichtenagentur AFP. „Steigende Eigenanteile für Pflegeheimbewohnende, steigende Beiträge für Versicherte und Arbeitgeber, aber keine nennenswerten Leistungsverbesserungen für die Pflegebedürftigen“, fasste er zusammen.

Der Vorsitzende des Deutschen Evangelischen Verbands für Altenarbeit und Pflege, Wilfried Wesemann, sah die Pläne als „sinnvolle Bausteine, die allerdings auf einem sehr brüchigen finanziellen Fundament stehen“. Die vorgesehene Erhöhung des Beitragssatzes auf 3,4 Prozent reiche nicht aus, um die Versorgung zu sichern. Der AOK-Bundesverband bemängelte, dass es nachhaltige Lösungen neben den kurzfristigen Beitragserhöhungen brauche.
„Die geplante Pflegereform wird den Kollaps in der Altenpflege nicht verhindern“, warnte auch der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. Die Auslastung der Pflegeeinrichtungen werde dadurch nicht beeinflusst. Es müsse vor allem etwas gegen „die personelle und pflegerische Unterversorgung von hilfsbedürftigen Menschen“ unternommen werden, erklärte Brysch.
Am Mittwoch (10. Mai) sollen nun Expertinnen und Experten in einer öffentlichen Anhörung befragt werden. Möglich scheint aber, dass ein anderer Bundestags-Termin das Thema überschattet: Robert Habeck und Patrick Graichen stellen sich einer Befragung in der „Trauzeugen-Affäre“. (chd mit dpa)