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So finden Sie die geheimen TTIP-Unterlagen

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Berlin - Die Bundesregierung pocht auch nach den „TTIP Leaks“ auf einen raschen Erfolg der umstrittenen Freihandelsgespräche zwischen der EU und den USA. Greenpeace hat nun geheime TTIP-Dokumente ins Internet gestellt.

Während die Verhandlungen zum transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP hinter verschlossenen Türen laufen, hat Greenpeace mit einer ungewöhnlichen Aktion Transparenz geschaffen: Die Umweltorganisation machte ein Konvolut geheimer Papiere am Montag im Internet für die Öffentlichkeit zugänglich. In einem gläsernen „TTIP-Leseraum“ in Berlin können die Dokumente gelesen, fotografiert und heruntergeladen werden. Zuvor hatte Greenpeace die Texte samt der Losung „Demokratie braucht Transparenz“ in der Nacht auf das Reichstagsgebäude gebeamt.

„Wir machen das, um eine Debatte zu befeuern“, sagte Stefan Krug, Leiter der Politischen Vertretung der Umweltorganisation. Bislang hätten Abgeordnete lediglich unter Aufsicht die TTIP-Dokumente einsehen dürfen, sich dabei aber weder Notizen machen noch Teile kopieren oder mit jemandem darüber reden dürfen. Dabei seien von den Vereinbarungen Hunderte Millionen Menschen betroffen, die wenig bis nichts über den Inhalt der Gespräche und deren Folgen wüssten. „Wir brauchen einen Stop dieser Verhandlungen und einen Start der Debatte“, forderte Krug.

Greenpeace wirft den USA vor, mit dem geplanten Handelsabkommen europäische Umwelt- und Verbraucherschutz-Standards aushöhlen zu wollen. Die TTIP-Dokumente, die die Verhandlungspositionen der USA und der EU-Kommission vor der gerade abgeschlossenen 13. Gesprächsrunde zeigten, wurden den Umweltschützern nach eigenen Angaben zugespielt. Allerdings seien nicht die Originaldokumente, sondern Abschriften publiziert worden. Die Originale seien speziell markiert, so dass bei einer Veröffentlichung der Quellenschutz nicht gewährleistet gewesen wäre, sagte Krug. Nach gemeinsamer Prüfung mit dem Recherche-Netzwerk von „Süddeutscher Zeitung“, NDR und WDR sei man sicher, dass die Papiere echt seien, erklärte Greenpeace.

TTIP-Prinzipienstreit - Vorsorge contra Risiko

Bei den Verhandlungen über das Freihandelsabkommen TTIP wird auch über das Vorsorge- und das Risikoprinzip gestritten.

- Das bislang in Europa geltende VORSORGEPRINZIP gilt als ein Grundpfeiler der EU-Umweltpolitik. Es erlaubt Produkte nur, wenn sie für Mensch und Umwelt nachweislich unschädlich sind. Produkte können darum auch vorsorglich vom Markt genommen werden, wenn die verfügbaren wissenschaftlichen Daten noch keine umfassende Risikobewertung zulassen. Das ermöglicht in der EU eine schnelle Reaktion auf mögliche Gesundheits- und Umweltgefahren.

- Dem in den USA angewandten RISIKOPRINZIP zufolge muss die Regulierungsbehörde zweifelsfrei nachweisen, dass von einem Stoff eine Gefahr ausgeht, damit er vom Markt genommen werden kann. Bis das der Fall ist, bleibt er zugelassen. Demnach sind in den USA etliche Produkte auf dem Markt, die in der EU nicht gehandelt werden dürfen. Das gilt für Hormonfleisch sowie genmanipulierte Pflanzen und Lebensmittel ebenso wie für viele Chemikalien in Kosmetika.

TTIP und die Vorgänger - Abkommen für freien Handel

In einer Freihandelszone vereinigen sich Staaten zu einem einheitlichen Zollgebiet. Der Wegfall von Zöllen sowie von „nichttarifären“ Handelsbeschränkungen wie unterschiedlichen Standards und Normen soll das Wirtschaftswachstum ankurbeln.

Seit 2013 verhandeln die EU und die USA über eine „Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft“ (TTIP). Mit rund 40 Prozent des Welthandels würde damit der bedeutendste Wirtschaftsraum der Welt entstehen. Durch eine stärkere Öffnung der Märkte auf beiden Seiten des Atlantiks erhoffen sich die Befürworter deutliche Wachstums- und Beschäftigungsimpulse. Umwelt- und Verbraucherschützer, Sozialverbände und Gewerkschaften befürchten dagegen eine Angleichung von Standards auf geringerem Niveau und kritisieren mangelnde Transparenz bei den Verhandlungen. Die TTIP-Gegner machen sich zudem für eine öffentliche Gerichtsbarkeit, ordentliche Arbeitsrechte für alle und den Erhalt der bisherigen Umweltstandards stark.

Als Blaupause für TTIP gilt das bereits ausgehandelte Abkommen Ceta („Comprehensive Economic and Trade Agreement“) zwischen Europa und Kanada. Der Text muss nun noch vom EU-Parlament genehmigt werden. Zuvor muss ein EU-Ratsbeschluss fallen. Erst danach dürfen die Parlamente der Mitgliedstaaten über das Abkommen abstimmen.

Schon früh setzten Nationalstaaten auf Handelsbündnisse. 1960 schufen Großbritannien, Norwegen, Schweden, Dänemark, Portugal, Österreich und die Schweiz als Gegenstück zum EU-Vorläufer EWG (später EG) die Europäische Freihandelsassoziation Efta. Mit dem Beitritt von Efta-Mitgliedern zur EG verlor das Bündnis aber an Bedeutung. Heute gehören ihm noch Norwegen, Island, die Schweiz und Liechtenstein an.

Nach der Verwirklichung des Europäischen Binnenmarktes setzte die EU zunehmend auf Handelserleichterungen mit Partnern in anderen Kontinenten. Als erste Vereinbarung mit einem asiatischen Land trat 2011 ein EU-Freihandelsabkommen mit Südkorea in Kraft, 2012 mit Singapur. Seit 2013 verhandelt die EU mit Japan über ein Abkommen.

Auch in anderen Teilen der Erde koordinieren Staaten ihre Volkswirtschaften. Der 1991 gegründete „Gemeinsame Markt des Südens“ (Mercosur) ist ein südamerikanischer Wirtschaftsverbund. Die USA, Kanada und Mexiko vereinbarten 1994 das Nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta. 2010 vollendeten sechs Länder der südostasiatischen Staatengemeinschaft Asean die Freihandelszone Afta.

Rund um den Pazifik arbeiten heute 21 Staaten in der 1989 gebildeten Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft (Apec) zusammen, um den Freihandel voranzutreiben. Dazu gehören die USA, Kanada, China, Japan, Südkorea, Indonesien und Russland. Die USA und elf Staaten - aber nicht China - einigten sich im Oktober 2015 zudem auf die Freihandelszone Transpazifische Partnerschaft (TPP).

Wer steckt dahinter?

Das angestrebte Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership/Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft) zwischen der EU und den USA ist ein Mega-Projekt - und heftig umstritten. Dies sind die Top-Verhandler der beiden größten Wirtschaftsmächte:

MICHAEL FROMAN: Ex-Banker, studierte mit US-Präsident Barack Obama in Harvard, dieser machte ihn zu seinem Handelsbeauftragten. Der 53-Jährige, dessen Vater in Berlin geboren wurde, kennt Europa gut. Zu angeblich schlechteren US-Standards meint er: „Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir nicht Babys füttern mit Chemikalien, die wir nicht vorher getestet haben.“

DANIEL MULLANEY: Der Handelsprofi mit dem rosigen Gesicht und dem grauen Lockenkopf arbeitet bei TTIP als rechte Hand von Froman. Sein Vorteil: Er war von 2006 bis 2010 als US-Diplomat in Brüssel.

CECILIA MALMSTRÖM: Liberale Schwedin, mehrsprachiger Europa-Profi. Die EU-Handelskommissarin, seit Ende 2014 im Amt, packt TTIP mit deutlich mehr Fingerspitzengefühl an als ihr belgischer Vorgänger Karel de Gucht. Die 47-Jährige wundert sich über den großen Widerstand in Deutschland. Kein anderes Land in Europa würde mehr von TTIP profitieren, meint sie.

IGNACIO GARCIA BERCERO: Der freundliche Spanier mit Vollbart und über 25 Jahren Brüssel-Erfahrung ist als EU-Chefunterhändler bei TTIP der Mann fürs Grobe. Wenn er nicht mit Mullaney feilscht, tourt er durch ganz Europa, um Ängste abzubauen.

dpa

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