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Sieben Rätsel rund um die NSU-Morde

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In diesem Auto starb im September 2013 Florian H., der Ex-Freund der 20-Jährigen, die nun ebenfalls tot ist. © dpa

Karlsruhe - Der plötzliche Tod einer NSU-Zeugin gibt weiterhin Rätsel auf. Es ist nicht die einzige ungeklärte Frage rund um die Nazi-Morde.

Eine 20-jährige Zeugin im Mordfall Kiesewetter ist knapp vier Wochen nach ihrer Aussage im Stuttgarter NSU-Untersuchungsausschuss ohne Vorerkrankung plötzlich verstorben. Das Brisante dabei: Die Frau aus Kraichtal (Kreis Karlsruhe), eine Ex-Freundin des ebenfalls verstorbenen Neonazi-Aussteigers Florian H. (siehe unten), hatte erklärt, sie fühle sich bedroht!

Laut Obduktion gibt es aber beim Tod der 20-Jährigen keinerlei Hinweise auf ein Fremdverschulden. Polizei und Staatsanwaltschaft teilten mit, dass die 20-Jährige am vergangenen Dienstag einen leichten Motorrad­unfall gehabt und sich eine Prellung im Knie zugezogen habe. Zwar sei die Zeugin mehrfach ärztlich behandelt worden, trotzdem habe diese Verletzung letztlich eine Verstopfung eines Blutgefäßes der Lunge ausgelöst. Aus Sicht des Chefs des Stuttgarter Untersuchungsausschusses, Wolfgang Drexler (SPD), gibt es keinen Zweifel an den Schilderungen der Behörden: „Es ist ein sehr tragischer und bedauerlicher Fall.“ Trotzdem hat die Staatsanwaltschaft Karlsruhe nach der Obduktion weitere Analysen angeordnet: „Wir sind uns der Brisanz des Falles bewusst“.

Auch andere Zeugen im Fall Kiesewetter wurden bedroht: Eine Polizistin, die mit Kiesewetter befreundet war, war vor ihrer Aussage vor dem Thüringer Untersuchungsausschuss von zwei Männern zu Hause aufgesucht worden, die ihr geraten hatten, sich an „bestimmte Dinge“ im Zusammenhang mit dem Kiesewetter-Mord besser nicht zu erinnern.

Sieben Rätsel um die Nazi-Morde

Fünf Untersuchungsausschüsse beschäftigen sich mit den NSU-Morden – ein Bundestags-Ausschuss, daneben gibt es Untersuchungen in Bayern, Sachsen, Thüringen und Baden-Württemberg. Dazu versucht seit fast zwei Jahren der NSU-Prozess in München Licht ins Dunkel zu bringen. Und trotz all dieser Bemühungen werden die Hintergründe der rechtsextremen Mordserie immer rätselhafter. Vor allem der Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn, der nie so richtig in die Mordserie der Ausländerhasser gepasst hat, erscheint zunehmend seltsamer. Die tz beleuchtet sieben zweifelhafte Ereignisse rund um die NSU-Morde.

Rätsel 1: Der Tod des Nazi-Aussteigers Florian H.

Florian H., der Ex-Freund der nun plötzlich verstorbenen 20-Jährigen, war im September 2013 in seinem Auto in Stuttgart verbrannt – an dem Tag, an dem er noch einmal vor der Polizei aussagen sollte. Der Aussteiger aus der rechten Szene soll zuvor erklärt haben, er kenne Kiesewetters Mörder.

Rätsel 2: Die Unterbindung der Ermittlungen im Fall Florian H.

Die Polizei erklärte schnell, Florian H. habe Selbstmord begangen. Weder seine Computer noch sein Handy wurden untersucht. Im Gegenteil: Der Generalstaatsanwalt lehnte einen Antrag, Florians Zimmer in der Wohnung seiner Eltern zu durchsuchen, ab. Nicht einmal das ausgebrannte Auto wurde ordentlich durchsucht: Die Familie des Nazi-Aussteigers bewahrte den Wagen vor dem Verschrotten und fand darin eine Pistole, eine Machete und einen seit langem vermissten Schlüsselbund.

Rätsel 3: Der Ku-Klux-Klan-Polizist

Der Gruppenleiter der ermordeten Polizistin Michèle Kiesewetter und ein weiterer Kollege waren Mitglied im rechtsextremen Ku-Klux-Klan. Die ausländerfeindliche Gesinnung einiger Kollegen spiegelt sich auch in der irritierenden Wortwahl in den Akten zum Mordfall Kiesewetter wider. So heißt es darin, es gebe einen Hinweis auf „joggende Neger“.

Rätsel 4: Die Ereignisse am Tatort in Heilbronn

Aus einem Bericht eines Mitarbeiters des US-Geheimdienstes Defense Intelligence Agency (DIA) soll hervorgehen, dass US-Agenten und deutsche Verfassungsschützer im Rahmen einer Islamisten-Beschattung in unmittelbarer Nähe der Theresienwiese in Heilbronn waren, als dort Kiesewetter erschossen wurde. Die Behörden dementieren: Der angebliche DIA-Bericht sei eine Fälschung.

Rätsel 5: Der Tod des V-Manns „Corelli“

Thomas R. war einer der führenden Köpfe der Neonazi-Szene in Sachsen-Anhalt – und seit den 90er Jahren unter dem Deckname „Corelli“ V-Mann des Verfassungsschutzes. Er soll auch gute Kontakte zu den NSU-Terroristen gehabt haben. Nach seiner Enttarnung 2012 kam „Corelli“ in ein Zeugenschutzprogramm und lebte unter neuer Identität in Paderborn. Am 7. April 2014 wurde der 39-Jährige tot in seiner Wohnung aufgefunden – laut Obduktion starb er an unerkannter Diabetes.

Rätsel 6: Die Nazi-CDs

„Corelli“ hatte dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) schon im Augst 2005 CDs der NSU übergeben. Das BfV hatte dies stets dementiert – doch auf eigene Faust ermittelnde BKA-Kriminaler entdeckten die brisanten CDs.

Rätsel 7: Der Verfassungsschutzmann, der beim Mord dabei war

Wegen seines rechten Gedankengutes nannten sie ihn „Klein-Adolf“: Der Verfassungsschützer Andreas Temme chattete am 6. 4. 2006 im Internet-Café in Kassel, als dort Halit Yozgat von den NSU-Terroristen erschossen wurde. Temme behauptet, weder etwas gehört noch gesehen zu haben – obwohl Yozgats Leiche deutlich sichtbar am Boden lag.

KR

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