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Aufwühlende Bilder: Drei Schülerinnen in Österreich abgeschoben - „Ich kann und will es nicht glauben“

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Die Abschiebung dreier Schülerinnen nach Georgien und Armenien sorgt in Österreich seit Tagen für Aufregung. Nun hat sich Bundespräsident Alexander van der Bellen in die Debatte eingeschaltet.

München - Streng genommen ist Alexander van der Bellen kein Grüner mehr. Seit 2016, als er für das Amt des österreichischen Bundespräsidenten kandidierte, lässt er seine Mitgliedschaft ruhen, er will als überparteilich wahrgenommen werden. Als er aber am Donnerstag in seinem Amtssitz vor die Kameras trat und ein Video produzierte, das bald in den sozialen Netzwerken landete, klang er gar nicht mehr präsidial-staatstragend. Aus den Worten des Präsidenten sprach ein zutiefst grüner Geist, der gerade schwer verstört ist.

Seit Tagen nimmt Österreich Anteil am Schicksal dreier Schülerinnen aus Georgien und Armenien. Lange bevor sie und ihre Familien in der Nacht zum Donnerstag in ihre Heimatländer geflogen wurden, rollte eine Debatte durchs Land, ob diese Maßnahme zu vertreten sei, menschlich und juristisch. Die Mädchen seien vorbildlich integriert, sagten die einen. Die Familien hielten sich seit Jahren rechtswidrig im Land auf, argumentierte die Gegenseite. Früh um fünf setzte sich ein Polizeibus vor dem Wiener Abschiebezentrum in Bewegung, beobachtet von einer Hundertschaft Polizisten, 160 Demonstranten, bellenden Polizeihunden und vielen Medienvertretern.

Abschiebung in Österreich: Van der Bellen fragt nach „den Rechten der Kinder“

„Ich kann und will nicht glauben, dass wir in einem Land leben, wo dies in dieser Form wirklich notwendig ist“, sagte zwölf Stunden später der Bundespräsident in die Kamera. In der zweieinhalbminütigen Rede sprach er von „Vernunft, Augenmaß, Menschlichkeit“, die er vermisst habe, und fragte: „Hätte es nicht einen rechtlichen Spielraum gegeben? Was ist mit den Rechten der Kinder?“

Die Fragen richteten sich vor allem an Innenminister Karl Nehammer (ÖVP), der die Abschiebung vehement verteidigt hatte. Der Einsatz, der viele aufwühlende Bilder produzierte, sei notwendig gewesen, „um hier dem Rechtsstaat zum Durchbruch zu verhelfen“. Sein Ministerium verwies auf mehrere höchstgerichtliche Urteile, die eine Abschiebung vorsahen. Dass die Familien überhaupt so lange in Österreich gelebt hätten, sei nicht zuletzt auf das Ignorieren behördlicher Vorgaben zurückzuführen.

Kanzler Sebastian Kurz (r.) geht hinter Bundespräsident Alexander van der Bellen entlang.
Geballter Unmut: Bundespräsident Alexander van der Bellen (l.) distanziert sich klar von der Regierung von Kanzler Sebastian Kurz. © HANS PUNZ/dpa

Abschiebung in Österreich: Fragen des Bundespräsidenten werfen Schlaglicht auf die Koalition

Dass aus der Hofburg, dem Amtssitz des Bundespräsidenten, derart offen regierungskritische Fragen gestellt werden, ist nicht nur äußerst ungewöhnlich, sondern wirft auch ein Schlaglicht auf die Koalition. In der sind die Grünen, van der Bellens Ex-Partei, der Juniorpartner. Gegen die Abschiebung der Familien wehrten sie sich so vehement wie letztlich erfolglos. Das hinterlässt Wunden.

Gesundheitsminister Rudolf Anschober, der in der Pandemie* immer wieder an der Seite von Kanzler Sebastian Kurz* auftritt, nannte das Vorgehen „unmenschlich und untragbar“. Vize-Kanzler Werner Kogler formulierte fast wortgleich. In Richtung Nehammers wies er darauf hin, dass es „keine zwingende rechtliche Verpflichtung“ gebe, gut integrierte Schulkinder abzuschieben.

Auch die Debatte darüber, in Österreich geborenen Kindern den Zugang zur Staatsangehörigkeit zu erleichtern, nimmt Fahrt auf. Umweltministerin Leonore Gewessler warf schließlich dem Koalitionspartner auch noch eine Inszenierung auf Kosten Unschuldiger vor: „Einige in der ÖVP sind davon überzeugt, dass sie diese Bilder brauchen, um Wählerstimmen zu halten.“ Es ist eine Menge zu Bruch gegangen in den frühen Wiener Morgenstunden. (mbe) *merkur.de ist Teil des bundesweiten Ippen-Digital-Redaktionsnetzwerks

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