Russland verschärft Regeln für Rekrutierung: „Man kann den großen Krieg riechen“
Neue Regeln für Wehrpflichtige und Garden: Russland mobilisiert alle Kräfte gegen die Verluste in der Ukraine – und stellt sich auf langen Krieg ein.
Moskau – Längere Einberufung von Wehrpflichtigen, verschärfte Sanktionen bei Fahnenflucht und neue bewaffnete Privatgarden: Angesichts hoher Verluste im Ukraine-Krieg hat Russland mit einem dicken Reformpaket eine große Mobilisierungswelle gestartet – und offenbar die Weichen für die Ausweitung des Konflikts gestellt.
„Man kann ihn schon riechen“: Russland erwartet einen langen Krieg in der Ukraine
Das bestätigte der Vorsitzende im Verteidigungsausschusses der Duma, Andrej Kartapolow: „Dieses Gesetz wurde für einen großen Krieg geschrieben, für eine allgemeine Mobilmachung“, erklärte der pensionierte General laut der unabhängigen russischen Nachrichtenplattform Mediazona nach der Verabschiedung des Gesetzespakets. Dann fügte er hinzu: „Und man kann ihn auch schon riechen, diesen großen Krieg.“ Tatsächlich könnte dies ein Hinweis darauf sein, dass Russland sich auf einen langen Stellungskrieg in der Ukraine vorbereitet.
Bereits am Dienstag (25. Juli) hatte Russlands Staatsduma das Gesetzespaket in zweiter und dritter Lesung verabschiedet. Nun fehlt nur noch die Zustimmung im Oberhaus – und die Unterschrift von Russlands Präsident Wladimir Putin. Beides gilt aber als reine Formalie. Denn mit der Reform weitet der Kreml die Einberufung von Wehrpflichtigen aus.
Einberufung von Wehrpflichtigen: In Russland wird die Altersgrenze angehoben
Bislang konnten in Russland junge Männer bis zum Alter von 27 Jahren zum Militärdienst einberufen werden. Doch nun wurde die Obergrenze zur Wehrpflicht auf 30 Jahre hochgesetzt. Die lang diskutierte Anhebung der Untergrenze von 18 auf 21 Jahren wurde fallengelassen, sprich: In Russland unterliegen junge Männer jetzt insgesamt zwölf Jahre der Wehrpflicht. Diese gilt aber bei Einberufung weiterhin nur ein Jahr.

Insgesamt wird es den Wehrpflichtigen auch schwerer gemacht, sich der Einberufung zu entziehen. Der Einberufungsbefehl muss nicht mehr persönlich zugestellt werden. Bereits beim Erhalt der elektronischen Post darf das Land nicht mehr verlassen werden. Wer die Musterung ignoriert, kann zudem mit einem hohen Bußgeld rechnen. Die Duma erhöhte die Strafe um das Zehnfache von 3.000 auf 30.000 Rubel. Außerdem dürfen Anwälte keine Wehrdienstverweigerer mehr verteidigen.
Nach Vorbild von Wagner: Duma stimmt Gründung von regionalen Privatarmeen zu
Bei der Überwachung der Rekrutierungsregeln helfen demnächst vielleicht neue örtliche Einheiten. In dem neuen Duma-Werk ist nämlich auch ein Gesetz enthalten, das regionalen Gouverneuren die Schaffung von eigenen, privaten Militärunternehmen erlaubt. Nach dem Wagner-Vorbild sollen die neuen Sicherheitsgarden dann helfen, die „öffentliche Ordnung“ aufrechtzuerhalten, wie es heißt. Bewaffnet werden die Gruppen von der Nationalgarde. Anschließend sollen sie dem Innenministerium, dem Inlandsgeheimdienst FSB sowie dem Grenzschutz „assistieren“, notfalls auch gegen Saboteure vorgehen.
Verluste im Ukraine-Krieg: Neue Regeln für Wehrpflichtige als Ausgleich?
Mit dem Gesetzespaket reagiert Moskau durchaus auf die aktuellen Entwicklungen im Ukraine-Krieg. Zum einen sorgten zuletzt mehrere Sabotageakte auf Bahnlinien oder Brücken für Probleme. Außerdem muss Russland extrem hohe Verluste ausgleichen. Wie der ukrainische Generalstab am Freitag (28. Juli) mitteilte, beläuft sich die unbestätigte Zahl der gefallenen russischen Soldatinnen und Soldaten seit Beginn des Konflikts im Februar 2022 auf 244.830. Offiziellen Angaben zufolge werden Wehrpflichtige zwar nicht an die Front geschickt. Doch zuletzt gab es immer wieder Zweifel an Moskaus Darstellung. Erst im vergangenen Herbst hatte der Kreml rund 300.000 Reservisten mobilisiert für die Gefechte in der Ostukraine.
Vorstöße im Ukraine-Krieg: Bei der Gegenoffensive ist nicht mit schnellem Durchbruch zu rechnen
Tatsächlich steht Russland mächtig unter Druck. Seit Ende Mai läuft die Offensive der Ukraine. Aufgerüstet mit vielen westlichen Panzern und Raketenwerfern versuchen die ukrainischen Truppen an insgesamt drei Frontabschnitten einen Durchbruch zu erzielen. Zwar vermelden Kiews Truppen immer wieder kleine Vorstöße, doch angesichts massiver russischer Verteidigungsanlagen sind die Geländegewinne insgesamt eher überschaubar.
Einen schnellen Erfolg werde es trotz der Gegenoffensive wohl nicht geben, stellten zuletzt immer mehr Militärbeobachter fest. Und auch in Russland rechnet man nicht mit einem schnellen Ende. Eher scheint man gewillt zu sein, sich für einen langen Stellungskrieg zu rüsten. Die neue Mobilisierung deutet jedenfalls eher auf eine langfristige und weniger auf eine kurzfristige Planung hin. (jeki)