Wofür steht SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz?

Ex-Alkoholiker, leidenschaftlicher Europaverfechter, begnadeter Redner, Merkel-Herausforderer, Fußballfan und Schulabbrecher - das alles ist Martin Schulz. Doch für was steht er politisch?
Berlin - Martin Schulz hat der SPD zu einem unerwarteten Aufschwung verholfen. Der ehemalige Europaparlamentarier will die Sozialdemokraten zur Kanzlerschaft führen und schaffte es zunächst auch, die Bevölkerung wieder von der Partei zu überzeugen.
Nachdem in den ersten Wochen viele Menschen über die politischen Positionen von Schulz rätselten, hat er sich Ende Februar deutlich zu einer Reform der vor allem bei den Sozialdemokraten ungeliebten Agenda 2010 bekannt. In seiner Zeit als Präsident des EU-Parlaments war er bekannt für seine klaren Meinung zu Menschenrechten, Migration und soziale Gerechtigkeit. Auch das Zwischenmenschliche nimmt bei dem Vater zweier Kinder einen hohen Stellenwert ein.
Als Kanzlerkandidaten der SPD tritt er in die Fußstapfen von Sigmar Gabriel, der im Januar den Weg für ihn frei machte. Der bislang letzte Kanzler der Sozialdemokraten war Gerhard Schröder.
Was die aktuellen Umfragen zur Bundestagswahl über die Chancen von Martin Schulz und der SPD sagen, können Sie unter diesem Link nachlesen.
Martin Schulz bei der Wahl 2017: Seine Kanzlerkandidatur für die SPD
Im Europaparmlament hat er bewiesen, dass er etwas kann: Europäische Politik machen. Doch kann er auch Kanzler? Brandenburgs SPD-Chef Dietmar Woidke hat Martin Schulz als sehr guten Kanzlerkandidaten bezeichnet. „Schulz ist ein hervorragender Kandidat. Er kann Kanzler“, erklärte Woidke. „Ich freue mich auf einen starken Wahlkampf mit Martin Schulz, mit Sigmar Gabriel, mit der ganzen SPD für eine gerechte Politik in Deutschland und eine friedlichere Welt. Dafür steht er.“
Schulz besitze eine breite Ansprache in der Kernwählerschaft der SPD, so der Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann. „Er kann den Stahlarbeiter ebenso ansprechen wie den Studienrat. Mal zeigt er bei seinen Terminen und Äußerungen klare Kante, mal demonstriert er Kultur und Intellektualität.“
Von linken Weltverbesserungsphantasien würde er hingegen wenig halten, Schulz sei Pragmatiker, schreibt die Zeit. „So pragmatisch, dass nicht wenige in der SPD sich fragen, wofür er eigentlich steht. Niemand kennt seine Meinung zur Vermögenssteuer, zur Rente, zu all diesen innenpolitischen Themen, über die die SPD herzhaft streiten kann. Schulz ist auch ein Meister im Ausweichen."
Was Sigmar Gabriel über Martin Schulz sagt
„Schulz steht für einen Neuanfang. Und darum geht es bei der Bundestagswahl", erklärte Sigmar Gabriel im Magazin stern über die Gründe seines Rücktritts als Parteichef.

Nach der überraschenden Ausrufung von Martin Schulz zum SPD-Kanzlerkandidaten hatte der damalige Parteichef Sigmar Gabriel die "große Glaubwürdigkeit" des früheren EU-Parlamentspräsidenten gelobt. Die Kandidatur und die Übernahme des Parteivorsitzes "dokumentieren unseren Willen für einen echten Neubeginn in Deutschland und Europa", hieß es in einer schriftlichen Stellungnahme Gabriels. Es gehe darum, "den Angriffen der neuen US-Regierung selbstbewusst entgegen" zu treten.
Gebraucht werde ein "glaubwürdiger Neuanfang zur großen Koalition", sagte Gabriel vor der Bundestagswahl 2017 weiter. Den repräsentiere Schulz in der deutschen Öffentlichkeit "mehr als jeder andere von uns". Der Vizekanzler verwies auf Schulz' "einzigartige Arbeit" an der Spitze des Europäischen Parlaments, sein Engagement gegen Rechtspopulismus und sein Eintreten für soziale Gerechtigkeit, Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt in Europa.
Dem Kampf gegen den Populismus hatte sich Schulz schon als Präsident des Europaparlaments verschrieben. Einen rechtsradikalen griechischen Abgeordneten hat er einmal wegen rassistischer Äußerungen über Türken aus dem Parlament geworfen - ohne Diskussion.
Die SPD trete "für keine Koalition und für keine taktischen Überlegungen an, sondern für '150 Prozent' Sozialdemokratie", so Gabriel. Dafür brauche die Partei "auch eine Person, die diesen Wahlkampf glaubwürdig repräsentiert und mit dem wir die nächste Bundesregierung anführen" wollen.
Was denken andere Parteigenossen über Schulz?
Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz sah seine Partei im Frühjahr mit einem Kanzlerkandidaten Martin Schulz gut gewappnet. „Mit Martin Schulz als Kanzlerkandidaten hat die SPD nun eine gute Ausgangsposition für die Bundestagswahl 2017.“ Er habe die Fähigkeit, die Bürgerinnen und Bürger für Politik zu begeistern und genieße große Sympathien, wie Umfragen zeigten, erklärte der SPD-Bundesvize damals. „Im Wahlkampf werden wir mit Martin Schulz deutlich machen, dass die SPD für eine soziale, gerechte und bessere Politik steht.“
Der Sprecher der Parlamentarischen Linken der SPD, Matthias Miersch, sagte: „Wir werden wie eine Eins, egal ob Seeheim oder Parlamentarische Linke, hinter Martin Schulz stehen und mit ihm, denke ich, einen tollen Wahlkampf machen.“ Schulz gehört wie Gabriel dem eher konservativen Seeheimer Kreis innerhalb der SPD an.
„Ich glaube, Martin Schulz ist der richtige Kandidat in der jetzigen Zeit“, sagte die Juso-Vorsitzende Johanna Uekermann dem Sender SWR Info. Schulz sei jemand, der immer sehr klar dem Rechtspopulismus in ganz Europa eine Absage erteilt habe, und ein engagierter Wahlkämpfer. „Der kann auf jeden Fall Merkel schlagen“, zeigte sich Uekermann überzeugt. Sie hatte sich wiederholt kritisch zu einer möglichen Kanzlerkandidatur von Gabriel geäußert.
Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin und stellvertretende SPD-Vorsitzende Hannelore Kraft hatte dem Kanzlerkandidaten ebenfalls Rückhalt versprochen. „In diesen Zeiten geht es vor allem um Gerechtigkeit, Zuversicht, Sicherheit im Wandel und Zusammenhalt. Für diese Werte steht Martin Schulz wie kaum ein anderer“, sagte Kraft und zeigte sich überzeugt: „Mit ihm hat die SPD die besten Chancen. Wir werden sie nutzen, im Mai in NRW und im September im Bund.“
Was sagen die anderen Parteien über Martin Schulz (SPD)?
„Martin Schulz gilt als großer Europäer, in dieser Frage sind wir sicherlich einig. Ansonsten wissen wir nicht, wofür er innenpolitisch steht. Und wissen damit auch nicht, wofür die SPD innenpolitisch steht", sagte hingegen die Fraktionschefin der Grünen und Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl, Katrin Göring-Eckardt.
Linksfraktionschefin und ebenfalls Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht sah Schulz noch kritischer: „Mit Blick auf seine politische Biographie steht Martin Schulz nicht für einen sozialen Aufbruch, er ist leider kein glaubwürdiger Vertreter einer Neuorientierung zurück zu echter sozialdemokratischer Politik.“ Wagenknecht sah Gabriel und Schulz politisch auf einer Linie. „Schulz hat Gabriels Kurs, die Beteiligung der SPD an der Zerstörung des Sozialstaats, nie kritisiert. Beide stehen einander politisch nah.“
Die Linke steht Schulz insgesamt skeptisch gegenüber. Die Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger äußerten Zweifel, dass die Entscheidung zu einem „Politikwechsel für soziale Gerechtigkeit und weg von der großen Koalition und ihrer verfehlten Politik bedeutet“.
Grünen-Chef und Spitzenkandidat für die Bundestagswahl Cem Özdemir gewann einer Kandidatur des 61-jährigen Schulz dagegen Positives ab. „Martin Schulz steht zweifelsohne für einen proeuropäischen Kurs“, sagte er der Rheinischen Post. Er sei allerdings gespannt, wie Schulz die großen Herausforderungen in der Umwelt- und Klimapolitik und bei der notwendigen ökologischen Modernisierung der Wirtschaft anpacken werde.
Martin Schulz: Was schreiben die Medien über den Kanzlerkandidaten der SPD?
"Martin Schulz der Mann, der den Rat des Nochvorsitzenden befolgen wird? Steht er für den Versuch, die deutsche Sozialdemokratie doch wieder zu einer Partei zu machen, die Merkel entschieden herausfordert und sich nicht insgeheim darauf vorbereitet, ihr doch wieder als Juniorpartnerin zu dienen?", fragte die Frankfurter Rundschau. Sie fragte sich auch, wofür der "lustige Mann aus Würselen" eigentlich steht.
"Wenn mehr zur Wahl stehen soll als die prinzipielle Fortsetzung des Merkelismus mit neuem, beliebtem Gesicht; wenn die Absage vieler Menschen ans großkoalitionäre ,Weiter so‘ tatsächlich in der SPD ihren Ausdruck finden soll - dann müssen schon auch ein paar Inhalte her. Und es ist schon erstaunlich, wie wenig davon Martin Schulz während seines politischen Aufstiegs preisgegeben hat“, schrieb die Frankfurter Rundschau weiter.
"Nun muss Schulz sich inhaltlich positionieren, und natürlich wird das zu Enttäuschungen führen", forderte auch die Berliner Zeitung. "So ist es schon bemerkenswert, dass die SPD mit einem Kandidaten antritt, über dessen Positionen in der Sozial-, der Steuer- oder der Innenpolitik man praktisch nichts weiß. Schulz hat sich alleine als leidenschaftlicher Europäer einen Namen gemacht."
Nach siebeneinhalb Jahren Gabriel steht Schulz definitiv für einen Neuanfang. "Die SPD hat die Chance, die stärkste Partei zu werden", hatte Schulz noch vor seiner Kandidatur gesagt. Das zeigt auf jeden Fall schon einmal eines: Martin Schulz steht für Optimismus.
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Im Sat1-Video: GQ-Model und Ex-Alkoholiker - Martin Schulz im Portrait
dpa/AFP/ali/Glomex