Russland-Revanche für Kreml-Attacke? Experte sieht „Gefahr doppelter Eskalation“
Die Ukraine attackiert offenbar Nachschublinien der russischen Armee und angeblich sogar den Kreml. Kiew dementiert. Sergej Lawrow kündigt Konsequenzen an, und ein Experte warnt.
München/Moskau – Was war da los? Das Moskau-Regime vermeldet im Ukraine-Krieg einen angeblichen Drohnen-Angriff auf den Kreml. Die Verantwortung wird Kiew zugeschoben, das umgehend dementiert. Stattdessen bezichtigt nicht nur die ukrainische Regierung den Kreml einer Inszenierung.
Angeblicher Drohnen-Angriff auf Kreml: Moskau beschuldigt Kiew und die USA
Der russische Sprecher Dmitri Peskow warf den USA eine angebliche Beteiligung an dem Vorfall mitten in Russland vor. Washington wies dies kategorisch zurück. Fertig ist ein Durcheinander, indem eine weitere Drohung aus Moskau die nächste Episode darstellt.
Denn: Nach dem Drohnen-Vorfall auf dem Kreml-Gelände hat der russische Außenminister Sergej Lawrow jetzt „konkrete Aktionen“ angekündigt.

„Es ist absolut klar, dass die Terroristen in Kiew dies ohne das Wissen ihrer ‚Schirmherren‘ nicht hätten tun können“, sagte Lawrow an diesem Freitag (5. Mai) am Rande eines Gipfels der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) im südindischen Goa laut der russischen Nachrichtenagentur Tass. „Wir werden mit konkreten Aktionen antworten.“
Drohnen in Moskau: Inszenierung Russlands? Aus der Ukraine kommend?
Laut seiner Version hätten die ukrainischen Streitkräfte in der Nacht zum Mittwoch (3. Mai) zwei Drohnen bis in die russische Hauptstadt gesteuert, um den russischen Präsident Wladimir Putin zu töten. Videos, wie die vermeintlichen Drohnen nahe des Roten Platzes abgeschossen wurden, wurden eifrig auf Twitter geteilt.
Seit Tagen gibt es zudem Angriffe auf Treibstofflager auf der Krim sowie auf Nachschublinien der russischen Armee an der Grenze. Etwa der ehemalige US-General Ben Hodges sieht darin gezielte Vorbereitungen auf die ukrainische Gegenoffensive. Doch: Inwiefern sind westliche Geheimdienste daran beteiligt? Und spielten sie gar beim angeblichen Drohnen-Angriff auf den Kreml eine Rolle?
Ich bin überzeugt, dass die Russen sehr nervös sind. Dass sie damit den Krieg motivieren wollen.
„Hier gibt es keine belastbaren Quellen“, erklärt der deutsche Militärexperte Ralph D. Thiele vom Institut für Strategie-, Politik-, Sicherheits- und Wirtschaftsberatung (ISPSW) dem Schweizer Blick: „Immerhin hört man aus Kreisen von Spezialkräften, dass einige wenige westliche Staaten Sabotageakte auf russischem Boden nachrichtendienstlich vorbereiten helfen und unterstützen.“
Militärexperte: Ukrainische Akteure könnten „über die Stränge schlagen“
Zugleich gebe es seiner Ansicht nach die Sorge, ob „diese Aktionen hinreichend bedacht und maßvoll erfolgen. Und dass hier zumindest einige ukrainische Akteure über die Stränge schlagen könnten. Die wirkliche Sorge des Westens ist eine unkontrollierte Eskalation des Konflikts“, meint er. Dass die Drohnen auf dem Kreml-Gelände aus der Ukraine gestartet wurden, glaubt er nicht.
„Die bei diesem Einsatz verwendeten Drohnen waren zu klein, um die rund 600 Kilometer weite Strecke von der Ukraine bis Moskau zu überwinden. Vermutlich wurden sie von russischem Boden aus gestartet - von wem, bleibt allerdings unbeantwortet“, erklärt der 69-jährige Militärexperte dem Blick: „Immerhin hat sich aus der Ukraine vor einer Woche eine Drohne des Typs UJ-22 Airborne in Richtung Moskau auf den Weg gemacht, bevor sie offensichtlich aus Treibstoffmangel kurz vor der russischen Hauptstadt abstürzte.“
Drohnen-Angriffe der Ukraine auf Russland: Militärexperte warnt
Ob er eine atomare Antwort Moskaus, wie vom Putin-Vertrauten Dmitri Rogosin gefordert, wegen der ukrainischen Gegenoffensive für möglich hält? Er bleibt verklausuliert. Generell bestünde die Gefahr einer doppelten Eskalation, „nacheinander oder zeitgleich. Vertikale Eskalation bedeutet mehr Truppen, mehr Waffen, mehr Verwüstung und Gewalt bis hin zu einem Ersteinsatz taktischer nuklearer Waffen“, erklärt Thiele. Horizontale Eskalation bedeute einen „Flächenbrand, der auch die Nachbarländer der Ukraine und sogar entfernte Regionen wie zum Beispiel in Afrika erfassen könnte“.
Nicht nur Thiele, auch die Militärexperten des US-Thinktanks „Institute for the Study of War“ (ISW) meinen, dass die Ukraine nicht für den vermeintlichen Drohnen-Angriff auf den Kreml verantwortlich ist.
„Russland hat diesen Angriff wahrscheinlich inszeniert, um den Krieg einem russischen Publikum im Inland nahezubringen und Bedingungen für eine breitere gesellschaftliche Mobilisierung zu schaffen“, schrieb das ISW in seinem täglichen Lagebericht vom Donnerstag (4. Mai).
Drohnen über dem Kreml in Moskau: ISW wähnt russische Inszenierung dahinter
Unter anderem würde für eine Inszenierung sprechen, dass die Militärverwaltung in Moskau die Luftverteidigung der Hauptstadt seit Kriegsbeginn erheblich ausgebaut habe. Dass dann zwei Drohnen bis ins Regierungsviertel vorstoßen, halten die ISW-Experten für nicht denkbar. Auch der erfahrene Diplomat Jean Asselborn schließt eine Inszenierung Russlands nicht aus.

„Was mit diesen zwei Drohnen geschehen ist: Ich bin überzeugt, dass die Russen sehr nervös sind. Dass sie damit den Krieg motivieren wollen“, sagte der luxemburgische Außenminister bei „Maybrit Illner“ im ZDF: „Die Menschen in Russland verstehen diesen Krieg überhaupt nicht mehr. Die Essenz des Regimes Putins ist der Krieg. Und wenn Putin den Krieg verliert, ist er weg.“ (pm)