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Der Kanzler und seine rote Linie

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Von: Mike Schier, Christian Deutschländer

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Donnerstag Nachmittag reist Horst Seehofer zu Sebastian Kurz nach Wien. © dpa

Ein kleines Land im Zentrum des Wirbelsturms: Alle blicken auf Österreich und den jungen Kanzler Sebastian Kurz. An seiner Grenze entscheidet sich mal wieder, was der deutsche Asyl-Kompromiss wert ist.

München/Wien – Vielleicht verstehen sie ihn einfach nicht, weil er sich zu gewählt ausdrückt. In Berlin und München beschimpft man sich ja gerade untereinander als „dumm“, „ungeeignet“ und verrückt. In Wien tritt Sebastian Kurz am Dienstag mit einer angedeuteten Verbeugung vor die Presse, grüßt, dankt in größter Höflichkeit und erklärt, untermalt durch sanfte Gesten, seine Haltung.

Der Bundeskanzler sagt, er wolle erst „amal herausfinden, was von deutscher Seite geplant wird“. Sein Land stehe dann bereit, an der Südgrenze auf nationale Maßnahmen zu reagieren. Man habe große Sympathie für eine restriktivere Migrationspolitik, sei aber „sicherlich nicht bereit, Verträge zu Lasten Österreichs abzuschließen“. In der deutschen Presse wurde daraus „große Skepsis“, „Ablehnung“, gar eine „Drohung“.

Der Kern der Kurz-Aussage ist allerdings kein kategorisches Nein. Er ist sogar bereit, den Weg der Grenzabweisungen mitzugehen und selbst an den Grenzen zu Italien und Slowenien genauso zu verfahren. Die Infrastruktur für Kontrollstellen hat seine Regierung schon vor Monaten aufgerüstet. Ende Juni probten 500 Polizisten und über 220 Soldaten mit Hubschraubern und Radpanzern ein Grenzschutz-Manöver in der Steiermark. Mit Innenminister Horst Seehofer (CSU), der heute Mittag zu Kurz flog, ist dem Vernehmen nach vorbesprochen, an der slowenischen Grenze österreichische und deutsche Beamte zu stationieren.

In der Asylpolitik fährt Kurz beinharten Kurs

Kurz’ charmantes Auftreten mag darüber hinwegtäuschen, aber in der Asylpolitik fährt der 31-Jährige einen beinharten Kurs, der weit näher an CSU als CDU liegt. Ohne den Namen von Kanzlerin Angela Merkel zu nennen, kritisiert er seit Wochen verstärkt ihre Willkommenskultur. Demonstrativ tritt er Schulter an Schulter mit Seehofer in Berlin auf, dann mit Bayerns Ministerpräsident Markus Söder in München, neulich mit einer gemeinsamen Kabinettssitzung in Linz. Sogar als Gastredner zu Söders Wahlkampf-Finale Mitte Oktober in München sagte der Kanzler zu; wissend, dass die Kanzlerin dort ausgeladen ist.

In gewisser Weise ist die unter Kurz radikal renovierte ÖVP sogar ein Vorbild für die bayerischen Freunde. Der junge Kanzler hat es geschafft, Themen der Rechten zu übernehmen und sie mit frischem ÖVP-Türkis zu übermalen. „Schon im Wahlkampf hat er Positionen der FPÖ geklaut und sie weniger radikal aussehen lassen“, sagt Peter Filzmaier, Politikwissenschaftler an der Uni Krems. Mit dem Rechtsruck hat Kurz die kriselnde ÖVP bei 30 Prozent plus x stabilisiert. „Der FPÖ“, sagt Filzmaier, „hat das aber nicht geschadet.“ Was die Vorbildfunktion für Bayern wohl doch schmälert.

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Kurz mag anfangs international halb irritiert, halb neugierig belächelt worden sein, das Dialektwort vom „Wunderwuzzi“ machte die Runde. In diesen Wochen ist Europas jüngster Regierungschef aber ins Zentrum der Migrationspolitik gerückt: geografisch, weil Österreich das wichtigste Transitland in Mitteleuropa ist; politisch, weil Kurz seit Juli die EU-Ratspräsidentschaft hat. Er koordiniert die multilateralen Verhandlungen über Grenzschutz und Abweisung.

Positiv könnte man sagen, dass dem Regierungschef der harte Asylkurs erlaubt, auf internationaler Ebene zu Leuten vorzudringen, die Merkel kaum noch erreicht: zum Ungarn Viktor Orbán oder zu Italiens neuer Regierung. „Das ist wohl Kurz’ Hoffnung“, sagt Politologe Filzmaier. „Die Frage wird sein, ob und wann er sagt: Bis hierher, aber nicht weiter.“ Gerade beim Migrations-Thema.

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Auch Kurz’ Freundlichkeit für die CSU dürfte an einer roten Linie enden: bei seinen innenpolitischen Interessen. Wenn die Deutschen ohne Absprache Personen zurückweisen, hat Kurz keine Lust, diese Flüchtlinge im Inland zu halten. Weil Italien droht, auch keine Flüchtlinge mehr zurückzunehmen, bliebe er auf diesem Problem sitzen – ein Risiko für seine Beliebtheit und sein Macher-Image, auch für die Taktik, die mitregierende FPÖ kleinzuhalten.

Dann könnte Kurz an seiner Südgrenze mit einem Kollateralschaden drohen: lange Warteschlangen im Ferienverkehr. Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) deutete das am Mittwoch kühl an: Am Brenner könnten binnen 24 Stunden 280 Sicherheitskräfte stehen. Bei einer Sperrung würden dann „nicht hunderte Flüchtlinge, sondern hunderttausende deutsche Touristen warten“.

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