Mindestlohn: GroKo beschließt weitere Ausnahmen
Berlin - Bundesarbeitsministerin Nahles wollte unbedingt branchenbezogene Ausnahmen beim Mindestlohn vermeiden. Nun musste sie offensichtlich dem Druck des Koalitionspartners nachgeben.
Nach Widerstand aus der Union haben sich die Spitzen der schwarz-roten Koalition auf Änderungen am Mindestlohnentwurf von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) verständigt. Danach soll es nun keine Rabatte für Zeitungsverleger bei den Sozialbeiträgen ihrer Zusteller (Minijobber) geben. Vielmehr solle den Verlagen eine zeitliche Staffelung beim geplanten Mindestlohn von 8,50 pro Stunde eingeräumt werden. Dies war am Freitag aus Koalitionskreisen in Berlin zu erfahren. Bei Erntehelfern und Praktikanten solle es ebenfalls Ausnahmeregelungen geben.
Die arbeitspolitischen Sprecher der Koalitionsfraktionen, Karl Schiewerling (CDU), Stephan Stracke (CSU) und Katja Mast (SPD), erklärten nach dem Treffen, in zuletzt offenen Fragen hätte „eine grundsätzliche Einigung“ erzielt werden können. „Das betrifft die Saisonarbeit, die Zeitungszustellung sowie die Ausgestaltung der Regelung für Praktikantinnen und Praktikanten.“
In die Überlegungen werde noch die Expertenanhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am kommenden Montag einbezogen, erklärten die Koalitionspolitiker. Am Dienstag sollen die Fraktionen über den Gesetzentwurf diskutieren, der dann am Donnerstag endgültig verabschiedet werden soll.
SPD-Chef Sigmar Gabriel hatte zuvor Änderungen an den bisherigen Koalitionsplänen für einen Mindestlohn für Praktikanten angekündigt. „Wir lösen Ihr Problem“, sagte der Wirtschaftsminister vor Familienunternehmern in Berlin. Konkrete Angaben machte er nicht.
Das Haus von Nahles hatte mit den Verlegern zunächst eine Sonderregelung ausgehandelt, wonach Zeitungsverlage für Zusteller zwar den Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde von 2015 an einführen sollen, im Gegenzug aber für fünf Jahre durch geringere Sozialabgaben für diese Minijobber entlastet werden sollen.
Nahles stand bei den Verlegern unter Druck, weil die Koalitionsfraktionen von Union und SPD im Sinne der Pressefreiheit sichergestellt haben wollten, dass Zeitungen auch in Zukunft noch auf dem flachen Land beim Leser ankommen. Sie wollte aber Ausnahmeregelungen am Mindestlohn von 8,50 Euro verhindern.
Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Michael Fuchs (CDU), hatte daraufhin erklärt, die Wirtschaftspolitiker der Union hielten solche selektiven Eingriffe für verfassungsrechtlich fragwürdig und ordnungspolitisch verfehlt. Auch die Pressefreiheit rechtfertige keine Besserstellung der Verlage. Die Koalition müsse für alle Unternehmen und Branchen „die schlimmsten Ecken und Kanten des Gesetzesentwurfs“ beseitigen, sagte er der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Freitag).
Der gesetzliche Mindestlohn soll mit einer Übergangszeit von zwei Jahren generell vom 1. Januar 2015 an in Deutschland gelten. Ausgenommen sind bisher Jugendliche unter 18 Jahren und Langzeitarbeitslose für die ersten sechs Monate einer Beschäftigung. Für Praktika mit bis zu einer sechswöchigen Dauer sowie für Pflichtpraktika im Rahmen eines Studiums oder einer Berufsausbildung soll bisher der Mindestlohn ebenfalls nicht gelten.
Die Union hatte darauf gedrungen, dass auch andere Bereiche wie Saisonarbeiter in der Landwirtschaft vom Mindestlohn ausgenommen werden. Die Vorsitzende des Agrarausschusses, Gitta Connemann (CDU), sagte der „Rheinischen Post“ (Freitag): „Ohne spezielle Lösung für Erntehelfer werden Spargel, Erdbeeren, Gurken und Wein aus deutschen Landen der Vergangenheit angehören - das könnte ich nicht verantworten.“ Man stehe bei der Saisonarbeit im Wort.
Neue Ausnahmen beim Mindestlohn stoßen auf Kritik
Die von der Koalition verabredeten zusätzlichen Ausnahmen beim Mindestlohn stoßen auf Kritik. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sprach mit Blick auf die am Freitagnachmittag bekannt gewordenen Sonderregelungen für Erntehelfer und Zeitungsausträger von einem "schweren Fehler". Einwände äußerten auch der Präsident der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, sowie die CDU-Arbeitnehmerschaft.
Medienberichten zufolge soll bei Saisonarbeitern der Arbeitgeber Kosten für Unterkunft und Verpflegung auf den Mindestlohn anrechnen können. Zudem soll laut "Passauer Neue Presse" die Grenze für eine sozialabgabenfreie Beschäftigung von 50 auf 70 Tage angehoben werden. Für Zeitungsausträger soll es eine zweijährige Übergangszeit geben, bis 2017 der volle Mindestlohn gilt. Praktikanten sollen für drei Monate statt für sechs Wochen vom Mindestlohn ausgenommen sein.
"Ich kann mir auch freiwillige Praktika im Rahmen von bis zu drei Monaten vorstellen", bestätigte Nahles in der "Rhein-Zeitung". Allerdings solle dies nur für Praktika vor dem Abschluss von Studium oder Berufsausbildung gelten. "Gut qualifizierte Leute monatelang für lau zu beschäftigen, damit wird Schluss sein", stellte Nahles klar. Für Pflichtpraktika im Rahmen einer Ausbildung soll der Mindestlohn ohnehin nicht gelten.
"Der DGB hat immer deutlich gemacht, dass es keine Ausnahmen beim Mindestlohn geben darf", erklärte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell am Freitagabend in Berlin zu den sich abzeichnenden Sonderregeln. Er nannte es "völlig inakzeptabel, dass es für die Arbeit von Erntehelfern und Zeitungszustellern Sonderregelungen gibt und insbesondere die Zusteller schlechter bezahlt werden". Damit werde gerade Beschäftigten mit besonders schweren Arbeitsbedingungen noch mehr zugemutet.
"Wenn man zu viele Sonderregelungen zulässt, wird man Widersprüche produzieren, Ausweichverhalten fördern und am Ende Unzufriedenheit ernten", sagte BA-Präsident Weise der "Frankfurter Rundschau" vom Samstag. Zwar habe er Verständnis für wirtschaftliche Bedenken von Branchen und Unternehmen; andererseits lebten aber erfolgreiche Geschäftsideen "von guten Leistungen und Produkten, die die Kunden überzeugen, nicht von niedrigen Löhnen". Bedenken wegen angeblich drohender Arbeitsplatzverluste im großen Stil habe er nicht.
Der Bundesvize der Christlich Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), Christian Bäumler, wertete die geplante Übergangsfrist für Zeitungszusteller als Verstoß gegen das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes. "Wenn der Gesetzentwurf Abweichungen vom gesetzlichen Mindestlohn nur bei Abschluss eines Tarifvertrages vorsieht, kann eine einzelne Branche von dieser Pflicht nicht ausgenommen werden", sagte Bäumler "Handelsblatt Online".
Das Gesetz zur Tarifautonomie, das den gesetzlichen Mindestlohn enthält, soll am Donnerstag vom Bundestag verabschiedet werden und ab 2015 gelten. Am Montag soll es nochmals eine Expertenanhörung geben.
AFP